Die Bundesregierung stellt am Mittwoch die Nationale Sicherheitsstrategie vor. Johannes Varwick warnt: Grüne Wirtschafts- und Außenpolitik fügt Deutschland großen Schaden zu.
Michael Kappeler/dpa
Der Krieg in der Ukraine hatte die Ampel-Koalition auf dem falschen Fuß getroffen. Die Bundesregierung reagierte ad hoc, über Nacht wurden langjährige Grundsätze deutscher Außenpolitik infrage gestellt und Bündnisse auf internationaler Ebene neu justiert. Um nicht kopflos in weitere globale Konflikte zu geraten, hatte sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, eine Nationale Sicherheitsstrategie zu entwickeln.
Eigentlich sollte sie bereits im Februar bei der Münchner Sicherheitskonferenz vorgestellt werden. An diesem Mittwoch soll die Nationale Sicherheitsstrategie endlich im Bundeskabinett verabschiedet und am Donnerstag im Bundestag debattiert werden. Was lange währt, wird endlich gut?
Nationale Sicherheitsstrategie: China ist der Elefant im Raum
Bislang ist der Inhalt des 37-seitigen Strategiepapiers noch geheim. Durchgesickert ist aber bereits, was nicht in dem Dokument enthalten sein wird. Für den Sicherheitsexperten Johannes Varwick ist die größte Leerstelle eine fehlende Strategie im Umgang mit China. „In dieser Frage gibt es heftige Auseinandersetzungen zwischen Auswärtigem Amt und Kanzleramt“, erklärt Varwick im Gespräch mit der Berliner Zeitung. „Das Auswärtige Amt ist eher auf amerikanischer Linie, in der auf die Entkopplung von China und letztlich auf die Eskalation mit dem Land gesetzt wird.“ Das Kanzleramt dagegen sehe das sehr viel differenzierter.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte seine Grundlinien zur China-Politik in einem Beitrag für die Zeitschrift Foreign Affairs im Dezember 2022 dargelegt: „Viele sind der Auffassung, dass wir am Beginn einer neuen Ära der Bipolarität innerhalb der internationalen Ordnung stehen. Sie sehen einen neuen Kalten Krieg heraufziehen, der die Vereinigten Staaten und China als Gegner in Stellung bringt“, schrieb der Kanzler, und stellte klar: „Ich teile diese Ansicht nicht.“
Varwick warnt davor, dass Deutschland sich zu sehr der amerikanischen Außenpolitikdoktrin unterordnet. Präsident Joe Biden betone die wertegeleitete amerikanische Außenpolitik zu stark und beschwöre einen Großkonflikt zwischen sogenannten Autokratien und Demokratien herauf. „Im Auswärtigen Amt sitzen gewissermaßen die Werte-Fundamentalisten, angefangen mit Annalena Baerbock“, sagte Varwick der Berliner Zeitung.
Johannes Varwick: Ideologiegetriebene Wirtschaftspolitik
Auch das von Robert Habeck geführte Wirtschaftsministerium mache diesen Fehler: „Das Wirtschaftsministerium agiert ideologiegetrieben und verfolgt die gleiche Agenda wie das Auswärtige Amt“, kritisierte Varwick. „Das Wirtschaftsministerium vertritt nicht die Interessen der deutschen Wirtschaft, die global und verflochten sind.“
Habeck hatte zuletzt mit Vorstößen gegen China den Unmut der Wirtschaft und der Koalitionspartner auf sich gezogen. Deutsche Unternehmen sollen sich nach dem Willen des Wirtschaftsministers künftig einer Überprüfung („Outbound screening“) in Deutschland unterziehen, wenn sie Investitionen in China tätigen wollen. In der vergangenen Woche zerschlug Habeck erneut Porzellan, indem er dem chinesischen Chiphersteller Nexperia als einzigem Unternehmen unter 32 Antragstellern die staatliche Förderung verweigerte.
Das Kanzleramt hat die Ablehnung Nexperias nach Informationen des Handelsblatts kritisiert. Bernd Westphal, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD, sagte der Zeitung: Das Verhalten des Wirtschaftsministeriums sei „nicht nachvollziehbar“. Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP, Reinhard Houben, forderte daraufhin, dass die Bundesregierung ihre Sicherheits- und ihre China-Strategie vorlegen müsse. „Sonst haben wir nur wie jetzt bei Nexperia Einzelentscheidungen, die keinem Gesamtkonzept folgen.“ Am 20. Juni stehen die nächsten deutsch-chinesischen Regierungskonstellationen an. Es darf bezweifelt werden, dass die Ampel ein Bild der Geschlossenheit abgeben wird.
IT-Spezialist zu Hackbacks: Ein Internetangriff kann zu einem Krieg führen
Johannes Varwick würde es begrüßen, wenn sogenannte Hackbacks, also digitale Gegenschläge nach einem Cyberangriff, in der Nationalen Sicherheitsstrategie als Verteidigungsinstrument festgeschrieben würden: „Ich glaube, dass Deutschland in dieser Frage ein paar Tabus beerdigen müsste“, sagte er der Berliner Zeitung. Eine rein defensive Ausrichtung werde der Natur der Sache nicht gerecht.
Der russische Angriff begann mit einer Cyberattacke, der das ukrainische Satellitensystem außer Gefecht setzte. Spätestens seit der „Zeitenwende“ wird die Forderung nach digitalen Gegenangriffen des Staates erhoben. Wortführend ist Innenministerin Nancy Faeser (SPD), die das Bundeskriminalamt mit umfangreichen Hackback-Befugnissen ausstatten will.
Manuel Atug, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Kritische Infrastruktur (AG Kritis), die auf Sicherheitslücken in IT-Systemen spezialisiert ist, warnt vor den Folgen: „Gegenangriffe werden völkerrechtlich als Vergeltungsschläge gewertet“, sagte Atug im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Die USA hätten beispielsweise erklärt, im Falle einer Cyberattacke mit Waffeneinsatz zu antworten. „Das heißt, ein Internetangriff kann im Extremfall dazu führen, dass ein Krieg ausgelöst wird.“ Die Bundesregierung nehme die Gefahr einer Gewaltspirale von offensiven Maßnahmen in Kauf. Die Vorstellung, einen sauberen Hackback durchführen zu können, sei zu kurz gedacht. Mit offensiven Maßnahmen könnten Attacken nicht abgewehrt werden, weil die Angreifer auf andere IT-Systeme ausweichen könnten. „Die Kollateralschäden sind unkalkulierbar“, sagte Atug.
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