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"Anne Will": Hamburg will Außengastronomie zu Pfingsten öffnen - t-online.de

Auch Hamburg will zu Pfingsten die Außengastronomie öffnen. Dem FDP-Vorsitzenden Kubicki geht das bei "Anne Will" nicht schnell genug. Für einen Eklat sorgt die Frage: Wird tausendfach Impfstoff weggeworfen?

Die bundesweite Corona-Inzidenz ist unter 100 gefallen. Immer mehr Menschen können sich darauf freuen, an Pfingsten draußen im Restaurant zu sitzen oder im Sommer an Nord- und Ostsee Urlaub zu machen. Aber die Lage ist in den Bundesländern noch sehr unterschiedlich. Leichtigkeit oder Leichtsinn, klare Linie oder Flickenteppich?, fragte "Anne Will".

Die Gäste

  • Peter Tschentscher (SPD), Erster Bürgermeister von Hamburg

  • Wolfgang Kubicki (FDP), stellvertretender Parteivorsitzender

  • Carola Holzner, Oberärztin am Zentrum für Notfallmedizin des Universitätsklinikums Essen

  • Dietmar Bartsch (Die Linke), Fraktionsvorsitzender im Bundestag

  • Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga)

Die Positionen

Die Zeichen stehen auf Öffnung – selbst im vorsichtigen Hamburg. Wird zu Pfingsten die Außengastronomie in der Hansestadt öffnen?, fragte Anne Will am Sonntagabend den Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher. Der hatte gute Nachrichten. "Ja, ich werde das dem Senat vorschlagen am Dienstag", kündigte der Sozialdemokrat an. Maßnahmen wie die Ausgangssperre hätten in den vergangenen Wochen einen sehr großen Erfolg gebracht. "Das ist so stabil, dass wir die ersten Schritte zügig gehen können", sagte Tschentscher, aber warnte: "Das ist ein sehr schmaler Grat."

Er plädierte deshalb dafür, Bereiche nur schrittweise zu öffnen, das Infektionsgeschehen genau zu beobachten und Mobilität in Deutschland für die nächsten Wochen noch einzuschränken. Alles für ein großes Ziel: "Dass wir einen Sommer erleben, in dem man innerhalb von Deutschland reisen kann", sagte Tschentscher. "Das sollten wir jetzt nicht riskieren, indem wir zu unvorsichtig werden."

"Es geht um verantwortliche Öffnungen, nicht um Öffnungen um allen Preis", stimmte Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges zu. "Aber es gibt irgendwo einen Punkt, wo die Balance verloren geht zwischen dem, was gesundheitspolitisch notwendig ist und was der Gesellschaft und der Wirtschaft noch zumutbar ist." In der Außengastronomie gebe es so gut wie kein Infektionsrisiko, "die hätten wir schon längst öffnen können". "Die Gäste wollen doch buchen und sie wollen Planungssicherheit haben. Das ist doch irre: Die können ins Ausland fliegen und im Allgäu oder in Mecklenburg-Vorpommern können die Deutschen keinen Urlaub machen", kritisierte Hartges. Dabei schaffe das Prinzip, nur geimpfte, genesene oder getestete Gäste zu empfangen, "schon mal sehr viel Sicherheit".

Ärztin warnt: Noch nicht die Zeit, alles fallen zu lassen

Da musste Medizinerin Carola Holzner widersprechen. Sie verwies darauf, dass nur PCR-Tests wirklich zuverlässige Ergebnisse bringen. Antiallergen-Schnelltests würden hingegen bei infektiösen Erkrankten nicht immer anschlagen und auch Geimpfte könnten das Virus nach derzeitigem Forschungsstand unter Umständen weitergeben. "Es ist noch nicht an der Zeit, alles fallen zu lassen und zu sagen: Die Pandemie ist vorbei", warnte die Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin. Die sinkende Zahl von Intensivpatienten sei auch kein Zeichen für Entwarnung. "Intensivstationen sind nicht das Endziel, wo man gerne sein möchte", gab sie zu bedenken. "Man muss aufpassen, dass man nicht zu mutig wird", forderte Holzner. Sie selbst hat jedenfalls beschlossen: "Für mich fällt der Urlaub aus. Ich bleibe mit Mann und Kindern zu Hause."

FDP-Vize Wolfgang Kubicki geht das alles hingegen immer noch nicht schnell genug. In seiner Heimat Schleswig-Holstein dürfen Restaurants ab 17. Mai 2021 auch wieder innen bewirten, Hotels können unter Auflagen Touristen beherbergen (sie akzeptieren übrigens sowohl PCR- als auch Schnelltests als Nachweis). Das Gesundheitssystem sei nicht überlastet, sagte Kubicki. Damit sei das Ziel erreicht. Denn das bestehe keinesfalls darin, jede Infektion zu verhindern. "Wir werden das Virus nicht aus der Welt schaffen", sagte der Liberale. Deshalb stelle sich angesichts der aktuellen Lage die Frage: "Was darf der Staat eigentlich noch seinen Bürgern zumuten?"

