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In Zeiten von Corona steht der Tourismus vor einer Reise ins Ungewisse - fr.de

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  • Nina Luttmer

    vonNina Luttmer

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Wer Massentourismus nicht mag, aber den Urlaub in fernen Landen auch nicht alleine planen will, setzt oft auf kleine Spezialanbieter. Vielen droht wegen der Corona-Pandemie das Aus.

  • Kleine Reiseveranstalter sind von der Corona-Krise betroffen.
  • Vielen Unternehmen droht das Aus.
  • Corona trifft auch die Beschäftigten in den betroffenen Ländern.

Heike van Staden versucht, positiv zu denken. „Ich habe vor, ein neues Unternehmen aufzubauen. Ich möchte meine Energie nicht mehr in die Trauer über den Verlust, sondern in die Zukunft stecken“, sagt die Spezialistin für Afrika-Reisen. Van Staden musste im Juli Insolvenz für ihren Afrika-Reiseveranstalter Elangeni in Bad Homburg anmelden. Die Corona-Krise hat ihr ein Weitermachen unmöglich gemacht. „Was uns am Ende wirklich das Genick gebrochen hat, ist das Pauschalreiserecht, das kleine Reiseveranstalter überhaupt nicht im Blick hat“, sagt sie. Elangeni ist keine Ausnahme. Auch große Reiseunternehmen wie Tui kämpfen mit der Krise – doch mittelständische Firmen sind in besonderem Maße betroffen. Eine Insolvenzwelle droht.

Van Staden hatte noch im Juni via Youtube versucht, auf die Probleme der kleinen Spezialreiseunternehmen aufmerksam zu machen. Dazu gehören etwa Anbieter für Tauch- oder andere Sportreisen, oder Spezialisten für Destinationen wie Afrika oder Asien. Große Unternehmen wie Tui oder FTI behalten Anzahlungen sowie den Restbetrag, den Kunden vor einer Reise leisten müssen, erst einmal ein. Sie bezahlen Hotels und andere Leistungen erst, nachdem die Kunden wieder aus dem Urlaubsort abgereist sind – teils erst Wochen später. Kleine Veranstalter dagegen leiten das Geld im Regelfall sofort an die Partner vor Ort weiter.

Kunden erhalten wegen Corona Reisebeträge zurück

Die Regelungen des Pauschalreiserechts zwangen die Anbieter nach Ausbruch der Corona-Pandemie aber dennoch, den Kunden den vollen Reisebetrag zurückzuerstatten. „Nur das Geld war ja längst unwiederbringlich verteilt“, sagt van Staden. Sie musste also Geld zurückzahlen, das gar nicht mehr da war. Zusätzlich hatten die Veranstalter Flugtickets für die Kunden gekauft und ausgestellt – „nur warten wir teils bis heute auf eine Rückerstattung von den Fluggesellschaften“, sagt die gebürtige Südafrikanerin, die ihr Unternehmen im Jahr 2003 mit ihrem Mann gegründet hatte. Nicht einmal die Arbeitskosten durfte sie bei der Rückerstattung an die Kunden abziehen. Dabei seien die Reisen etwa nach Namibia, Botswana, Mosambik oder Südafrika für jeden Kunden maßgeschneidert worden – „pro Kunde muss man da zwei Arbeitstage für die Planung einrechnen“, sagt van Staden und beziffert diese Kosten auf 800 bis 1400 Euro je Kunde. Auch das ist bei großen Anbietern mit ihren einfachen, pauschalen Angeboten anders.

Van Staden nahm einen privaten Kredit auf, um sich über Wasser zu halten. Sehr viele ihrer Kunden hätten ihre Reisen verlegt, anstatt zu stornieren. „Dafür bin ich ihnen sehr dankbar“, sagt sie. Gereicht hat es am Ende aber nicht. „Ich musste irgendwann akzeptieren, dass ich mich nicht weiter verschulden kann. Dass es besser ist, jetzt mit blutendem Herzen einen Schlussstrich zu ziehen und so vielleicht künftig wieder etwas neu aufbauen zu können“, sagt sie. Ihre sieben Mitarbeiter in Bad Homburg musste sie entlassen: „Dabei waren wir noch letztes Jahr ein vollkommen gesundes Unternehmen.“

Gutscheinlösung hätte kleineren Firmen in Zeiten von Corona geholfen

Insbesondere kleineren Veranstaltern hätte eine Gutscheinlösung, wie sie die Bundesregierung erwogen hatte, geholfen. Verbraucher hätten so nicht ihr Geld zurückverlangen können, sondern einen Gutschein für eine spätere Reise erhalten. Im Gespräch war dabei auch eine Staatshaftung, falls der Anbieter zwischenzeitlich pleitegehen sollte.

Noch sei zwar keine große Insolvenzwelle zu spüren, sagt ein Sprecher des Reiseverbands DRV. Aber gut die Hälfte der Veranstalter bezeichnet ihre Situation als „existenzbedrohend“, geht aus einer aktuellen Umfrage des DRV hervor. Knapp zwei Drittel beziffern ihren momentanen Umsatz im Vergleich zum Vorjahr auf unter 25 Prozent.

Viele Unternehmen beantragten staatliche Überbrückungshilfen, um ihre Fixkosten zu decken oder KFW-Kredite und sie schickten Mitarbeiter in Kurzarbeit. Doch Kredite gibt es nicht zum Nulltarif, das Geld muss verdient und zurückgezahlt werden. Wie viele Anbieter das am Ende stemmen können, bleibt abzuwarten. „Wir raten unseren Mitgliedern klar: Verschuldet euch nicht privat“, sagt Rainer Hageloch, Vorstandsvorsitzender der AER Kooperation, einem Dienstleister für Spezialreiseunternehmen.

