Ohne deutlich weniger Emissionen im Verkehrssektor sind Deutschlands Klimaziele nicht zu erreichen. Gleichzeitig hat die Ampelkoalition vor allem auf Drängen der FDP vereinbart, auch stark belastete Autobahnabschnitte als Ausbauprojekte von »überragendem öffentlichen Interesse« zu klassifizieren – und deren Ausbau beschleunigt voranzutreiben.
Das Kabinett hat nun den Gesetzentwurf zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich beschlossen. Ziel ist, die bisherigen Planungszeiten zu halbieren.
In dem Gesetzentwurf sind laut Regierungssprecher Steffen Hebestreit auch einfachere Zustimmungsverfahren der Straßenverkehrsbehörden für Solar- und Windkraftanlagen entlang der Autobahnen vorgesehen. Bei neuen Autobahnen soll der Bau von Solaranlagen entlang der Strecke vorgeschrieben sein – dieser Passus war vor allem auf Betreiben der Grünen aufgenommen worden.
Einigung nach Marathon-Koalitionsausschuss
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) sagte in Berlin, der Gesetzentwurf werde auch für den Ausbau von Radwegen gelten. Die Bundeswasserstraßen seien nicht in den Entwurf aufgenommen worden; er bedauere das sehr. »Die Grünen wollten das nicht.«
Der Koalitionsausschuss hatte sich nach langem Streit in einer Marathonsitzung Ende März auf einen beschleunigten Infrastrukturausbau auch im Straßenverkehr verständigt. Allerdings legen die Koalitionspartner diese Beschlüsse nun offenbar unterschiedlich aus – und daran entzündet sich Streit.
Im Ausschuss gab es eine Liste von 144 Autobahnprojekten, die als »von überragendem Interesse« eingestuft wurden und entsprechend prioritär behandelt werden sollen. Das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) spricht von einer »abschließenden« Liste.
Streitfall A23 in Schleswig-Holstein
Diese findet sich laut Wissing nicht im Gesetzentwurf; sie soll zu einem späteren Zeitpunkt per Rechtsverordnung vom Kabinett beschlossen werden. Der Verkehrsminister sagte, mehrere Bundesländer hätten um mehr Zeit gebeten, ihre Projekte anzugeben. Er habe das Gesetzgebungsverfahren aber jetzt starten wollen. Die Länder müssen ihr Einvernehmen erklären.
Und davon ist man in manchen Fällen noch weit entfernt. Zoff gibt es etwa um den Ausbau der A23 in Schleswig-Holstein. Wissing sagte, Habeck habe am Dienstagabend zur Bedingung für die Kabinettsbefassung gemacht, dass die A23 ausgenommen werde. Sie sei nun als einziges Projekt im Gesetzentwurf genannt.
FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki warf Habeck ein »mieses machtpolitisches Spiel« vor. Der Minister wolle die geplante Beschleunigung des Ausbaus der A23 in Schleswig-Holstein verhindern, trotz eines gegenteiligen Beschlusses der dortigen schwarz-grünen Landesregierung. Habeck kommt aus Schleswig-Holstein.
Eine Sprecherin Habecks erklärte dagegen, in der vom Koalitionsausschuss beschlossenen 144er-Liste sei die A23 »explizit nicht ausgewiesen« gewesen. »Auf das Problem wurde von unserer Seite rechtzeitig hingewiesen«; allerdings sei diesem Hinweis nicht entsprechend nachgegangen worden. »Wolfgang Kubicki müsste daher seine Kritik bitte an Volker Wissing richten.«
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident spricht von einem »unwürdigen Schauspiel«
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther äußerte sich ebenfalls harsch. »Die Bundesregierung verspielt mit dem unwürdigen Schauspiel um die A23 jegliches Vertrauen in eine verlässliche Regierungsarbeit«, sagte der CDU-Politiker. »Mir ist es am Ende egal, ob der Bundesverkehrsminister die A23 auf der Liste vergessen hat oder der grüne Wirtschaftsminister sein Veto eingelegt hat«, sagte Günther.
Nach den Absagen an die A20, den Nord-Ostsee-Kanal und nunmehr die A23 sehe die Bundesregierung kein Projekt in Schleswig-Holstein als überragend wichtig an, kritisierte Günther. »Das ist ein wirklich schlechter Tag für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes, ein schlechter Tag für die Bürgerinnen und Bürger und auch ein ganz schlechter Tag für die Beziehung mit dem Bund. So geht man schlicht nicht miteinander um.«
Von einem skandalösen Vorgang sprach Schleswig-Holsteins FDP-Landtagsfraktionschef Christopher Vogt. »Wir sind entsetzt, dass Robert Habeck erneut seine Ideologie über die Interessen des eigenen Bundeslandes stellt.« Das sei eine schlechte Nachricht für die Anbindung der Westküste, die viele wirtschaftliche Chancen habe, und den Kreis Pinneberg. »Damit missachtet er auch ganz klare Beschlüsse des Koalitionsausschusses auf Bundesebene.«
Auch aus Nordrhein-Westfalen kam Kritik am Verfahren. »Das Kriterium des vordringlichen Bedarfs ist nicht schlüssig angewandt worden«, heißt es etwa in einem Schreiben von NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) an Wissing.
Jenseits der konkreten Frage, wie die Liste letztlich aussehen wird, gibt es auch grundlegende Bedenken gegen beschleunigten Autobahnausbau. Es sei gut, dass der Koalitionsausschuss die Verfahrensbeschleunigung beim Straßenbau »eng, auf wenige Projekte«, eingegrenzt habe, sagte Umweltminister Steffi Lemke (Grüne). »Wir können es uns in Zeiten von Hitze, Dürre und Wassermangel nicht leisten, zu sagen, ›Autobahnbau ist grundsätzlich wichtiger als Umwelt und Naturschutz‹, und das ist auch nicht das Ergebnis des Koalitionsausschusses.«
Sie halte es in Zeiten von Klimakrise und Artensterben nicht für verantwortbar, Umweltschutzstandards zu schleifen, nur um Autobahn-Projekte grundsätzlich einige Monate schneller fertigzustellen. Erhalt, Pflege und Reparatur bereits vorhandener Straßen und Brücken müsse Priorität gegenüber immer mehr Neubauten haben.
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