Bei Durchsuchungen im „Reichsbürger“-Milieu ist ein Polizist durch einen Schuss verletzt worden. Der Beamte eines Spezialeinsatzkommandos erlitt einen Durchschuss am Arm, sein Zustand ist nach dpa-Informationen stabil. Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen den Schützen unter anderem wegen des Verdachts des versuchten Mordes. Ein Richter des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe erließ am Abend Haftbefehl gegen den Schützen von Reutlingen, er muss in U-Haft.
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Die Durchsuchungen am Mittwoch standen im Zusammenhang mit einer Groß-Razzia Anfang Dezember, die sich unter anderem gegen den Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß als mutmaßlichen Rädelsführer gerichtet hatte. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft hat sie im Zuge dieser Ermittlungen neben den bisher 25 Hauptverdächtigten 5 neue Beschuldigte im Visier. Gegen sie bestehe der Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, die das politische System in Deutschland stürzen wollte. Aktionen gab es am Mittwoch insgesamt in acht Bundesländern und in der Schweiz.
Ein Polizist in Baden-Württemberg durch Schuss verletzt
Dem Vernehmen nach waren von der Razzia außer Bayern, Niedersachsen und Sachsen auch Baden-Württemberg, Hessen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen betroffen. Laut Bundesanwaltschaft waren Beamte des Bundeskriminalamts und Spezialeinheiten des Bundes und der Länder im Einsatz.
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Die Bundesanwaltschaft teilte mit, die Einsatzkräfte hätten sich bei der Durchsuchung am Mittwochmorgen durch lautes Rufen als Polizisten zu erkennen gegeben. Als sie schließlich das Wohnzimmer betraten hätten, habe der bis dahin als Zeuge geführte Mann eine großkalibrige Schusswaffe auf die Beamten gerichtet. „Der wiederholten Aufforderung, die Waffe wegzulegen, folgte er nicht“, hieß es in der Mitteilung. Es sei daraufhin zu einem Schusswechsel zwischen den Einsatzkräften und dem Mann gekommen, wobei ein Polizist von dem Beschuldigten in den Arm getroffen worden sei. Der Mann habe sich schlussendlich ergeben und sei vorläufig festgenommen worden.
Zu möglichen Verletzten äußerte sie sich nicht, auch nicht zum Hintergrund und Umfang der Durchsuchungen. Laut Bundesanwaltschaft fand die Durchsuchung in Reutlingen bei jemandem statt, der bisher nicht als tatverdächtig galt.
Nach dpa-Informationen ist der Festgenommene Sportschütze und verfügte über die Erlaubnis zum Besitz mehrerer Waffen. Er verschanzte sich demnach beim Eintreffen der Spezialkräfte.
Bundesanwaltschaft ermittelt wegen versuchten Mordes
Wegen der besonderen Bedeutung des Falles hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. „Gegen den Beschuldigten besteht der dringende Verdacht des mehrfachen versuchten Mordes sowie der gefährlichen Körperverletzung“, hieß es in einer Mitteilung. Der tatverdächtige Markus L. soll die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ablehnen, er sollte als Zeuge durchsucht werden.
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Fahrzeuge der Polizei stehen am Einsatzort. Bei einer Durchsuchung im Auftrag der Bundesanwaltschaft ist im baden-württembergischen Reutlingen ein Beamter eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) durch einen Schuss verletzt worden.
© Quelle: Julian Rettig/dpa
„Die Schussverletzung, die ein Polizeibeamter heute bei einer zweiten bundesweiten Razzia gegen ein ‚Reichsbürger‘-Netzwerk in Reutlingen davongetragen hat, führt einmal mehr die massiven sicherheitspolitischen Gefahren vor Augen, die von dieser demokratiefeindlichen Szene ausgehen“, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz dem RND. Es brauche „eine umfassende und vorbehaltslose Aufklärung“ der Netzwerke, Verbindungen und Planungen der Reichsbürgergruppe. „Die Durchsuchungen im Umfeld der immer größer werdenden Gruppe von Beschuldigten sind erneut ein wichtiger Schlag der Sicherheitsbehörden gegen die wachsende Bedrohung aus dem rechtsextremen Milieu und machen deutlich, dass der Generalbundesanwalt die dringend notwendige Aufklärung weiterhin konsequent vorantreibt“, so von Notz.
