Am Ende haben sie sich dann doch noch zusammengerauft; ein wenig zähneknirschend und zerzaust von diesem langen Tag die Ministerpräsidenten sowie, auch etwas abgekämpft, der Bundeskanzler. Dienstagmorgen, 2:47 Uhr: Bund und Länder haben einen Kompromiss erstritten. Einen Asylkompromiss – und den nicht nur, wie lange überfällig und erwartet, bei den Kosten der Unterbringung und der Integration von Asylsuchenden. Es soll künftig auch deutlich schneller gehen mit den Asylverfahren, es soll weniger Geld geben für Asylbewerber, Bezahlkarten sollen für Leistungsbezieher das Bargeld ersetzen – und eventuell sollen Asylverfahren sogar außerhalb der EU-Grenzen durchgeführt werden können. Aber ganz so weit ist es natürlich noch nicht.
Dennoch: Deutschland – das ist der Kern des Beschlusses, den die 16 Länderchefs und der Bundeskanzler nach insgesamt 17 Stunden Verhandlungen gefasst haben – soll unattraktiver werden als Zielstaat für Migranten. Olaf Scholz spricht, angesichts der Uhrzeit vielleicht noch ein bisschen vernuschelter und leiser als ohnehin gewohnt, von einem „sehr historischen Moment“, den man hier gerade erlebe. Angesichts einer „unbestreitbar großen Herausforderung wegen sehr großer Zahlen in Hinblick auf Flucht, Migration und irregulärer Migration“, so der Kanzler, hätten die verschiedenen Ebenen dieses Landes sich darauf verständigt, dieser Herausforderung zu begegnen. „Eine gute Nachricht früh am Morgen.“
Deren Details finden sich auf 17 Seiten Beschlussfassung zu Top 6 dieser Ministerpräsidentenkonferenz „Flüchtlingspolitik – Humanität und Ordnung“. Das Papier beinhaltet neben den mittlerweile bekannten und unstrittigen Bekenntnissen zu einem besseren Schutz der europäischen Außengrenzen, verstärkten Kontrollen auch an den nationalen Grenzen und der Notwendigkeit von Migrationsabkommen mit den Herkunftsländern diverse Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, die Zahl der sich in Deutschland aufhaltenden Asylbewerber zumindest mittelfristig deutlich abzusenken.
Zu diesem Zweck sollen die Asylverfahren in allen Bundesländern beschleunigt werden. Vorgabe wird sein, die erstinstanzlichen Verfahren beim Bundesamt für Migration und vor Gericht auf generell jeweils sechs Monate, also maximal ein Jahr, zu verkürzen. Asylverfahren von Bewerbern aus Staaten, die eine geringe Anerkennungsquote von unter fünf Prozent haben, sollen innerhalb eines halben Jahres abgeschlossen werden. Das wäre in den meisten Bundesländern eine drastische Reduktion, für die Bund und Länder „die personellen und organisatorischen Voraussetzungen schaffen“ wollen. Hilfreich soll zudem eine umfassende Digitalisierung der zuständigen Behörden sein. Statt Bargeld sollen Asylbewerber künftig Bezahlkarten ausgehändigt bekommen.
Um die „Anreize für eine Sekundärmigration innerhalb Europas nach Deutschland zu senken“, sollen zudem die sogenannten „Analogzahlungen“ in Höhe der Sozialhilfe, die Asylbewerber bisher bereits nach 18 Monaten Aufenthalt in Deutschland gezahlt wurden, künftig erst nach 36 Monaten fällig werden. Bis dahin erhalten sie dann weiter deutlich geringere Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Eine Kürzung der Sozialleistungen für Geflüchtete, die dem Bund mehrere Hundert Millionen Euro Ersparnis bringt und dem Kanzler – sowie dessen Finanzminister – einen weiteren Beschluss dieser MPK deutlich erleichterten.
Nach monatelangem Streit um die Kosten für die Unterbringung und Integration sollen Länder und Kommunen künftig eine Pauschale von 7500 Euro pro Asylbewerber und Jahr ausgezahlt bekommen. Das ist, wie bei einem Kompromiss üblich, weniger als Länder und Kommunen gefordert hatten und mehr als der Bund bieten wollte. Die Zahlungen sollen die Jahrespauschalen ersetzen, die der Bund ursprünglich für 2024 deutlich kürzen wollte. Ob die Kommunen mit dem gefundenen Kompromiss am Tag so zufrieden sind wie die Ländervertreter Boris Rhein (CDU) und Stephan Weil (SPD) in der Nacht, wird sich erst noch zeigen.
