Die Nöte an den Schulen sind so groß, dass schnelle Lösungen herbeigesehnt werden. Mit welchen Maßnahmen die vielfältige Misere überwunden werden soll und ob das Kompetenzgeflecht zwischen Bund, Ländern und Kommunen verändert wird, bleibt allerdings unklar. Mehr noch: Der geplante „Bildungsgipfel“ am kommenden Dienstag weckt nur geringe Erwartungen. Zahlreiche Ressortchefs aus den Ländern würden nicht teilnehmen, berichten verschiedene Medien.
Als dringlichste Probleme gelten der Lehrermangel und die Defizite bei der Digitalisierung. Der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE) beklagt bundesweit etwa 50.000 fehlende Lehrkräfte. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) nannte gegenüber „Bild am Sonntag“ als höchste Priorität, „mehr Lehrerinnen und Lehrer in den Beruf zu bringen, die Zahl der Studienabbrecher im Lehramt zu senken und den Lehrerberuf attraktiver zu machen“. Neue Lehrer sollen mit finanziellen Zulagen gelockt werden. „Leistungsprämien sind heute schon vielfach möglich. Denkbar wäre auch, bei den Gehaltsstufen absolvierte Fortbildungen und die Unterrichtsqualität zu berücksichtigen. Das müssen die Länder entscheiden“, so Stark-Watzinger.
Für den Vorschlag eines Prämienmodells erntet die Ministerin zwar Beifall von den eigenen Leuten, nicht aber vom Koalitionspartner: „Auch für Lehrkräfte sollte sich gute Leistung auszahlen. Leistungsgerechte Vergütung steigert die Attraktivität des Berufes und die Qualität des Unterrichts“, betonte die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion Ria Schröder auf WELT-Anfrage.
Ablehnend äußerte sich hingegen Kai Gehring (Grüne), Vorsitzender des Bildungsausschusses im Bundestag: „Die Bezahlung von Lehrkräften hierzulande ist im internationalen Vergleich sehr gut und Leistungsprämien werfen zahlreiche ungelöste Fragen auf – von Kriterien und Messung über Rolle der Schulleitung bis zu Folgen für Kollegien –, darum rate ich Bund, Ländern und Kommunen, sich auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu fokussieren.“
Kritisch reagierte auch Unionsfraktionsvizin Nadine Schön (CDU): „Bisher kenne ich als einzigen Vorschlag zu den Problemen unseres Bildungssystems Leistungsprämien für Lehrkräfte. Das aber ist originäre Ländersache und lenkt nur von den wahren Problemen und Verantwortlichkeiten ab.“
Der VBE lehnt solche Prämien klar ab. „Leistungsprämien sind in der Breite des Berufsfeldes nicht sinnvoll. Zum einen fehlen objektive Kriterien und zum anderen setzen sie falsche Anreize, wenn zum Beispiel die Abschlussquote entlohnt werden soll. Dann bin ich als Lehrkraft immer besser damit beraten, nicht an Schulen in herausfordernden Lagen zu unterrichten. Das ist das Gegenteil, von dem, was wir wollen“, betonte VBE-Chef Gerhard Brand.
Stattdessen sollten bessere Möglichkeiten geschaffen werden, die kontinuierliche Übernahme von Aufgaben zu entlohnen, etwa Aufstiegsmöglichkeiten an allen Schulen schaffen oder Stundenkontingente zu erhöhen, um Lehrkräften mehr Zeit für besondere Aufgaben zu gewähren.
Grundsätzlich soll nach den Vorstellungen der Ampel-Fraktionen die Zusammenarbeit im Föderalismus verbessert werden. „Wir brauchen zwischen Bund und Ländern ein Kooperationsgebot statt eines Kooperationsverbots. Alle Akteure müssen eng zusammenarbeiten können, um die Herausforderungen des Bildungswesens anzugehen. So sind vor allem bundesweit einheitliche Qualitätsstandards essentiell“, erklärte FDP-Bildungsexpertin Schröder.
