Search

Energiekrise: Was hinter dem harten Kampf um die Atomkraft steckt - WELT

Alexander Dobrindt, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, steht zur größten Mittagshitze ungerührt im Hof des oberfränkischen Klosters Banz und stichelt gegen die Ampel-Koalition. Dass sie keinen Energiesparplan habe, keine gesicherten Verträge für Gas aus Katar. Sein Anzug sitzt perfekt, Hemd und Einstecktuch strahlen weiß, gestärkt und um die Wette mit der gnadenlosen Sonne, Dobrindt könnte endlos so weiter machen. Markus Söder, der neben ihm steht, nicht.

Der Ministerpräsident schwitzt und schnauft, er zerrt an seinem Anzug. Söder ist heiß, und er ist grantig. „Es ist paradox, dass wir am heißesten Tag dastehen und über die kalte Jahreszeit reden“, schimpft er. „Das wird einer der härtesten Winter“, warnt der Ministerpräsident zum Auftakt der Sommerklausur der CSU-Landesgruppe. Und im Freistaat könnte er besonders hart werden.

Söder fordert 365-Euro-Ticket für den ÖPNV

Angesichts der Inflation und der Energiekrise in Deutschland fordert CSU-Chef Markus Söder weitere Entlastungen für die Bevölkerung. Dazu zählten unter anderem eine Verlängerung des Tankrabatts und eine Nachfolgeregelung für das 9-Euro-Ticket.

Quelle: WELT

Die Bundesregierung, fordert Bayerns Regierungschef, solle die Atomkraft länger am Netz lassen. Er fürchtet einen „Blackout“, einen Komplett-Ausfall des Stromnetzes, wenn Berlin dieser Forderung nicht nachkommt. Notfalls, ergänzt Dobrindt, müsse der Bundestag für den nötigen Beschluss kurzfristig aus der Sommerpause geholt werden. Alles andere als ein Weiterbetrieb der Atommeiler sei „unverantwortbar“. Was richtig ist, zumindest aus Sicht der CSU, die großes Interesse daran hat, am Ende des kommenden Winters nicht mitverantwortlich gemacht werden zu können für die Folgen eines möglichen akuten Energienotstands in Bayern.

Das Problem ist, dass der Freistaat einerseits als starker Industriestandort besonders energiehungrig ist. Dass er aber andererseits den Ausbau der erneuerbaren Energien in den vergangenen Jahren allenfalls halbherzig vorangetrieben hat. Auch der Ausbau der Stromnetze, der Grün-Strom aus dem windreichen Norden in den Süden transportieren sollte, wurde vom Freistaat eher behindert als befördert. Nach der Abschaltung seiner Kohlekraftwerke in den 1990er-Jahren hat Bayern nicht auf Wind und Sonne gesetzt, sondern auf russisches Gas. Und auf Kernenergie, die noch immer 25 Prozent des hiesigen Strombedarfs deckt. Kein Wunder also, dass Söder, der im kommenden Jahr eine Landtagswahl zu bestehen hat, mit Wucht auf den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke, insbesondere der bayrischen Anlage Isar 2, dringt.

Lesen Sie auch
Grünen-Chefin Ricarda Lang und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)
Energiekrise

Auch in Niedersachsen, wo mit dem Kernkraftwerk Emsland in Lingen der zweite von drei noch aktiven Reaktoren der Republik steht, ragt die Debatte um die Laufzeit längst in den hier schon fortgeschritteneren Landtagswahlkampf hinein. Auch die in Hannover zusammen mit den Sozialdemokraten regierende CDU hat sich mittlerweile in einer sanften Argumentationskurve auf die Seite der Laufzeitverlängerer geschlagen. SPD und Grüne argumentieren dagegen einigermaßen standhaft für eine fristgemäße Abschaltung des einzig verbliebenen niedersächsischen Atomkraftwerks.

SPD nicht sonderlich sattelfest

Wobei die Sozialdemokraten zunächst nicht sonderlich sattelfest waren in ihrer Argumentation. So erklärte Ministerpräsident Stephan Weil zu Beginn der Energiekrise, dass es an Strom in einer Gaskrise überhaupt nicht fehle und Atomkraft schon deshalb weiterhin verzichtbar sei. Als sich dann auch bis Hannover herumgesprochen hatte, dass ein Teil der russischen Gaslieferungen sehr wohl zur Stromproduktion verwendet wurde, verwies Weil auf fehlende Brennstäbe, die für einen Weiterbetrieb notwendig seien – und erst aus Russland angeliefert werden müssten.

Ein Argument, das Weils Stellvertreter im Amt des Ministerpräsidenten, Bernd Althusmann (CDU), zu Beginn dieser Woche im WELT-Interview ebenso bestritt wie CSU-Mann Dobrindt am Mittwoch in Banz. „Das stimmt so meines Erachtens nicht“, so der niedersächsische Wirtschaftsminister. Er verwies auf kanadische Brennstäbe, „die nur jetzt bestellt werden müssen“. Althusmann will Weil im Oktober als Regierungschef ablösen – kaum vorstellbar, dass die beiden sich bis dahin noch auf ein einheitliches niedersächsisches Vorgehen in Sachen Atomkraftwerke einigen können.

