Bad Neuenahr-Ahrweiler – Zwei Jahre ist es her, dass die tödliche Flut ins Ahrtal kam – und jetzt gibt es die Katastrophe nach der Katastrophe.
Viele Opfer sind traumatisiert, Häuser nicht bewohnbar, in vielen Orten liegen noch Schlamm und Dreck. Bürokratie lähmt den Wiederaufbau. In vielen Fällen herrscht nur noch Resignation und Erschöpfung statt Wut. Doch es gibt auch Lichtblicke und Menschen, die mit aller Kraft für eine bessere Zukunft im Ahrtal kämpfen!
BILD engagiert sich mit der Hilfsorganisation „Ein Herz für Kinder“ im Flutgebiet. BILD war auch immer vor Ort, um ein Versprechen einzulösen, das die Menschen an der Ahr sich heute mehr denn je von der Politik wünschen würden: Wir haben und werden euch nie vergessen! Wie beim Flut-Leser-Gipfel in der Niederhutklause mitten in Ahrweiler, wo Betroffene und Helfer von ihren Sorgen und Nöten berichteten.
Hier lesen Sie die Schicksale der Menschen aus dem Ahrtal.
„Mein Haus ist zerstört, aber ich bekomme kein Geld“
Hermann Josten (60) aus Dernau: „In meiner Familie sind eine Tante und die Familie eines Cousins mit drei Familienmitgliedern ertrunken. Alle fragen: Warum geht es (mit dem Wiederaufbau, d. Red.) nicht schneller? Wenn ich meinen Fall sehe: Mein Haus ist zerstört, aber ich musste erst mal ein Gutachten haben, um Geld zu beantragen. Dann bekam ich ein Gutachten von drei Seiten, welches völlig unbrauchbar war. Auf ein etwas besseres Gutachten habe ich fünf Monate gewartet. Das Gutachten war dann acht Monate später fertig. Das habe ich dann bei der landeseigenen ISB-Bank eingereicht und die hat das zwei bis drei Monate später genehmigt. Das Fazit war, dass mein Haus abgerissen werden musste. Dann muss man neu bauen. Heißt, man braucht einen Bauantrag und das Ok des Bürgermeisters, der Verbandsgemeinde, der Kreisverwaltung und der ISB-Bank, dass sie es fördern, und einen Architekten, der mitspielt.“
„Wir sind bei der Stadt komplett überlastet“
Nadine Wenigmann (33) arbeitet bei der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler bzw. engagiert sich bei AHRche e.V.: „Wir haben bei der Stadt viel zu wenige Leute. Wir sind überlastet. Es gibt laut Innenministerium eine Kampagne, damit wir mehr Mitarbeiter einstellen können. Aber davon habe ich noch nichts gemerkt. Es ist untragbar, was wir bei der Stadt leisten müssen. Dass wir dann ständig von außen kritisiert werden, tut weh. Die psychischen Probleme der Bevölkerung treten erst jetzt oder in den nächsten Jahren zutage. Wir benötigen schnell Therapie-Einrichtungen. Sonst gibt es die Katastrophe nach der Katastrophe.“
Hilfe für traumatisierte Flut-Kinder
Klaudia Skodnik (43) aus Bad Homburg ist mit ihrer Initiative „Fortuna hilft e.V.“ zu einer großen Stütze für die kleinen Flut-Opfer im Ahrtal geworden. Im Flutgebiet hat die Tiertherapeutin einen Zirkuswagen aufgestellt, in dem traumatisierte Kinder malen, basteln und spielen können. Und eine Traumatherapie bekommen. Zusammen mit Projektmanagerin Bianca Ferber (47) aus Karweiler erfüllt Skodnik die Kinderwünsche. „Es geht darum, dass Kinder hier auch miteinander wieder Spaß haben. Durch Corona und die Flut hatten sie eine echt schwere Zeit. Die Kinder wieder lachen zu sehen, freut mich riesig. Da ist mir der Weg aus Bad Homburg wert.“
„Brauchen viel mehr psychologische Hilfe“
Elke Hiel (64), Notfallseelsorgerin aus dem Ahrtal: „Wir brauchen gerade jetzt viel mehr psychologische Hilfe im Ahrtal. Am Anfang haben die Menschen nur funktioniert und waren mit den Aufräumarbeiten beschäftigt. Doch jetzt kommen all die schlimmen Erlebnisse wieder. Hinzu kommt: Die alten Menschen in der Stadt vereinsamen, sind schwer traumatisiert, weil die Versorgungszelte, die auch Treffpunkte waren, geschlossen werden mussten und ihnen auch keiner mit den Förder-Anträgen hilft. Stattdessen reduzieren die ersten Hilfsorganisationen ihre seelsorgerische Hilfe oder stellen sie ganz ein. Das ist fatal.“
„Helfer müssen sogar Hotel und Essen zahlen“
