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Dietmar Bartsch gibt auf: Linke in Auflösung - Berliner Zeitung

Die Krise der Linkspartei spitzt sich weiter zu. Nun hat auch der langjährige Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch angekündigt, dass er sein Amt abgeben werde. Bei der kommenden Vorstandswahl am 4. September werde er nicht erneut kandidieren, erklärte der 65-Jährige am Mittwoch in einem Schreiben an die Fraktion. Das Dokument liegt der Berliner Zeitung vor. Den Entschluss habe er vor langer Zeit gefasst, schrieb Bartsch.

Am Nachmittag erklärte Bartsch, er habe seine Entscheidung eigentlich schon an seinem Geburtstag am 31. März bekannt geben wollen. Angesichts der Lage seiner Partei sei ihm damals jedoch davon abgeraten worden. Vor einigen Tagen erst hatte seine Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali ihren Rückzug angekündigt. Hintergrund ihrer Entscheidung war jedoch der Richtungsstreit um die Abgeordnete Sahra Wagenknecht.

Wagenknecht trägt die politische Linie der Bundesvorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan nicht mit und will bis zum Jahresende entscheiden, ob sie eine eigene Partei gründet. Falls es dazu kommt, droht der Linken und ihrer Bundestagsfraktion die Spaltung. Es wird erwartet, dass dann mehrere der 39 Abgeordnete die Linke zusammen mit Wagenknecht verlassen würden. Mit weniger als 37 Mandaten würde der Fraktionsstatus verloren gehen und damit Geld, Posten und Einfluss der kleinen Oppositionspartei.

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Bartsch: Entscheidung schon lange gefallen

Bartsch begründete seinen geplanten Rückzug aber nicht mit der aktuellen Krise, sondern schrieb an die Abgeordneten: „Meine Entscheidung, den Fraktionsvorsitz nach acht Jahren abzugeben, in denen ich die Fraktion zunächst mit Sahra Wagenknecht, dann mit Amira Mohamed Ali geleitet habe, ist lange vor der letzten Bundestagswahl gefallen. Meine Familie und engste politische Freunde kannten diese Entscheidung. Ja, viele haben mich in den vergangenen Tagen und Wochen heftig gedrängt, in dieser für die Partei nicht leichten Situation, noch einmal zu kandidieren. Letztlich bin ich bei meiner Entscheidung geblieben.“

Der 65-Jährige schrieb, dass er stolz sei auf das Bundestagswahlergebnis seiner Partei aus dem Jahr 2017. Damals erreicht die Linke 9,2 Prozent. Dieses Ergebnis habe er gemeinsam mit vielen anderen, aber „besonders mit meiner damaligen Mitspitzenkandidatin Sahra Wagenknecht und dem kompetenten Wahlkampfleiter Matthias Höhn“ erreichen können. In Umfragen kratzt die Partei aktuell an der Fünf-Prozent-Hürde.

Bartsch ist seit 2015 Co-Vorsitzender der Linke-Bundestagsfraktion, zuerst zusammen mit Wagenknecht, zuletzt mit Mohamed Ali. Diese hatte ihren Rückzug mit dem Umgang der Parteispitze mit Wagenknecht begründet. Zudem kritisierte sie in einem Schreiben an die Fraktion, dass die Parteispitze die Ampel-Koalition nicht deutlich genug angreife und in erster Linie enttäuschte Grünen-Wähler für sich gewinnen wolle. Mohamed Ali wird dem Lager von Wagenknecht zugerechnet. 

Seine Zukunft hatte Bartsch nach der Entscheidung der Co-Fraktionschefin zunächst offengelassen. Wer den beiden nachfolgen könnte, ist offen. Mit Bartsch zieht sich einer der prominentesten Linken aus der ersten Reihe zurück. Umso mehr drängt sich die Frage auf, wer künftig genug innerparteiliches Gewicht mitbringen könnte, um die Bundestagsfraktion anzuführen und zu einen. Bartsch galt lange als Integrationsfigur, die den linken und den pragmatischen Flügel in der Fraktion zusammenhielt – auch weil er jahrelang mit Wagenknecht harmonierte. Er selbst gilt als Pragmatiker, warnte stets vor einer Spaltung der Partei.

Im Juni hatte er den Beschluss der Parteispitze für eine Abgrenzung von Wagenknecht jedoch unterstützt. Als Grund nannte er die mögliche Parteigründung, mit der Wagenknecht seit Monaten auch öffentlich liebäugelt.

Die Parteichefs Wissler und Schirdewan bedankten sich in einem Statement bei Bartsch „für die Zusammenarbeit, die Offenheit und klaren Worte“. Er sei über die Jahre nicht nur eines der bekanntesten Gesichter der Partei geworden, sondern auch „eine laute Stimme für Ostdeutschland, für soziale Gerechtigkeit und gegen Kinderarmut“. Bartsch stammt aus Mecklenburg-Vorpommern. Die Parteispitze sei in den vergangenen Tagen in engem Austausch mit ihm gewesen und habe „großen Respekt für seine Beweggründe“. Man bedauere die Entscheidung. 