Lesen Sie auch
Bernd Althusmann
Energiekrise
Lesen Sie auch
Energieknappheit

Zumal der Union die FDP im Nacken sitzt, die in Niedersachsen noch entschiedener für die im konservativen Wählerklientel populäre Renaissance der Atomkraft wirbt als die CDU. Überraschend kommt diese Positionierung nicht. Die Energiekrise, so die Einschätzung aller Parteien, wird für den Ausgang der Landtagswahl am 9. Oktober eine überragende Rolle spielen. Und die FDP kämpft hier inzwischen hart am Rand der Fünfprozenthürde.

Solche Probleme haben Niedersachsens Grüne derzeit nicht. Sie schwimmen auf der Sympathiewelle, die Annalena Baerbock und Robert Habeck ihnen verschaffen, gerade ganz oben, jenseits der 20 Prozent. Die Tür, die Habecks Wirtschaftsministerium mit dem Aufsetzen eines weiteren Stresstests des deutschen Strom-Netzwerkes gerade einen Spalt geöffnet hat, hält die Partei in Hannover noch immer fest zu. „Laufzeitverlängerungen für die drei deutschen Atomkraftwerke lösen das Gasproblem nicht, sie schaffen neue Sicherheitsprobleme“, finden die Landtags-Grünen – und ignorieren damit unter anderem ein Gutachten des TÜV-Süd, das den Weiterbetrieb zumindest des bayrischen Atomkraftwerks Isar 2 für aus sicherheitstechnischen Gründen unbedenklich eingestuft hatte.

Grüner Widerstand gegen Laufzeitverlängerung bröckelt

Die steigenden Energiepreise sind ein großes Problem, nicht nur für die Bürger selbst, sondern auch für die Parteien. Der Druck wächst. Für die Grünen ist eine Laufzeitverlängerung der AKW nicht mehr kategorisch ausgeschlossen.

Quelle: WELT

Vorsichtiger als die Grünen argumentiert dagegen Niedersachsens Energieminister Olaf Lies (SPD), der als Elektrotechnik-Ingenieur naturwissenschaftlich nicht vollständig auf Expertenrat angewiesen ist. Zwar bezweifelt auch Lies, dass eine Laufzeitverlängerung „uns in der aktuellen Situation weiter bringt“. Aber er zeigt seinem einer Laufzeitverlängerung ebenfalls ablehnend gegenüberstehenden Parteifreund und Bundeskanzler Olaf Scholz zumindest einen Weg auf, der den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke über das Jahresende hinaus ermöglichen würde. Und zwar, ohne dass es dazu des tatsächlich kaum noch zu bewältigenden Austauschs von Brennelementen bedürfte.

„Dazu müssten die Kernkraftwerke jetzt in den Streckbetrieb gehen – also einem Betrieb, in dem eine geringere Nennleistung produziert wird und die Lastwechselfähigkeit reduziert ist. Einfach gesagt: Wir versuchen, mit derselben Menge Sprit länger zu fahren. Das funktioniert zwar, aber ich muss dann viel langsamer fahren – in diesem Fall also weniger Strom produzieren.“ Die zusätzlichen Strommengen wären nach Lies’ Angaben „überschaubar“, der Nutzen bleibe „angesichts eines AKW-Anteils an der Stromproduktion von nur noch etwa fünf Prozent gering“.

Simuliert wird der Total-Ausfall

Immerhin: Es gäbe, auch nach Auffassung des Sozialdemokraten Lies, einen Nutzen. Ob die so zusätzlich erzeugte Strommenge im Winter tatsächlich benötigt wird, soll nun der erneute Stresstest des Bundeswirtschaftsministeriums erweisen. Darin soll unter anderem ein möglicher Total-Ausfall russischer Gaslieferungen und französischer Atomkraftwerke simuliert werden. Dass das Ergebnis dieses Tests die fest gefügten Haltungen der Parteien verändern würde, ist mindestens so unwahrscheinlich wie die Rückkehr Russlands zu vollständigen Gaslieferungen an die EU.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) zum Beispiel, Mitglied jener Bundesregierung, die den erneuten Stresstest zur Notwendigkeit des Weiterbetriebs der deutschen Atomkraftwerke gerade erst in Auftrag gegeben hat, mochte dessen Ergebnis schon am Mittwoch nicht mehr abwarten. Lindner plädierte bei ntv für eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten. „Wir sollten in dieser Notsituation nicht zu wählerisch sein.“ Zumindest in der bayrischen Landesregierung und bei der niedersächsischen FDP dürfte man diese Festlegung mit Genugtuung zur Kenntnis genommen haben.

Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

„Kick-off Politik“ ist der tägliche Nachrichtenpodcast von WELT. Das wichtigste Thema analysiert von WELT-Redakteuren und die Termine des Tages. Abonnieren Sie den Podcast unter anderem bei Spotify, Apple Podcasts, Amazon Music oder direkt per RSS-Feed.

Adblock test (Why?)

Artikel von & Weiterlesen ( Energiekrise: Was hinter dem harten Kampf um die Atomkraft steckt - WELT )
https://ift.tt/dqk4w0X
Deutschland

Bagikan Berita Ini

0 Response to "Energiekrise: Was hinter dem harten Kampf um die Atomkraft steckt - WELT"

Post a Comment

Powered by Blogger.