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Erdoğan zementiert seine Macht - Türkei nach Wahl tief gespalten - BR24

Hohe Zustimmung für Erdoğan unter Türken in Deutschland

Unter den Türken in Deutschland fiel die Zustimmung für Erdoğan erneut höher als in der Türkei aus. Hierzulande stimmten rund 67,4 Prozent für den alten und neuen Präsidenten - in der Türkei waren es rund 52 Prozent. Gökay Sofuoğlu, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, sagte, es sei ein hoch emotionalisierter Wahlkampf von beiden Seiten gewesen. "Und man weiß: Wenn es um Emotionen geht, kann eigentlich niemand gegen Erdoğan gewinnen."

Özdemir: Jubelfeiern sind Absage an pluralistische Demokratie

Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) kritisierte das Wahlverhalten von Türken in Deutschland scharf: Ihn interessiere, was in Deutschland los sei, wo die Anhänger von Erdoğan feierten, "ohne für die Folgen ihrer Wahl einstehen zu müssen", schrieb der Politiker in der Nacht auf Twitter. Das müssten viele Menschen in der Türkei durch Armut und Unfreiheit. "Sie sind zurecht wütend. Darüber wird zu reden sein!" In Bezug auf die Jubelfeiern in mehreren deutschen Städten schrieb er: "Die Autokorsos sind keine Feiern harmloser Anhänger eines etwas autoritären Politikers. Sie sind eine nicht zu überhörende Absage an unsere pluralistische Demokratie und Zeugnis unseres Scheiterns unter ihnen. Übersehen geht nicht mehr."

Außerdem forderte Özdemir eine Zeitenwende in der deutschen Türkei-Politik. "Wir haben im Umgang mit Putin gesehen, wozu das führt, wenn man sich eine Situation schönredet", sagte er mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. "Die Zeitenwende, die wir Gott sei Dank endlich haben im Umgang mit Putin, die braucht es jetzt auch im Umgang mit türkischem Ultranationalismus, die braucht es jetzt auch im Umgang mit Fundamentalismus", so der Grünen-Politiker.

Die Wiederwahl Erdoğans habe konkrete Folgen für die Gesellschaft in Deutschland - unter anderem, weil viele in Deutschland tätige Imame von der türkischen Religionsbehörde entsandt würden. Man müsse darüber sprechen, welche Konsequenzen es habe, "wenn die nächste Generation von Imamen aus der Türkei noch nationalistischer, noch religiös fundamentalistischer sein wird. Das werden ja welche sein, die Kinder beeinflussen in Deutschland", sagte Özdemir.

Kanzler Scholz gratuliert

Währenddessen setzen andere Teile der Bundesregierung auf Kooperation. Kanzler Olaf Scholz (SPD) gratulierte zur Wahl und lud Erdoğan nach Berlin ein. Die beiden Politiker hätten bei einem Telefonat vereinbart, "die Zusammenarbeit zwischen beiden Regierungen mit frischem Elan anzugehen und sich früh zu gemeinsamen Schwerpunkten abzustimmen", erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit.

Ulusoy: Trotzhaltung bei der jüngeren Generation

Dass Erdoğan bei den Wahlberechtigten in Deutschland so gut ankommt, hat laut Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien in Essen vielfältige Gründe: Zum einen kommen viele Menschen, die im Zuge der Arbeitsmigration in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts nach Deutschland kamen, aus dem anatolischen Kernland. Dort herrschten konservativ-religiöse Lebensstile vor - die Wertvorstellungen seien an die nächsten Generationen weitergegeben worden, sagte Ulusoy.

Gerade bei der jüngeren Generation, die eigentlich komplett in Deutschland sozialisiert worden sei, gebe es zudem mitunter eine Trotzhaltung. Es seien teils verletzende Erfahrungen gemacht worden, dass Türke oder Moslem zu sein in Deutschland keine große Wertigkeit hätten, sagte Ulusoy. "Und dann kommt ein Präsident, der ihnen das Gefühl gibt, diese Wertigkeit anzuerkennen, ihre Zugehörigkeit zur Türkei zu betonen und nicht zuletzt auch ihre Emotionen, ihre Herzen anzusprechen. Und das gelingt Erdoğan sehr, sehr gut."

