Stand: 01.09.2022 10:38 Uhr
Am Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen will die Regierung in Warschau einen Bericht herausgeben, der Weltkriegsschäden beziffert. Daraus könnten auch neue Reparationsforderungen an Berlin abgeleitet werden.
Der polnische Premier Mateusz Morawiecki hat nach eigenem Bekunden den Schadensbericht gelesen - und war schockiert, wie er selbst unlängst sagte. Bei Begegnung mit deutschen Politikern habe Morawiecki das Thema hinter verschlossenen Türen stets vergleichsweise pflichtschuldig abgehakt, wie einer seiner Besucher bezeugte. Für den Chef der regierenden PiS-Partei, Jaroslaw Kaczynski, soll die Frage der Weltkriegsreparationen dagegen ein schon größeres Herzensanliegen sein.
Kaczynski bringt die Frage seit Jahren immer wieder auf, zuletzt wieder Anfang August. Dieser Auftritt wurde allgemein als grünes Licht dafür begriffen, den Schadensbericht nun nach einiger Verzögerung zu veröffentlichen, nämlich am heutigen Jahrestag des Weltkriegsbeginns.
Was immer noch nicht bedeutet, dass Polen dann auch formal Reparationen einfordert, statt damit wie bisher nur zu drohen. Es gehe um einen "längeren Prozess", sagte Arkadiusz Mularczyk, der Autor des Schadensberichts, Abgeordneter und Leiter einer früheren Kommission zum Thema Entschädigung.
In Deutschland gebe es heute kein Bewusstsein für das Geschehen des Zweiten Weltkriegs, die Veröffentlichung solle sensibilisieren - nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA, Großbritannien und anderen Ländern.
Ein Vielfaches des Staatshaushalts
Unklar ist die kalkulierte Schadenssumme; die Rede war immer wieder von einem hohen dreistelligen Milliarden-Euro-Betrag. "Das sind nur Schätzungen und Berechnungen, denn es gibt keine Republik Polen mehr, wie sie 1939 bestand", sagt Mularczyk dazu. "Die Grenzen sind andere und nur 53 Prozent des heutigen Gebietes Polens gehörten zur damaligen Republik. Doch sind es erhebliche Summen, die unseren Staatshaushalt mehrfach übersteigen."
Tatsächlich litt Polen unter der besonders langen Besatzungszeit in hohem Maße. Etwa sechs Millionen Polen starben, die Hälfte davon polnische Juden; weitere Millionen wurden zur Zwangsarbeit verschleppt, misshandelt oder fielen im sowjetisch besetzten Teil des Landes dem Terror Stalins zum Opfer, der bis 1941 Verbündeter Hitlers war. Kaum überschaubar sind die materiellen Verluste wie niedergebrannte Stadtviertel, geraubte oder zerstörte Kulturgüter.
Druckmittel gegen Berlin?
Deutschland leistete in gewissem Umfang Entschädigung, bis die sozialistische Volksrepublik Polen 1953 auf weitere Reparationen verzichtete. Der offizielle deutsche Standpunkt heute ist, dass die Frage spätestens mit den Vereinbarungen nach der Wende politisch und rechtlich abgeschlossen sei. Berlin verweist auch auf freiwillige Leistungen, etwa im Rahmen der Zwangsarbeiter-Entschädigungen.
Doch möglicherweise kommt die Diskussion selbst im Falle eines Regierungswechsels in Warschau nicht zur Ruhe, wie der regierungskritische Journalist Bartosz Wielinski von der "Gazeta Wyborcza" prophezeit: "Das muss man irgendwie lösen. Geld, ein Projekt, ein Symbol. Das Thema wird bleiben, damit keiner in der Zukunft wieder mit der blöden Karte spielt, dass die Deutschen uns Billiarden schulden für den Krieg. Das muss endgültig gelöst werden bei nächster Gelegenheit."
Doch wird die aktuelle polnische Regierung eines Tages tatsächlich eine Milliarden-Rechnung nach Berlin schicken? Beobachter vermuten, dass es eher um das Kalkül geht, mit der Reparationspeitsche Druck auszuüben auf Berlin - denn Deutschland führe sich, wie PiS-Politiker immer wieder klagen, als "moralischer Lehrmeister" auf.
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