Die fünf neuen Beschuldigten kommen aus Bayern, Niedersachsen, Sachsen und der Schweiz. Daneben wurden die Räumlichkeiten von 14 weiteren Personen durchsucht, die nicht als verdächtig gelten. Unter ihnen sind nach Informationen aus Sicherheitskreisen ein Polizist und ein Angehöriger der Bundeswehr. Weitere Festnahmen gab es laut Bundesanwaltschaft nicht.
Eine Reporterin der Deutschen Presse-Agentur am Einsatzort in Reutlingen berichtete, in einem Haus habe es am Vormittag fünf Mal geknallt. Nach dpa-Informationen sprengte die Polizei eine abgeschlossene Tür.
Gewerkschaft der Polizei: „Das sind keine Kollegen, sondern Staatsfeinde“
Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, forderte, genau hinzuschauen und sofort zu handeln, „wenn aus der Mitte der Polizei heraus Extremismusbestrebungen deutlich werden.“ „Das sind keine Kollegen, sondern Staatsfeinde“, sagte Kopelke dem RND. Es sei sehr wichtig, „dass wir nicht darin nachlassen, die Polizei noch resilienter gegenüber kruden und menschenverachtenden Verschwörungserzählungen oder politischem Extremismus zu machen.“
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Der Einsatz in Reutlingen verdeutliche die Gefährlichkeit der Reichsbürgerszene, sagte Kopelke. „Klar ist, dass sich unsere Kolleginnen und Kollegen dabei in akute Lebensgefahr begeben“, so der Polizeigewerkschafter. „Unserem durch einen Schuss verletzten Kollegen wünschen wir alles Gute und eine schnelle Genesung.“
„Szenebeteiligten mit legalem Zugang zu Schusswaffen müssen diese sehr schnell aus der Hand genommen werden“, forderte der Polizeigewerkschafter. Die Politik müsse das nicht nur sagen, sondern auch wollen und umsetzen.
SEK-Beamter bei „Reichsbürger“-Razzia in Reutlingen durch Schüsse verletzt
Seit dem Morgen läuft offenbar eine Razzia, nach übereinstimmenden Medienberichten bei „Reichsbürgern“. In Reutlingen wurde dabei geschossen.
© Quelle: dpa
Anschlussermittlungen nach Razzien im Dezember 2022
Dem Vernehmen nach waren außer Bayern, Niedersachsen und Sachsen auch Baden-Württemberg, Hessen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen betroffen. Laut Bundesanwaltschaft waren Beamte des Bundeskriminalamts und Spezialeinheiten des Bundes und der Länder im Einsatz.
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Nach dpa-Informationen wurden in Bayern sechs Objekte im Bereich dreier Polizeipräsidien durchsucht: Unterfranken, München und Oberbayern Süd. In Niedersachsen war ein Objekt im Raum Hannover betroffen, wie ein Sprecher des dortigen Innenministeriums sagte. Auch in Mecklenburg-Vorpommern gab es eine Durchsuchung, wie es aus Sicherheitskreisen hieß.
Der Generalbundesanwalt habe insgesamt 20 Objekte durchsuchen lassen, teilte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) auf Twitter mit.
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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: „Wir müssen diese Extremisten konsequent entwaffnen. Dafür brauchen wir dringend die Verschärfungen des Waffenrechts, die ich vorgeschlagen habe.“ Mit Blick auf die Durchsuchungen erklärte sie am Mittwoch in Washington laut einer Mitteilung ihres Ministeriums weiter: „Wir setzen diese harte Gangart fort, bis wir diese Strukturen vollständig offengelegt und zerschlagen haben.“ Keiner in dieser extremistischen Szene solle sich sicher fühlen.
