Manchmal klingt die Wahrheit bitter, auch wenn sie humorvoll verpackt wird. Ruben Giuliano, Vorsitzender der Initiative Jugendparlament, stellte sich am Samstag als Redner auf dem CDU-Grundsatzkonvent in Berlin als einer jener Jugendlichen vor, der sich während der Corona-Pandemie um die ältere Generation gekümmert habe. „Also um Menschen wie viele von Ihnen“, sagte der 18-Jährige und lächelte. Die Delegierten im Saal erwiderten es – leicht gequält.
Denn es stimmt ja: Die CDU vergreist. Die Mitglieder sind im Durchschnitt 61 Jahre alt. Keine Partei ist, so gesehen, älter. Die Zahl sichtbarer Frauen in Spitzenämtern ist winzig, insgesamt befindet sich die Partei nach der Niederlage bei der Bundestagswahl 2020 immer noch in der Selbstfindungsphase. Parteichef Friedrich Merz ist weiter dabei, die Kernfrage zu klären: Wofür steht die CDU?
Das neue, fünfte Grundsatzprogramm soll die Antwort liefern, der Grundsatzkonvent ist ein Schritt auf dem Weg dorthin. Gäste von außerhalb des Parteikosmos wie Giuliano sollen den Christdemokraten berichten, wie man die CDU wahrnimmt. Was man von der Partei erwartet. Bisweilen bitter für die CDU. Aber, im besten Fall bringt es Merz und die Partei zum Nachdenken.
Gastredner Ralf Fücks tat das in seinem Beitrag und dem anschließenden Streitgespräch mit Merz in jedem Fall. Der Intellektuelle und grüne Vordenker, der immer für eine klug geführte Parade gut ist, legte das Dilemma der CDU offen: Als Volkspartei müsse sie sich einerseits gegen die AfD abgrenzen, was inhaltlich zum Beispiel beim Thema Migration gerade in Ostdeutschland nicht immer einfach ist. Und auf der anderen Seite gegen die Grünen, die sich die Christdemokraten, so Fücks in einem Anflug lustvoller Provokation, auch noch als potenziellen Koalitionspartner warmhalten müssten.
„Sie müssen Brücken von der ökologischen zur liberalen zur modernen Mitte schlagen“, sagte Fücks und erklärte dem CDU-Chef, auf was sich die Christdemokraten einzustellen hätten: „Es wird einen Wettbewerb zwischen den Grünen und der CDU geben, wer die moderne, bürgerliche Mitte ist.“ Die SPD blieb nicht nur bei dieser Debatte des Konvents völlig unerwähnt.
„Bei den Paschas bleibt es“
Die Grünen als Konkurrent und Partner, das ist die Herausforderung für die CDU unter Merz. Viele Christdemokraten hören das nicht gerne. Weil sie die Grünen, gerade wie sie sich derzeit in Regierungsverantwortung präsentieren, schlicht nicht für Vertreter „der Mitte“ halten. Und weil sie die Partei nach den vielen handwerklichen Fehlern von Klimaschutzminister Robert Habeck, zuletzt beim Gebäudeenergiegesetz, ohnehin im Sinkflug sehen, eine „Radikalisierung der Grünen in der Regierungsverantwortung“ wähnen. Wohingegen die CDU als Kanzlerpartei zumindest in der Ära von Altkanzlerin Angela Merkel bis zur programmatischen Unkenntlichkeit regierte, undogmatisch und pragmatisch.
Kaum eine Woche vergeht, in der Friedrich Merz nicht gegen die Grünen keilt, Bevormundung und den – aus seiner Sicht – selbstgerechten Habitus einer großstädtischen Elitenpartei geißelt, die dem Rest des Landes sagen wolle, wie er zu leben habe. Und in Bayern führt CSU-Ministerpräsident Markus Söder einen Landtagswahlkampf, der ganz auf Attacken gegen die Grünen ausgerichtet ist. „Sie dürfen bei aller Abgrenzung nicht vergessen, dass die Grünen potenzielle Partner sind“, stichelte Fücks, der Senator und Bürgermeister in Bremen war und die Denkfabrik Zentrum Liberale Moderne gegründet hat. „Wollen Sie sich auf die begrenzten Möglichkeiten einer GroKo mit der SPD begrenzen. Glauben Sie wirklich, dass es noch einmal schwarz-gelbe Mehrheiten gibt?“, fragte er.
Merz konterte, man führe auf diesem Konvent „keine Koalitionsdebatte, sondern eine über das Selbstverständnis der größten deutschen Volkspartei“. Entscheidend sei, die Prioritäten im Regierungshandeln für die CDU zu definieren. Die Ampel häufe einen Schuldenberg an, der größte Haushaltsposten ist weiterhin der für Soziales. „Die Kraft aufzubringen, dass wir sagen, wir ordnen das neu und wie, das ist unsere größte Aufgabe“, sagte Merz mit Blick auf den gewaltigen Investitionsbedarf unter anderem in den Bereichen Bildung und Sicherheit.
So einig sich Merz und Fücks in der grundsätzlichen Betrachtung der Aufgaben von Parteien und Regierung in Zeiten mit massiven Turbulenzen und gesellschaftlichen Verwerfungen waren, nämlich für „Sicherheit im Wandel“ zu stehen, also Vertrauen bei den Menschen wecken, so groß war der Dissens beim Thema AfD. Die Debatte über den Umgang mit der Rechtspartei ist vielen Christdemokraten ohnehin unangenehm. Denn dabei steht regelmäßig der Vorwurf im Raum, die Partei grenze sich nicht klar genug ab. In der CDU selbst, vor allem bei den Ostverbänden, die massiv durch die Umfrageerfolge der AfD unter Druck stehen, sieht man dagegen machtlos, wie AfD-Parolen auf wachsenden Zuspruch stoßen.
„Man muss sich davor hüten, das Vokabular der AfD zu nutzen“, erklärte Fücks. Was Friedrich Merz als persönliche Attacke auffasste. Im Hinblick auf den im Kontext Geflüchteter aus der Ukraine genutzten Begriff „Sozialtourismus“ und den im Kontext der Randale in der Silvesternacht in der Talkshow „Markus Lanz“ gebrauchten Begriff „kleine Paschas“ sagte Merz: „Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich das nicht tue. Der Begriff Sozialtourismus war ein Fehler, bei dem der Paschas bleibt es.“ Nicht jede Formulierung, die nicht jedem gefällt, sei immer gleich rechts und rassistisch.
Die Vertreter anderer gesellschaftlicher Institutionen bekamen auf dem Grundsatzkonvent nicht so viel Raum, ihre Erwartungen zu formulieren, wie der Grüne Fücks. Dennoch dürften einige Wortbeiträge Eindruck auf die Delegierten gemacht haben. Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, forderte zum Beispiel: „Rücken Sie ab von dem statischen Verständnis von Wohlstand“, der sich durch Einkommen und Vermögen messen lässt. „Rücken Sie das ,Wohlergehen‘ in den Mittelpunkt.“
Michael Vassiliadis, Chef der Chemiegewerkschaft IGBCE, sagte: „Stützen Sie sich nicht nur auf die soziale Marktwirtschaft, unterstützen Sie sie. Dann wird sie von allein ökologisch.“ Und Ruben Giuliano erklärte: „Wir brauchen eine Vision, einen ,deutschen Traum‘, nämlich den, dass hier jeder alles erreichen kann.“ Einen Traum für alle im Land, die Jungen und die Alten.
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