Zukunft der Reisebranche in Corona-Pandemie-Zeiten

Klar ist schon jetzt: Die Pleiten nehmen zu. Erst diese Woche hat etwa die deutsche, auf Studenten ausgerichtete Reisebüro-Kette „STA Travel“ Insolvenz in Eigenverwaltung angemeldet. „Wir sehen 2020 zum Halbjahr schon eine Verdopplung der Insolvenzen kleiner Reiseveranstalter“, sagt Matthias Eckel, Abteilungsleiter Kredit-Schaden bei der R+V Versicherung. Sie ist einer der großen Player für Insolvenzabsicherungen für Reiseveranstalter in Deutschland. Doch das sei erst der Anfang, so Eckel. „Wirklich spannend wird es Ende des dritten Quartals. Dann endet nach derzeitigem Stand die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, mit der der Gesetzgeber Unternehmen Luft verschaffen will, die durch die Corona-Krise angeschlagen sind.“

Dann wird sich auch zeigen, ob das Geld in den Töpfen der Versicherer zur Bedienung der Gläubiger der Reiseunternehmen reicht. Das ist nämlich auf 110 Millionen Euro pro Jahr und Versicherer gedeckelt. Im vergangenen Jahr zeigte sich, dass das definitiv zu wenig ist, um die Pleite eines großen Unternehmens wie Thomas Cook abzudecken, die Bundesregierung sprang ein und entschädigte die Kunden. Doch was, wenn viele kleine Firmen in die Insolvenz gehen müssten? „Ob diese Summe ausreicht, bleibt vorerst ein großes Fragezeichen“, sagt Eckel von der R+V. Die Bundesregierung hat zwar im Sommer ein Eckpunktepapier für eine neue Lösung vorgestellt, derzufolge die Reiseunternehmen selbst in einen Fonds einzahlen sollen. Noch ist das aber nicht beschlossen.

Die Unsicherheit darüber und über die Zukunft der Reisebranche in Pandemie-Zeiten führt bereits dazu, dass die Versicherer die Daumenschrauben anziehen. Zum 1. November beginnt das neue Versicherungsjahr in der Branche. „Wir sehen eine Erhöhung der Pr��mien für die Reiseveranstalter zwischen 30 und 50 Prozent, in der Spitze kam es an der einen oder anderen Stelle sogar zu einer Verdreifachung“, sagt Hageloch von der AER Kooperation. Dennoch rät die Vereinigung ihren Mitglieder dringend, ihre Policen nicht zu kündigen: „Denn man bekommt keine neue. Kein Versicherer will dieses Geschäft momentan machen“, sagt Hageloch.

Länderspezifische Reisewarnungen wären gut in Zeiten von Corona

Die Branche hofft nun auf eine baldige Aufhebung der pauschalen Reisewarnungen für fast alle Staaten außerhalb der EU. Allerdings hat die Bundesregierung diese gerade erst vom 31. August auf den 14. September verlängert. Die Reiseveranstalter und –verbände dringen seit Wochen darauf, differenzierte Reisewarnungen nach Ländern zu erlassen statt pauschale Verbote. Van Staden hatte mit Elangeni wegen der pauschalen Reisewarnung sogar die Bundesregierung verklagt, die Klage liegt momentan beim Oberverwaltungsgericht Brandenburg.

Auch Maren Brenneke, Gründerin des Unternehmens Abenteuer Tansania, hofft auf ein Umdenken in der Bundesregierung. Tansania sei kaum betroffen von der Corona-Pandemie, sagt sie und habe ein ausgereiftes Hygienekonzept für die Tourismusbranche erarbeitet. Sie sei kürzlich selbst nach Tansania geflogen und habe sich ein Bild von der Lage gemacht. „Touristen reisen hier in privaten Autos durch menschenleere Nationalparks. Social distancing – wo geht das besser als in der Serengeti?“, sagt sie.

Sollte die Bundesregierung zu länderspezifischen Reisewarnungen greifen, hätte Brenneke gute Chancen, dass ihr Geschäft wieder anspringt. Denn Tansanias Grenzen sind für Touristen wieder offen und es gab während der gesamten Corona-Pandemie eine verlässliche Flugverbindung. Andere Länder dagegen haben ihre Grenzen weiterhin für Touristen geschlossen wie etwa Namibia, Südafrika, Thailand, Indonesien und Australien.

Fatal ist das nicht nur für die Reiseanbieter – sondern vor allem auch für die Beschäftigten in der Tourismusbranche der betroffenen Länder. „Tourismus ist der Grund, dass gerade die verarmten ländlichen Regionen Afrikas in den letzten 20 Jahren Aufschwung erlebt haben, denn Tourismus und Naturschutz sind hier die einzigen Arbeitgeber“, sagt van Staden. Und es seien eben vor allem die kleinen und mittelständischen Reiseveranstalter, die den nachhaltigen Tourismus förderten – die nicht mit großen Hotelketten, sondern mit kleinen heimischen Anbietern zusammenarbeiteten und den Klima- und Umweltschutz in den Vordergrund stellten. In den vergangenen Jahren hat diese Art des individuellen Reisens auch enorm geboomt.

„Die Spezialreiseveranstalter setzen auf faires, nachhaltiges, klimafreundliches Reisen. Dieses Juwel riskieren wir momentan“, sagt auch Hageloch. Der Frust darüber, dass ein großes Unternehmen wie die Tui Milliardenhilfen vom Staat erhält, während die Belange der Kleinen unbeachtet blieben, sei groß: „Es gibt das Gefühl, dass erneut Politik für Konzerne gemacht wird und nicht für den Mittelstand.“




August 29, 2020 at 03:00PM
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