Steven Conzen (38), freiwilliger Helfer aus dem Saarland: „Die Politiker haben viel versprochen, aber ich will endlich Taten sehen. Ich bin drei Tage nach der Flut als freiwilliger Helfer gekommen und wir reißen uns bis heute den Arsch auf. Weil uns die Menschen brauchen und das, was wir stemmen, gar nicht bezahlen könnten. Aber immer mehr Helfer kommen nicht mehr, weil sie Hotel und Essen selbst zahlen müssen. Die Jugendherberge für 27 Euro die Nacht ist fast immer voll, mehr kann sich kaum einer leisten. Es würde zumindest ein wenig helfen, wenn wir Tankgutscheine bekommen.“
„Die Politiker reden nicht mit den Betroffenen“
Peter Pesch (67) aus Euskirchen kam mit seiner Frau Hana aus dem Flutgebiet Euskirchen in NRW und zog ins Ahrtal: „Wir sind Helfer der ersten Stunden und haben in Walporzheim monatelang das Versorgungszentrum mit betrieben und die Essensversorgung sichergestellt. Bis man dann plötzlich feststellte, das sei ja nicht mehr nötig. Da hatten wir aber eine ganz andere Meinung. Über eine große Gruppe habe ich dann einen Brief an die Landrätin geschrieben und angeregt, einen runden Tisch zu veranstalten, um mal die Probleme zwischen Helfern und Behörden zu thematisieren. Ich war über 30 Jahre Leiter einer Feuerwehr, habe nur im Katastrophen- und Feuerschutz gearbeitet. Also ich weiß, wovon ich rede. Die Kommunikation zwischen Politik und Verwaltung zu den Betroffenen, der Informationsfluss ist überhaupt nicht da. Wenn ich danach NRW sehe, Bad Münstereifel oder Euskirchen, dort sprechen Bürgermeisterin und Bürgermeister mit den Leuten, da läuft es wirklich anders.“
„Der Dreck der Flut muss endlich weg“
Anke Barteit (58) aus Bad Neuenahr: „Ich bin schwer krebskrank und traumatisiert. Ich traue mich kaum noch raus und gehe auch mit meinem Hund nicht mehr Gassi, weil bei uns immer noch der ganze giftige Dreck der Flut herumliegt und das immer wieder die schlimmen Erinnerungen hochspült. Der Dreck muss endlich weg! Bei uns hat sich so gut wie nichts getan und ein paar Häuser weiter, wo der ehemalige Landrat Pföhler wohnt, der die Menschen in der Flutnacht nicht rechtzeitig warnte, sieht alles schon wieder schmuck aus.“
„Brauchen Touristen, keine Gaffer“
Michael Buschow (63) aus Ahrweiler: „Hier in der Stadt sieht alles schon viel besser aus. Aber wenn man flussaufwärts fährt und die Dörfer dort sieht, dann hat man Tränen in den Augen. Wir Alten bleiben hier. Doch die Frage ist, ob auch die Jungen bleiben. Wir haben die Befürchtung, dass wirtschaftlich alles zusammenbricht. Wichtig ist, dass wieder Touristen kommen. Und zwar solche, die nicht als Gaffer kommen, sondern die Geld in die Region bringen.“
„E.ON will für zerstörte Wohnung kassieren“
Ursula Nink (79), wohnte in Bad Neuenahr: „Mein Mann und ich haben gesehen, wie Autos mit Menschen vorbeigeschwommen sind und wir konnten nicht helfen. Wir waren nach der Flut drei Tage in unserer Wohnung eingeschlossen, bis uns jemand rausholen konnte. Ohne Strom, ohne fließend Wasser. Doch noch immer bekommen wir mindestens jede Woche Post von E.ON, weil wir für sechs Monate nach der Flut Strom zahlen sollen, wo wir schon längst nicht mehr in der Wohnung wohnten. Dabei war der Zählerstand bei null und wir haben nicht einmal einen E.ON-Vertrag. Das scheint niemanden zu interessieren. Wir wissen nicht mehr, was wir tun sollen.“
Bürokratie hat unsere Hilfe abgewürgt
Wilhelm Hartmann (50), Helfer-Held und Gartenbauunternehmer aus Fulda: „Wir haben von Tag 1 unsere Menschlichkeit gezeigt, indem wir die Menschen teilweise aus ihren Trümmern befreit haben und animiert, mit aufzuräumen. Das ging dann über in Sachspenden und Lagerung. Wir haben dann an zwei verschiedenen Standorten Baustoffe im Wert von weit über acht Millionen Euro ins Ahrtal geholt und an die Betroffenen verteilt, die sich auch legitimieren mussten. Und die Frage, warum es das Baustoffzelt nicht mehr gibt, war wohl, dass ich keine Warendokumentation geführt habe. Wir waren mit der Lage auch überfordert. Wir haben z. B. Waschmaschinen vom Spender in das Auto des Betroffenen umgeladen. Das war ja in Ordnung. Aber von uns konnte doch keiner Werte dokumentieren. Wir haben geschätzt, immer defensiv.“
Zwei Jahre nach der Katastrophe im Ahrtal Das Geisterhaus der Todes-Flut
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