Es sei jetzt schon das vierte Mal in diesem Jahr, dass ihn sein Weg in ein Hochwassergebiet führe, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag im oberbayerischen Ort Reichertshofen – schon sein Terminkalender werde so zum Warnzeichen, zum „Hinweis darauf, dass was los ist“. Die Aufgabe, so Scholz weiter, „den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten“, dürfe daher nicht vernachlässigt werden. „Auch das ist eine Mahnung, die aus diesem Ereignis und dieser Katastrophe mitgenommen werden muss.“
Reichertshofen ist einer der Orte, die besonders schwer von der Hochwasserkatastrophe im Süden Deutschlands getroffen wurden. Am Montag sicherte Scholz dort allen Betroffenen Solidarität zu. Solidarität sei das, „was wir als Menschen am meisten brauchen“, sagte er. „Wir werden alles dazu beitragen, auch mit den Möglichkeiten des Bundes, dass hier schneller weiter geholfen werden kann.“ Solidarität sei „geübte Praxis“, hob Scholz hervor. „Das gehört sich so, und so ist Deutschland.“ Am Nachmittag twitterte er: „Solidarität ist das Gebot der Stunde“.
Mit Scholz waren Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in den Ort gekommen. Faeser registrierte in dem großangelegten Hilfseinsatz nach den Überschwemmungen auch Lerneffekte aus der Katastrophe im Ahrtal. Sie sei beeindruckt, wie gut die Rettungskräfte zusammenarbeiteten, sagte sie in Reichertshofen. Ihr Eindruck sei, „dass nach dem Ahrtal auch die Lehren daraus gezogen wurden, dass das viel besser funktioniert in der Koordinierung, in der Zusammenarbeit“. Auch der Zusammenhalt in der Region habe ihr imponiert, und vor allem die Tätigkeit der ehrenamtlichen Helfer. Der Feuerwehrmann, der in der Nacht zu Sonntag bei einem Einsatz im Landkreis Pfaffenhofen tödlich verunglückt war, habe „unter Einsatz seines Lebens andere Menschenleben gerettet“, sagte Faeser. „Was Menschen im Ehrenamt auf sich nehmen, um andere zu retten, ist unfassbar großartig.“ Das werde viel zu wenig gewürdigt. Sie sprach den Angehörigen des Verunglückten ihr „tief empfundenes Beileid“ aus.
Leiche im Keller eines Hauses gefunden
Am Montag wurde bekannt, dass es ein weiteres Todesopfer der Flutkatastrophe in Bayern gab. Rettungskräfte fanden im nahen Ort Schrobenhausen eine Leiche im Keller eines Hauses. Es handelt sich laut Polizei um eine vermisste 43 Jahre alte Frau, nach der seit Sonntag gesucht worden war. Der Ehemann der Frau hatte am Samstagabend einen Notruf abgesetzt. Rettungstaucher fanden nun in dem Keller eine weibliche Leiche, die als die vermisste Frau identifiziert wurde. Auch in Baden-Württemberg wurden am Montag zwei Todesopfer bekannt. Wie ein Sprecher des Polizeipräsidiums in Aalen sagte, wurden in einem Haus in Schorndorf im Rems-Murr-Kreis die Leichen eines Mannes und einer Frau gefunden. Noch vermisst wird ein Feuerwehrmann. Der 22 Jahre alte Mann war im schwäbischen Ort Offingen in der Nacht zum Sonntag mit einem Boot der DLRG-Wasserrettung unterwegs gewesen, das in der starken Strömung kenterte. Vier Einsatzkräfte konnten sich an Land retten. Nach dem Zweiundzwanzigjährigen suchten Helfer weiter.

Auch wenn es am Montag an manchen Flussläufen Zeichen der Entspannung gab und mancherorts die Aufräumarbeiten begannen, konnte von einer Entspannung der Situation noch nicht die Rede sein. Im Landkreis Pfaffenhofen ist der Damm des Flusses Paar nach Angaben des Landratsamtes mittlerweile an drei Stellen gebrochen. In den betroffenen Gebieten in Baar-Ebenhausen und Manching seien alle Bewohner aufgefordert, in ihren Wohnungen und Häusern das Erdgeschoss zu verlassen und höhere Stockwerke aufzusuchen. Bis zu 800 Menschen wurden in Baar-Ebenhausen in Sicherheit gebracht. In der Grund- und Mittelschule Reichertshofen seien rund 250 Betroffene untergebracht. Die Paar ist ein Nebenfluss der Donau.