Gleichzeitig brauche es „eine Kompetenzverlagerung an die Schulen vor Ort. Diese brauchen Entscheidungsfreiheit und Ressourcen, um nicht bei jedem neuen Tablet in Bürokratie zu ersticken“. Schröder fordert verpflichtende Fortbildungen für das digitale „Update“ im Klassenzimmer. Zudem bräuchten Schulen für Administration und Fehlerbehebung bei digitalen Endgeräten IT-Fachkräfte. Lehrkräfte müssten von Bürokratie befreit und durch multiprofessionelle Teams unterstützt werden.
Bildungsgipfel dürfe keine „PR-Veranstaltung“ werden, so die SPD
SPD-Fraktionsvize Sönke Rix verlangte vom Gipfel nicht weniger als einen „Aufbruch“ für Schulen in benachteiligter Lage, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung, den Digitalpakt 2.0 und den Pakt für die Berufsschulen sowie für die vereinbarte ständige Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und Kommunen. „Ich hoffe sehr, dass der Bildungsgipfel nicht bloß eine reine PR-Veranstaltung wird, sondern die Ministerin konkrete Finanzzusagen für diese Vorhaben mitbringt“, so Rix.
Grünen-Parlamentarier Gehring fordert eine „Übereinkunft für eine neue, gesamtstaatliche bildungspolitische Kraftanstrengung“. Seiner Ansicht nach müsse der Bildungsföderalismus „kooperativer und zielgerichteter“ ausgestaltet werden.
Christdemokratin Schön bezeichnete den Gipfel als „blanken Hohn“. Sprechen könne man „allenfalls von einem unverbindlichen Treffen an der Talstation, um gemütlich über den Aufgabenberg zu reden“. Im Vorfeld seien keine klaren Ziele formuliert worden. „Es gibt weder ein klares Agendasetting, noch erwarte ich am Dienstag Lösungen für die mannigfaltigen Herausforderungen des Bildungssystems“, so Schön.
Linke-Fraktionsvizin Nicole Gohlke beklagte „markige Sprüche“, stattdessen brauche man „zackiges“ Handeln. „Schicke Ziele zu setzen, um deren Umsetzung wieder ein ewiges Gezeter zwischen Bund und Ländern ausbricht, können wir uns nicht leisten. Diese Zeit hat das Bildungssystem nicht mehr, wenn wir das Ruder noch herumreißen wollen“, so Gohlke.
In der AfD-Fraktion überwiegt die Skepsis. „Ohne eine Einstellungs- und Sanierungsoffensive brauchen wir über Digitalisierung gar nicht erst zu reden. Bund und Länder müssen hier gemeinsam in die Schatullen greifen, statt sich weiter gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben“, so deren schulpolitischer Sprecher Götz Frömming. Dabei warnte er vor einer „weiteren Schleifung des Bildungsföderalismus“. Der Bund habe „weder rechtlich noch fachlich die Kompetenz, um bessere Lösungen für die Probleme im Schulwesen anzubieten“.
VBE-Chef Brand fordert „dringend spürbare Entlastungen von Verwaltungsarbeiten und allem, was nicht den originären Unterricht betrifft“, um die Lehrkräfte „im System gesund zu halten“. Sie bräuchten Unterstützung durch multiprofessionelle Teams für eine individuelle Förderung sowie Gesundheits- und Verwaltungsfachkräfte neben zusätzlichen Finanzmitteln.
„Wenn ihnen keine Perspektive geboten werden kann, dass es wieder besser werden wird, wird es auf Dauer immer schwerer, sie zu motivieren, Mehrarbeit zu leisten“, warnte Brand. Der VBE-Vorsitzende lobt zwar den Bildungsgipfel, hält aber die Verständigung auf Länderebene in der Kultusministerkonferenz weiterhin für essenziell.
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