Die Umfragewerte im Keller, die Koalition bei wichtigen Vorhaben zerstritten: Der Kanzler aber will Zuversicht ausstrahlen und sieht Deutschland auf Kurs. Das ist jedenfalls der Eindruck, den Olaf Scholz am Sonntag erweckte. Im ZDF-»Sommerinterview« der Sendung »Berlin direkt« ging es um viele Themen: mögliche neue Waffenlieferungen an die Ukraine, die Wirtschaftslage in Deutschland, die Migrationspolitik, den Zustand der Ampelkoalition.
So sprach sich Scholz für schärfere Regeln zur Abschiebung abgelehnter Asylbewerber aus. Der SPD-Politiker sagte auf die Frage, ob er die Überlegungen von Innenministern Nancy Faeser (SPD) zur Verschärfung der Abschieberegeln für ausreisepflichtige Asylbewerber unterstütze: »Ja.« Dies habe er den Ländern vorgeschlagen.
Man habe vereinbart, dass man zum einen die Ausländerbehörden in sehr kurzer Zeit digitalisieren wolle und für die Landesbehörden eine 24-Stunden-Erreichbarkeit organisiere, sagte Scholz. Zudem solle dafür Sorge getragen werden, dass Georgien und Moldau als sichere Herkunftsländer anerkannt werden. Die Bundesregierung arbeite an gesetzlichen Regelungen, um eine beschlossene Abschiebung auch durchzusetzen. Faeser habe dazu ein Paket vorgeschlagen. Dieses werde nun noch einmal gegengecheckt in der Diskussion mit den Ländern. Dann solle es auf den Gesetzgebungsweg gebracht werden.
Faeser hatte einen auf bis zu vier Wochen verlängerten Ausreisegewahrsam vorgeschlagen. Derzeit ist der Ausreisegewahrsam bis zu zehn Tage lang möglich, Faeser schlägt eine Erweiterung auf bis zu 28 Tage vor. Damit sollen die Behörden mehr Zeit bekommen, um eine Abschiebung vorzubereiten. Die Pläne waren auch auf Kritik gestoßen.
»Dann was dazu sagen, wenn es etwas dazu zu sagen gibt«
Zu einer möglichen Abgabe von Marschflugkörpern vom Typ Taurus an die Ukraine äußerte sich Scholz zurückhaltend, schloss sie aber auch nicht aus. Der SPD-Politiker sagte, so wie in der Vergangenheit werde die Bundesregierung jede einzelne Entscheidung immer sehr sorgfältig überprüfen – was gehe, was Sinn ergebe, was der deutsche Beitrag sein könne.
Deutschland werde es sich weiter schwer machen, sagte Scholz. Sein Eindruck sei, dass die Bürgerinnen und Bürger das in der ganz großen Mehrheit richtig fänden. »Entscheidungen müssen immer sorgfältig gewogen werden«, so der Kanzler. »Und das werde ich weiter tun und das auch sehr klar sagen.« Weiter erklärte Scholz: »Wir beschäftigen uns mit all den Fragen, die an uns herangetragen werden, und können dann was dazu sagen, wenn es etwas dazu zu sagen gibt.« Deutschland sei das Land, das nach den USA die Ukraine am meisten unterstütze. »Wir machen das vor allem mit Panzern, mit Artillerie. Wir haben das gemacht mit sehr viel Luftverteidigung.« Scholz verwies darauf, das der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Deutschland für die beiden weiteren Abschussrampen des Flugabwehrsystems Patriot gedankt hatte.
Die Ukraine macht derweil weiter Druck auf die Bundesregierung, Taurus-Marschflugkörper für die Verteidigung gegen Russland zu liefern. Das Land brauche diese, »um mehr Leben ukrainischer Soldaten und Zivilisten zu retten und um die Befreiung ihrer Gebiete zu beschleunigen«, sagte Außenminister Dmytro Kuleba der »Bild am Sonntag«. Großbritannien und Frankreich haben der Ukraine bereits Marschflugkörper geliefert. Das Land verteidigt sich seit mehr als 17 Monaten gegen den russischen Angriffskrieg.
»Die Strompreise strukturell runterkriegen«
Darstellungen über ein Schwächeln der deutschen Wirtschaft wies Scholz zurück. »Deutschland ist hocherfolgreich als Exportnation«, hob der Kanzler hervor – auch wenn in anderen Bereichen das Wachstum etwas schwächer ausfalle. Der Kanzler verwies auch auf hohe ausländische Direktinvestitionen in Deutschland, etwa bei der Halbleiterproduktion und der Batterieherstellung.
Ein Schlüssel für den wirtschaftlichen Erfolg liege im Ausbau der erneuerbaren Energien sowie der Stromnetze. Dies werde auch dafür sorgen, »dass die Stromerzeugung in Deutschland billiger wird«. Nach langen Jahren der Versäumnisse habe seine Regierung hierfür »ein unglaubliches Tempo vorgelegt«.
Zu Forderungen nach einem Industriestrompreis äußerte sich Scholz nur vorsichtig. Wichtiger sei, »dass wir die Strompreise strukturell runterkriegen«, sagte der Kanzler, »denn wir werden ja nicht in der Lage sein, dauerhaft Strompreise zu subventionieren«.
Mehrheit hält Scholz für kommunikations- und durchsetzungsschwach
Zum Erscheinungsbild der Ampelkoalition sagte Scholz, diese habe »viele konkrete Entscheidungen getroffen«. Auch gegen Diskussionen sei nichts einzuwenden. Zugleich fügte er an: »Ich wünschte mir, dass das im Ton manchmal anders stattfindet, als es in der Vergangenheit war und habe auch den Eindruck, dass über den Sommer sich viele vorgenommen haben, das genau zu ändern«.
Eine weit überwiegende Mehrheit der Deutschen attestiert Scholz laut einer Umfrage eine schlechte Kommunikation und hält ihn für durchsetzungsschwach. 72 Prozent der Deutschen teilen laut dem am Sonntag veröffentlichten »Politbarometer extra« im Auftrag des ZDF den Vorwurf, dass Scholz in politischen Interviews häufiger als andere Politiker keine konkreten Antworten auf Fragen gibt. Nur 19 Prozent sagen, der Vorwurf stimme nicht. Das ZDF hatte die Umfrage zum Sommerinterview in Auftrag gegeben.
Das Gespräch wird am Sonntag um 19.10 Uhr im ZDF ausgestrahlt.
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