Bemerkenswerte Allianz der Union mit Kretschmann bei der Auslagerung von Asylverfahren
Die beiden Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz beließen es nach dem Verhandlungsmarathon bei kurzen, keinesfalls historischen Statements. Rhein sprach von einem „ersten großen Schritt“, wobei die Union sich auch noch weitere Schritte vorstellen könne. Weil von einem „guten Gesamtergebnis“ nach einem „Tag mit Höhen und Tiefen“. Was eher beschönigende Worte für den Streit waren, den sich die Länderchefs vor dem Gespräch mit dem Kanzler untereinander geliefert hatten.
Dieser hatte sich an einer ganzen Reihe von weiteren Vorschlägen zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen entzündet, die die Regierungschefs der von der Union und den Grünen geführten Bundesländer (B-Länder) überraschend zu einem vorbereitenden Treffen in der hessischen Landesvertretung vorlegten. Eine Liste, die sich stark an jenem 26-Punkte-Programm orientierte, das CDU-Chef Friedrich Merz dem Kanzler bereits im Oktober präsentiert hatte, und die nach Ansicht der von der SPD und der Linkspartei angeführten Bundesländer (A-Länder) weit über jene Asylbeschlüsse hinausging, die die Ministerpräsidenten Mitte Oktober einstimmig gefasst hatten. Affront, große Aufregung. Die gemeinsame Sitzung der Regierungschefs wurde erst einmal unterbrochen, Rückzug in die eigenen A- beziehungsweise B-Reihen.
Besonders umstritten: Die von der Unionsseite – mit bemerkenswerter Unterstützung von Winfried Kretschmann (Grüne) – vorgetragene Forderung nach einer Auslagerung deutscher Asylverfahren in Drittländer. Ein Vorgehen, von dem sich die Unionsseite verspricht, dass sich zum Beispiel afrikanische Flüchtlinge – in dem Wissen, dass sie für ein Asylverfahren ohnehin wieder auf ihren Kontinent zurückgebracht werden – erst gar nicht auf den risikoreichen und teuren Weg nach Europa machen. Ob ein solches Kalkül am Ende aufgehen würde und welches Land eine solche deutsche Exil-Asylbehörde beherbergen würde, steht in den Sternen.
Macht aber nichts, weil die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten angesichts der spontanen Unionsattacke ohnehin erst einmal auf stur schalteten. Von „nicht wirklich erquicklichen“ Beratungen sprach der amtierende A-Länder-Vorsitzende, Niedersachsens Stephan Weil, anschließend. Kollege Boris Rhein (CDU), derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, räumte eine gewisse Stillosigkeit im Umgang miteinander ein. Man komme mit solchen Punkten eigentlichen „früher auf seinen Partner zu“. Allerdings habe es auch in der Union zuvor Diskussionen gegeben, „ob man diesen oder jenen Punkt gerne als Priorität setzen möchte“. Und diese Diskussionen hätten etwas länger gedauert.
Asylverfahren in Transitstaaten könnten auch die Zustimmung der SPD finden
Weil seinerseits hatte seine Skepsis gegenüber dem zuerst vom Nordrhein-Westfalen Hendrik Wüst ins Spiel gebrachten Vorstoß in einem WELT-Interview bereits so zusammengefasst: „Nicht hilfreich sind dagegen Konzepte, wie sie derzeit unter dem Stichwort ,Ruanda‘ in manchen Köpfen herumgeistern. Menschen gegen ihren Willen einfach in irgendeinen anderen Teil der Welt zu bringen, mit dem sie nie etwas zu tun hatten, und sie dort einem völlig ungewissen Schicksal zu lassen, halte ich für hochproblematisch.“
Niedersachsens Regierungschef bezog sich mit dieser Anmerkung auf den Plan der britischen Regierung, die illegal eingereiste Flüchtlinge künftig ins ostafrikanische Ruanda bringen lassen will, um dort über den jeweiligen Asylantrag entscheiden zu lassen – ein Muster für den Vorschlag der Union. Allerdings ist unklar, ob die Abwicklung des Asylverfahrens in einem beliebigen Drittstaat mit deutschem und EU-Recht vereinbar wäre. Auch in Großbritannien beschäftigt das Modell vorerst noch die Gerichte. Einen Abschiebeflug Richtung Ostafrika hat es bisher nicht gegeben.
Im Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Kanzler findet sich statt des „Ruanda-Konzepts“ jetzt ein Prüfauftrag für die Bundesregierung. Die möge bitte herausfinden, „ob die Feststellung des Schutzstatus von Geflüchteten unter Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukünftig auch in Transit- oder Drittstaaten erfolgen“ könne. Wobei sich mit einem Asylverfahren in Transitstaaten – also in Ländern, über deren Boden Asylbewerber nach Deutschland gelangt sind – wohl auch die SPD-geführten Bundesländer anfreunden könnten. Die Debatte, ob sinnvoll oder nicht, dürfte in den kommenden Wochen und Monaten fortgesetzt werden.
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