Weiter heißt es, dass sich die Parteispitze „aus vollem Herzen“ den Worten des scheidenden Fraktionschefs anschließe, der in seinem Schreiben an die Abgeordneten betonte: „Viele schwadronieren aktuell wieder über das Ende der Linken. Sie werden sich ein weiteres Mal irren, wenn die Werte, um die wir in der Gesellschaft kämpfen wie Menschlichkeit, Solidarität, Herzlichkeit und viel Lächeln wieder unser Handeln bestimmen und wir zugleich aus der Geschichte linker Parteien die notwendigen Schlussfolgerungen ziehen.“

Auch schrieb Bartsch, dass der Linken oft der „Untergang prophezeit“ worden sei. Gemeinsam habe man das Blatt jedoch jedes Mal gewendet. Doch auch Bartsch dürfte bewusst sein, dass die Krise seiner Partei wohl so groß ist wie nie zuvor.

Seit Monaten arbeiten Wagenknecht und ihre Verbündeten an Strukturen für eine mögliche Parteigründung. Ob es so weit kommt, soll bis Ende des Jahres entschieden werden. Als mahnendes Beispiel gilt dabei die linke Sammlungsbewegung „Aufstehen“, die im Jahr 2018 von Wagenknecht initiiert wurde. Diese nahm jedoch nie richtig an Fahrt auf und verlor bald an Bedeutung, nachdem Wagenknecht sich aus der Spitze zurückgezogen hatte.

Öffentlich hält sich das Lager um Wagenknecht bedeckt, was den Stand der Vorbereitungen für eine neue Partei betrifft. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass es vor allem auch darum gehe, ausreichend fähige und vertrauenswürdige Mitstreiter um sich zu sammeln.

Derweil geizt die Gruppe um Wagenknecht nicht mit offener Kritik am Kurs der Parteispitze. Das war nach der Ankündigung des Rückzugs von Amira Mohamed Ali so, und so ist es auch im Falle von Dietmar Bartsch. Sie danke Bartsch für seine Arbeit, sagte die Bundestagsabgeordnete Zaklin Nastić der Berliner Zeitung. „Bei dieser hat er als Fraktionsvorsitzender gemeinsam mit Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali lange versucht, den fatalen Kurs der aktuellen Parteispitze entgegenzuwirken.“

Seine Ankündigung, nicht mehr als Fraktionschef zu kandidieren, demonstriere „eindeutig das Scheitern der Politik“ der aktuellen Parteiführung. „Statt die Nöte und Sorgen der Arbeiter in den Fokus zu nehmen“, jage sie vergeblich den Stimmen von Grünen-Wählern hinterher. „Damit verscheucht man parteiintern auch noch die letzten vernünftigen Menschen und noch mehr die verbliebenen Wähler. Schlechte Wahl- und Umfrageergebnisse sind daher die logische Konsequenz“, sagte Nastić der Berliner Zeitung.

Berliner Linke: Brauchen laute Stimme im Bundestag

Der 65-jährige Dietmar Bartsch wurde in Stralsund geboren und bekleidet seit Jahrzehnten hohe Parteiämter. Lange war er Bundesgeschäftsführer der Vorgängerpartei PDS und der 2007 neu gegründeten Linken. 2009 managte er den Bundestagswahlkampf. 2012 kandidierte er als Parteichef, verfehlte aber die nötige Mehrheit. 2017 war Bartsch neben Wagenknecht Spitzenkandidat zur Bundestagswahl, 2021 trat er mit Parteichefin Wissler an.

Für die Linke in der Hauptstadt meldete sich der stellvertretende Landesvorsitzende Bjoern Tielebein zu Wort. Man respektiere die Entscheidung und danke Bartsch für sein langjähriges Engagement. Bartsch war und bleibe eine wichtige Persönlichkeit für die Partei. Mit Blick auf die zerstrittene Fraktion im Bundestag sagte Tielebein, diese müsse „jetzt ein starkes Führungsteam finden, denn gerade in diesen Zeiten brauchen wir eine laute und engagierte linke Stimme im Bundestag“.

Die Co-Chefin der Berliner Abgeordnetenhausfraktion, Anne Helm, kann in Bartschs Ankündigung „kein Erdbeben“ erkennen, sein Rückzug sei auch „nicht der letzte Sargnagel für die Bundestagsfraktion“. Vielmehr müsse sich die Fraktion jetzt „gemeinsam aufstellen“. Vor allem müssten „diejenigen, die permanent darüber reden, eine neue Partei gründen zu wollen“ dies unterlassen, sagte Helm.

Wer das sei, daran ließ Helm im Gespräch mit der Berliner Zeitung keinen Zweifel: Sahra Wagenknecht. Deren Gerede über „Lifestyle-Linke“ sei „angesichts einer stärker werdenden faschistischen Gefahr fahrlässig“. Schon solche Debatten zu befeuern halte sie für „unverantwortlich“, so Helm.

Was wird aus der Linkspartei?

Insgesamt dreht sich der Streit in der Linken nicht nur um die Person Wagenknecht, sondern um die Frage, was moderne „linke“ Politik ist. Die Parteispitze umwirbt die Klimabewegung und will radikalen Klimaschutz mit sozialem Ausgleich verbinden. Wagenknecht und ihre Unterstützer warnen vor zu großen Belastungen durch Klimaschutz. Sie wollen Migration begrenzen und trotz des Ukraine-Kriegs weiter billige Energieimporte aus Russland.

Auf dem jüngsten Bundesparteitag der Linken 2022 konnten Wagenknechts Anhänger sich nicht durchsetzen. Wissler und Schirdewan sicherten sich hingegen die Unterstützung einer Mehrheit der Delegierten.

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