Im Einzelfall sind Einbürgerungen in der Bundesrepublik künftig schon nach drei Jahren möglich. Auch muss niemand mehr seinen alten Pass abgeben, will er Deutscher werden. Die wahlberechtigte Bevölkerung könnte sich dadurch signifikant verändern.
Deutschland hat sich ein weitreichendes neues Staatsangehörigkeitsrecht gegeben. 25 Jahre nach der letzten grossen Einbürgerungsreform der rot-grünen Regierung von Kanzler Gerhard Schröder von 1999 beschloss die Ampelkoalition an diesem Freitag im Bundestag eine entsprechende Novelle.
Diese zieht im Grunde die Linien der damaligen Reform aus. Bis zu deren Inkrafttreten im Jahr 2000 musste sich ein Ausländer mindestens 15 Jahre in der Bundesrepublik aufgehalten haben, ehe er einen Einbürgerungsantrag stellen konnte. Seither genügten 8, künftig gar nur 5 Jahre.
Durch besondere sprachliche oder berufliche Integrationsleistungen konnte diese Frist bisher schon auf 6 Jahre verkürzt werden. In Zukunft kann eine Einbürgerung sogar schon nach 3 Jahren erfolgen. Damit schiebt sich die Bundesrepublik aus dem Mittelfeld in die Spitzengruppe der europäischen Länder, was den Vorlauf vor einer Naturalisierung anlangt.
Doppelte Staatsangehörigkeit ist künftig erlaubt
Ein echter Paradigmenwechsel der Neuregelung ist die Aufgabe des Grundsatzes, wonach mehrfache Staatsangehörigkeiten zu vermeiden sind. Künftig muss ein Antragsteller, der Deutscher werden will, seinen bisherigen Pass also nicht mehr abgeben.
Das ist ein später Sieg der rot-grünen Regierung von 1999. Erste Entwürfe der Regierung Schröder sahen dies bereits in ähnlicher Weise vor. Starker Widerstand der Unionsparteien unter anderem durch eine bundesweite Unterschriftenkampagne führte dann aber zur Abschwächung. Faktisch spielte der Grundsatz immer weniger eine Rolle. Eine Mehrheit der Eingebürgerten behielt zuletzt auch nach ihrer Einbürgerung den Pass ihres Herkunftslandes. Dies hat vor allem damit zu tun, dass Schweizer und EU-Bürger schon bisher von der Regelung ausgenommen waren. Auch wurde bei Asylberechtigten und anerkannten Flüchtlingen die Mehrstaatigkeit akzpetiert.
Die Ampelregierung verlieh ihrer als Modernisierung verstandenen Reform von Anfang an eine kulturkämpferische Note. «Damit klopfen wir den letzten Staub der Kaiserzeit aus dem Staatsangehörigkeitsgesetz», sagte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, die Sozialdemokratin Reem Alabali-Radovan, schon 2022.
Tatsächlich bricht die Novelle noch stärker mit dem lange nachwirkenden Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz des deutschen Kaiserreichs von 1913. Dieses war vom Gedanken der Abstammung bestimmt. Deutscher war, wer von Deutschen abstammte. Das «ius sanguinis» genannte Prinzip wurde schon im Jahr 2000 um das «ius soli» genannte Geburtsortprinzip ergänzt.
Syrer führen Statistik an
Seither sind in Deutschland geborene Kinder von Ausländern unter bestimmten Umständen durch Geburt Deutsche. Dies war bisher nach 8 Jahren Aufenthalt mindestens eines Elternteils der Fall. Jetzt wurde diese Frist auf 5 Jahre gesenkt. Das Kind einer seit 5 Jahren in Deutschland lebenden Asylbewerberin mit unbefristeter Niederlassungserlaubnis etwa ist künftig damit per Geburt deutscher Staatsbürger.