Wähler der Opposition in Bayern sind dagegen zutiefst enttäuscht: "Ich hatte die Hoffnung, dass nach dem Erdbeben und der jetzigen Inflation viele merken, dass die Regierung schlecht für die Türkei ist", sagt eine 19-Jährige Erstwählerin aus Schwaben BR24. "Ich habe Angst um die Zukunft der Türkei, vor allem um die Demokratie dort."

Was hat die Opposition falsch gemacht?

Doch die Sechser-Allianz um Kılıçdaroğlu hat es nicht geschafft, einer Mehrheit zu vermitteln, dass der Oppositionsführer die bessere Alternative zu Erdoğan sei. In der ersten Runde setzte sie auf einen positiven Wahlkampf und versöhnliche Rhetorik. Vor der zweiten Runde folgte dann die Kehrtwende. In einem verzweifelt anmutenden Versuch, ultranationalistische Wähler auf seine Seite zu ziehen, befeuerte Kılıçdaroğlu eine Antiflüchtlingsrhetorik. Er ging einen Pakt mit einem rechtsnationalen Politiker der Zafer-Partei ein. Die 180-Grad-Wende kam auch in eigenen Reihen nicht gut an und vor allem nicht bei den kurdischen Wählern. Obwohl die prokurdische HDP noch mal zur Unterstützung Kılıçdaroğlu aufrief, lag die Wahlbeteiligung im kurdisch geprägten Südosten unter der von der ersten Runde.

In der Türkei begann noch am Abend die Diskussion darüber, ob der 74 Jahre alte Kılıçdaroğlu vielleicht auch der falsche Mann gegen Erdoğan war. Viele hätten lieber den jüngeren und beliebten Bürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, als Kandidat gesehen - doch İmamoğlu war Ende 2022, weil er angeblich türkische Beamte beleidigt haben soll, zu zwei Jahren und sieben Monaten Gefängnis verurteilt worden. Das Verfahren muss noch von höheren Gerichtsinstanzen bestätigt werden.

Mammutaufgaben: Wirtschaftskrise und Wiederaufbau in Erdbebenregion

Erdoğan steht nun vor Mammutaufgaben. Er muss der Wirtschaft des Landes ankurbeln und die hohe Inflation stoppen. Im Erdbebengebiet steht ein riesiger Wiederaufbau an und er muss überlegen, wie es mit den syrischen Flüchtlingen im Land weiter geht. Zumindest die rund vier Millionen Syrer dürften nach Erdoğans Sieg erstmal aufatmen. Zwar hat auch Erdoğan, wie die Opposition, angekündigt, Flüchtlinge wieder nach Nordsyrien zurückzuschicken, aber mit größeren Umsiedlungen rechnen Beobachter in Kürze nicht.

Erdoğan wisse genau, dass mittelständische türkische Unternehmer im Südosten des Landes syrische Flüchtlinge als Arbeitskraft bräuchten, sagt Expertin Aksoy. Schwierig für die Wirtschaft könnte allerdings auch der erwartete Brain Drain werden, die Abwanderung gut ausgebildeter, junger Menschen. Umfragen zufolge wollen viele Menschen, die für sich keine Zukunft mehr sehen, das Land verlassen.

Weber: Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU will niemand mehr

Europa und die USA wiederum müssen sich weiter auf Verhandlungen mit einem schwierigen Nato-Partner einstellen. Seine Vermittlerrolle im Ukraine-Krieg wird Erdoğan wohl beibehalten. Auch die EU muss sich überlegen, wie es mit der Türkei weitergeht: Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, sprach sich bereits dafür aus, den EU-Beitrittsprozess zu beenden. "Die letzten Jahre haben gezeigt, dass eine enge Partnerschaft wichtig ist, eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU allerdings niemand mehr will - weder die Türkei noch die EU", sagte der CSU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Diesen Prozess müssen wir zu den Akten legen, weil er bessere Beziehungen mehr blockiert als unterstützt."

Mit Informationen von AFP, dpa und Reuters

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