Das fragte Kubicki gleich direkt Tschentscher. "Länger zu warten als unbedingt notwendig, halte ich für rechtswidrig. Das, was Sie momentan in Hamburg machen, halte ich für rechtswidrig", warf der FDP-Politiker dem Ersten Bürgermeister vor. "Ich will Ihnen mal sagen: Was wir machen, ist sehr verantwortungsvoll", konterte Tschentscher. Verwaltungsgerichte hätten "bis auf ganz wenige Ausnahmen" die Entscheidungen seines Senats bestätigt. Auch er wies darauf hin, dass Schnelltests drei bis vier von zehn Fällen nicht finden. "Und deshalb machen Sie alles zu?", konterte Kubicki.

Der Aufreger des Abends

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sorgte mit seiner Forderung, die Impfpriorisierung aufzuheben, für den Eklat der Sendung. Er begründete das unter anderem so: "Es kann nicht sein, dass in Deutschland Impfdosen letztlich verfallen, vernichtet werden müssen. Haben wir reichlich." Tschentscher widersprach. Darauf wurde Bartsch konkreter: "In Hamburg, 40.000 Impfdosen." "Definitiv nicht. Es wird keine einzige Impfdose vernichtet", dementierte Tschentscher vehement. "Selbstverständlich wird jeder Impfstoff, den wir erhalten, auch eingesetzt. Und da verfällt gar nichts." Der Sozialdemokrat warf dem Linken-Politiker vor: "Ich finde, Herr Bartsch, wenn Sie so eine Behauptung in die Sendung bringen, dann müssen Sie wissen, worauf sie beruht." Bartsch beharrte darauf, dass es um offizielle Zahlen aus Hamburg gehandelt hat. Tschentscher hielt das für unmöglich: "Wir können mal einen Faktencheck machen."

Der Faktencheck

In jeder Ampulle Corona-Impfstoff stecken mehrere Dosen. Wie viele genau, das ist erstaunlicherweise Auslegungssache. Offiziell sind bei Biontech sechs, bei Astrazeneca zehn Dosen zugelassen. Weil die Fläschchen aber nicht derart exakt befüllt werden können beziehungsweise die Hersteller auf Nummer sicher gehen, bleibt am Ende ein kleiner, aber wertvoller Rest übrig. Daraus ergeben sich Schlagzeilen wie "Mediziner entsetzt: 'Jeden Tag werden in Hamburg Hunderte Impfdosen vernichtet'". So hatte die "Hamburger Morgenpost" am 19. April 2021 einen Bericht überschrieben. Denn ob der Rest des Vakzins für einen weiteren Patienten reicht, bleibt – wie so vieles in der Pandemie – am Arzt hängen. "Die Ärzte dürfen zwar eine siebte Dosis verimpfen, tragen die Verantwortung aber selber", berichtete die Mopo. "Eine verbindliche Handlungsanweisung der Landesregierung gibt es hierzu nicht und ist auch nicht in Planung“", zitierte das Blatt eine Sprecherin der Hamburger Gesundheitsbehörde.

Laut dem Norddeutschen Rundfunk werden im Hamburger Impfzentrum in den Messehallen nur die offiziell zugelassen Dosen verwendet, der Rest wandert in den Müll. Angesichts der bislang verimpften Dosen kam der NDR allein im Impfzentrum auf 43.000 potenzielle und nicht genutzte Dosen Biontech und Astrazeneca. Auch in dieser Frage herrscht in Deutschland ein föderaler Flickenteppich an Regelungen. Eine Umfrage von NDR Info unter den 16 Landesgesundheitsministerien und -behörden ergab demnach: "In Schleswig-Holstein beispielsweise darf die zusätzliche Dosis verimpft werden. In Niedersachsen soll sie das sogar. Viele andere Bundesländer aber geben wie Hamburg die Entscheidung in die Verantwortung des Impfarztes beziehungsweise der Impfärztin. Ganz anders Rheinland-Pfalz: Hier ist die zusätzliche Dosis nicht nur empfohlen, das Land übernimmt sogar explizit die Haftung dafür."

Tschentscher war dieser Hintergrund bewusst. "Das sind Rechnungen, die irgendjemand angestellt hat, man könnte theoretisch eine siebte und eine elfte Dosis – gegen die Zulassung und gegen die Studienlage – verimpfen. Und daraus hat irgendjemand eine Zahl errechnet. Das wären dann ja 40.000 Impfdosen. Das ist möglicherweise etwas, was Sie hier durcheinanderbringen", sagte er an Bartsch gerichtet.

Das Zitat des Abends

Während viele Menschen über 80 immer noch angsterfüllt auf die zweite oder gar die erste Impfdosis warten, macht sich andernorts eine Shopping-Mentalität breit. Tschentscher merkte bei "Anne Will" an, dass manche Impftermine in Arztpraxen nicht wahrgenommen werden, weil die Patienten kein Astrazeneca wollen. Das hat auch Medizinerin Holzner festgestellt.

Es sei aber noch nicht genügend Impfstoff da, dass man sich diesen Luxus erlauben könne. Daher müsste eine solche Weigerung nach Ansicht der Expertin eigentlich eine klare Konsequenz nach sich ziehen: "Wer dann die Impfung ablehnt, um zu warten, der ist für mich dann auch nicht mehr in der Priorisierung dran, sondern dann ist vielleicht der Nächste dran, der den Impfstoff nicht abgelehnt hat."

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