Schon jetzt führen als Asylbewerber nach Deutschland gekommene Syrer die Einbürgerungsstatistik an. Von den im Jahr 2022 naturalisierten 168 500 Ausländern stammten 29 Prozent aus dem Bürgerkriegsland. Ihnen folgten mit deutlichem Abstand ukrainische, irakische und türkische Staatsangehörige. Bei den Personen, die durch besondere Integrationsleistungen ihre Einbürgerungsfrist verkürzen konnten, machten Syrer sogar 60 Prozent aus.
Nicht zuletzt dieser Umstand rief die Kritik der Oppositionsparteien im Bundestag auf den Plan. Sie befürchten, dass durch schnellere Einbürgerung ein weiterer Pull-Faktor für irreguläre Migration nach Deutschland geschaffen wird. Doppelte Staatsbürgerschaften, so die Kritik, könnten zudem dauerhafte Loyalitätskonflikte schaffen und die Integration verhindern. Beeinflussungsversuche des türkischen Staatspräsidenten Erdogan werden in diesem Zusammenhang häufig genannt. Beide Sorgen sind aufgrund bisheriger Erfahrungen nicht von der Hand zu weisen.
CDU und CSU lehnten die Pläne der Ampelkoalition deshalb ab und bezeichneten das Gesetz der «Ampel» als das mit den weitreichendsten negativen Folgen. Auch die AfD stimmte gegen das Gesetz. Sie will eine Rückkehr zu den vor dem Jahr 2000 geltenden Regelungen.
Unklar ist, mit welchen Zahlen die Ampelkoalition künftig bei den Einbürgerungen rechnet. Dies wird von Unionspolitikern im Bundestag kritisiert. Die «Ampel» treffe weitreichende Entscheidungen im Blindflug. Ende 2022 lebten nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes 84,4 Millionen Menschen in Deutschland, von denen 72 Millionen deutsche Staatsbürger waren. Die restlichen 12 Millionen waren Ausländer.
Unionspolitiker rechneten bei der Debatte im Bundestag vor, dass allein durch den Wegfall der Bestimmungen zur doppelten Staatsbürgerschaft etwa 2,5 Millionen Personen antragsberechtigt werden dürften. In welchem Umfang diese von der neuen Möglichkeit Gebrauch machen werden, ist unklar. Die Novelle hat aber zweifellos das Potenzial, die Zusammensetzung des Staatsvolks in signifikanter Weise zu verändern.
Die «Ampel» will mehr Asylbewerber ausschaffen
Neben schnelleren und mutmasslich mehr Einbürgerungen will die «Ampel» aber auch mehr Ausschaffungen von abgelehnten Asylbewerbern ohne Bleiberecht ermöglichen. Das am Donnerstag verabschiedete «Rückführungsverbesserungsgesetz» soll dies durch ein ganzes Bündel von Massnahmen bewirken.
So können ausreisepflichtige Asylbewerber künftig auch ausserhalb ihres Zimmers und auch nachts aufgesucht werden. Bislang konnten sich die Bewohner von Asylheimen dem Zugriff der Behörden dadurch oft entziehen. Auch sollen die Behörden die Mobiltelefone auf Hinweise zur Identitätsklärung durchsuchen dürfen. Ein grosser Teil der Ausschaffungen scheitert an nicht vorhandenen Papieren.
Mit dem Gesetz will die Ampelregierung Handlungsfähigkeit beweisen. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte im Oktober 2023 angekündigt, in grossem Stil abzuschieben. Tatsächlich stieg die Zahl der Abschiebungen 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 27 Prozent auf etwa 16 000. Dem standen aber über 30 000 gescheiterte Ausschaffungen gegenüber, weil Personen untertauchten, kurzfristig medizinische Probleme auftraten oder Flüge ausfielen.
Die Wirkung des Gesetzes freilich dürfte gering bleiben. In einem früheren Entwurf zu dem jetzt angenommenen Gesetz rechnete die deutsche Regierung selbst mit nur zusätzlichen 600 Abschiebungen pro Jahr. Angesicht von über 240 000 ausreisepflichtigen, grossenteils aber geduldeten Asylbewerbern und fast 330 000 Asylerstanträgen im vergangenen Jahr bleibt die Migrationspolitik eine der grössten Baustellen der deutschen Politik.
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