Rund 20.000 Hilfskräfte in Bayern im Einsatz
„Die Lage ist und bleibt ernst und kritisch und angespannt“, sagte der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Montag in Reichertshofen. Rund 20.000 Hilfskräfte seien derzeit in Bayern im Einsatz, insgesamt seien seit dem Wochenende schon 50.000 Helfer tätig gewesen. Auch Söder führte den Klimawandel als Ursache der Katastrophe an. Es gebe vermehrt „Ereignisse, die es vorher nicht gab“, darum müsse man sich „Klimaschutz, Klimaanpassung noch viel stärker widmen“. Es seien schon Milliarden in den Hochwasserschutz gesteckt worden, die Polder-Strategie müsse aber ausgebaut und fortgesetzt werden – auch wenn sich in betroffenen Gebieten Widerstand gegen die Einrichtung neuer Hochwasserschutzmaßnahmen rege. An diesem Dienstag wolle sich das bayerische Kabinett mit der Hochwasserkatastrophe und schnellen, unbürokratischen Hilfen befassen, kündigte Söder an. „Das Wasser kommt relativ kurz, aber die Schäden sind sehr, sehr lang.“
Der Hochwasser-Schwerpunkt verlagerte sich derweil nach Osten. Der Hochwassernachrichtendienst Bayern rechnete damit, dass die Donau von Regensburg an flussabwärts ähnlich viel Wasser führen wird wie beim Hochwasser 2002. Doch auch in Schwaben drohten am Montag weitere Dammbrüche. Im Landkreis Donau-Ries wurde die Bevölkerung der Orte Heißesheim und Auchsesheim aufgefordert, das Gebiet umgehend zu verlassen, weil Dämme nachgeben könnten. Notunterkünfte seien eingerichtet worden.
Söder: „Wir bleiben in Hab-Acht-Stellung“
Im Zentrum des Hochwassergeschehens in Baden-Württemberg standen am Montag der Rems-Murr-Kreis mit der Gemeinde Rudersberg, die Gemeinde Meckenbeuren im Bodenseekreis und die Städte Esslingen und Biberach, wo größere Katastrophen nur mit dem Bau von Hilfsdämmen verhindert werden konnten. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Innenminister Thomas Strobl (CDU) besuchten am Montag das Hochwassergebiet in Erbach im Alb-Donaukreis und in Meckenbeuren im Bodenseekreis. In der Nähe von Erbach konnte ein Umspannwerk der Netzgesellschaft Netze BW, das mehr als 30.000 Haushalte mit Strom versorgt, nur mit großer Mühe und dem Einsatz großer Pumpen vor der Überflutung gerettet werden.
Besonders stark betroffen war die Gemeinde Rudersberg im Rems-Murr-Kreis. Dort verschlammte das Wasser die Straßen, viele Bewohner mussten ihre Häuser verlassen, Autos spülte das Wasser davon. Einige landeten auf Bahngleisen, eines kam auf einem Brunnen zum Stehen. An der Donau in Ulm und Neu-Ulm wurde damit gerechnet, dass der Pegelstand des Jahrhunderthochwassers von 1999 überschritten werden könnte. Von Samstagmittag an stieg der Pegel aber langsamer als prognostiziert.
Auch die Nacht zu Dienstag wird laut Deutschem Wetterdienst in Teilen Schwabens und Oberbayerns von Dauerregen geprägt sein. Gebietsweise sollen 40 bis 50 Liter pro Quadratmeter in etwa 18 Stunden fallen. An den Alpen könnten es bis zu 60 Liter pro Quadratmeter sein. „Hoffen wir, dass wir die nächsten Tage gut überstehen“, sagte Markus Söder bei seinem Besuch in Reichertshofen. Und: „Wir bleiben in Hab-Acht-Stellung.“
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