In der Schweiz seien gegen zwei Personen Strafverfahren eröffnet worden, teilte die Bundesanwaltschaft in Bern mit. Es bestehe der Verdacht auf Unterstützung oder Beteiligung an einer kriminellen oder terroristischen Organisation. „Die Klärung der mutmaßlichen Rollen und Absichten der beschuldigten Personen ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen“, teilte die Bundesanwaltschaft mit.
Die deutsche Generalbundesanwaltschaft habe auch Rechtshilfeersuchen gestellt, die „entweder bereits abgeschlossen sind oder sich gegenwärtig im Vollzug befinden“, teilte die Schweizer Bundesanwaltschaft weiter mit. Die Rechtshilfe kann unter anderem Befragung von Zeugen oder Verdächtigen umfassen und die Auslieferung von Festgenommenen.
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Razzia im Dezember mit 25 Festnahmen
Anfang Dezember hatte es eine großangelegte Anti-Terror-Razzia gegen „Reichsbürger“ in mehreren Bundesländern, Österreich und Italien gegeben. Damals waren 25 Männer und Frauen festgenommen worden. Die Bundesanwaltschaft wirft der Gruppe vor, den Umsturz des politischen Systems in Deutschland vorbereitet zu haben. Dafür hätte sie auch Tote in Kauf genommen und gezielt Soldaten und Polizisten rekrutiert.
In diesem Verfahren ermittelte die Bundesanwaltschaft außerdem gegen 30 weitere Menschen. Es hatte immer geheißen, es sei nicht ausgeschlossen, dass im Laufe der Zeit mehr Beschuldigte hinzukommen.
Die neuen Durchsuchungen stehen damit im Zusammenhang. Das Gesetz erlaubt in bestimmten Ausnahmefällen auch Durchsuchungen bei Personen, die nicht als verdächtig gelten. Hierfür müssen unter anderem bestimmte Tatsachen darauf hindeuten, dass eine „gesuchte Person, Spur oder Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet“, wie es in der Strafprozessordnung heißt. Wie die dpa erfuhr, waren unterschriebene Verschwiegenheitserklärungen, die bei der ersten Razzia entdeckt wurden, ein wichtiger Ausgangspunkt für den Einsatz am Mittwoch. Zu den Unterzeichnern gehörten nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden mehrere Waffenbesitzer.
Nach den Razzien im Dezember 2022 hatten insbesondere Politikerinnen und Politiker der AfD die von Reichsbürgern ausgehende Gefahr verharmlost. AfD-Chefin Alice Weidel etwa bezeichnete die mutmaßlichen Umsturzpläne der Reichsbürger verniedlichend als „Rollator-Putsch“. Der rechtsextreme Thüringer AfD-Chef Höcke schrieb von einem „Operetten-Putsch“. AfD-Politiker und andere Rechtsextreme stellten die Gefahr durch Reichsbürger als von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und den Sicherheitsbehörden aufgebauschtes Phänomen dar.Die Durchsuchungen am Mittwoch verdeutlichten die Gefährlichkeit militanter Reichsbürger, sagte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Martina Renner, dem RND. „Wer diese Szene als Spinner oder Rollator-Putschisten abtut, setzt Menschenleben aufs Spiel“, sagte sie. Als ersten Schritt müssten die Behörden endlich Waffenverbote verhängen, forderte Renner.
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Was sind „Reichsbürger“?
„Reichsbürger“ sind Personen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Der Verfassungsschutz rechnete der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ 2022 deutschlandweit etwa 23.000 Menschen zu, 2000 mehr als im Vorjahr.
RND/dpa/sic/feh/scs
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