Manchmal rächt sich die Geschichte doch. Der große Gaskonzern Uniper verliert durch Wladimir Putins Erpressungen sein Geschäftsmodell. Der Konzern büßt viele Millionen Euro ein durch den Ausfall der russischen Gaslieferungen durch die Röhre Nord Stream 1. Nun plant die Bundesregierung den Einstieg bei dem Gasunternehmen und wird womöglich sehr viel Steuergeld hineinkippen.
Dieses Szenario ist so beklemmend unausweichlich wie empörend. Denn Uniper – und sein Vorläuferkonzern E.on bis 2016 – war einer der Hauptagenten für Deutschlands Weg in die Abhängigkeit von Putins politisch kontrollierten Gaslieferungen. Dieser Konzern hat sein Gasgeschäft willentlich und systematisch mit Russland verflochten und erstickt nun an seiner fehlgeleiteten Strategie der letzten zwei Jahrzehnte. Wie konnte es dazu kommen?
Gas als Waffe
Der Uniper-Vorgängerkonzern E.on war ein Schröder-Produkt. Die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder ermöglichte den Aufbau des Energiekonzerns mit marktbeherrschender Stellung. Erst fusionierten 2000 Viag und Veba, dann übernahm die neue E.on-Gesellschaft den Gasversorger Ruhrgas, der damals schon 60 Prozent des deutschen Gasmarktes kontrollierte. Dagegen legte das Kartellamt zu Recht Widerspruch ein, aber die Schröder-Regierung drückte die Übernahme von Ruhrgas per Ministererlaubnis durch. Ein Gigant war entstanden, der sich künftig mit einem anderen Giganten verbünden sollte: Gazprom.
E.on bezog sein Gas überwiegend aus Russland und konnte nicht genug davon bekommen. Immer neue Lieferverträge und schließlich die Beteiligung an sibirischen Gasfeldern erhöhten die Abhängigkeit des größten deutschen Energiekonzerns von Russland. Schröder gefiel es. E.on beteiligte sich am Bau von Nord Stream 1 in den Nullerjahren und am Bau von Nord Stream 2 ab 2016. Genau diese Pipelines sind heute das Verhängnis des Konzerns. Als Putin mit dem Überfall auf die Ukraine im Februar Nord Stream 2 politisch zerstörte, durfte der E.on-Nachfolger Uniper fast eine Milliarde Euro abschreiben. Mit dem Versiegen von Nord Stream 1 lässt Putin das Geschäft von Uniper endgültig platzen.
Der Konzern war gewarnt. Es gab zahlreiche Interviews von 2008 bis heute, wo E.on-Manager auf kritische Fragen nach Russlands Gaswaffe abwiegelten. "Einen äußerst zuverlässigen Lieferanten" nannte der E.on-Ruhrgas-Chef Bernhard Reutersberg Gazprom 2008. Der E.on-CEO Johannes Teyssen behauptete nach Putins Überfall auf die Ukraine 2014, "Russland habe kein Interesse", Gas als Waffe einzusetzen, weil es vom Export lebe. "Die Russen können beschließen, kein Geld zu verdienen, was sehr unwahrscheinlich ist." Noch im Januar 2022 behauptete Uniper-CEO Klaus-Dieter Maubach Ähnliches: Gas aus Russland sei "seit 50 Jahren absolut zuverlässig".
Das Gegenteil ist richtig. Putin wies Gazprom bereits während seiner Konflikte mit den prowestlichen Regierungen der Ukraine von 2004 bis 2014 mehrfach an, den Gasfluss dorthin zu verknappen. Auch erpresste Gazprom ostmittel- und südosteuropäische Staaten mit exorbitanten Preisen. Und im Jahr 2021 laugte Gazprom die deutschen Gasspeicher aus, damit Deutschland verwundbar wird. Gas ist in Russland keine Handelsware, sondern ein politischer Rohstoff. Und als solcher ruiniert Gas jetzt die Bilanz von Uniper.
Alternativen zu Russland verhindert
Schlimmer noch ist, dass E.on im Lauf der vergangenen 20 Jahre Alternativen zu Russlands Gaslieferungen ignoriert oder nachgerade verhindert hat. E.on versprach in den Nullerjahren, ein deutsches Flüssiggas-Terminal in Wilhelmshaven zu bauen. Alle dachten, die Sache läuft, Deutschland bekommt sein Terminal. Doch der Konzern verschleppte den Bau jahrelang, um das Projekt 2008 zu begraben. Damals plante auch der Konzern RWE ein LNG-Terminal, stoppte die Planungen aber auch 2011. Und Uniper verwarf erneut 2020 die Planungen für ein LNG-Terminal wegen zu geringer Nachfrage. Es lohne sich nicht, hieß es. Auch die Kunden kauften lieber das billigere russische Gas. Für Nord Stream 2 aber warf man gern Geld in eine Grube, deren Grund man nicht sah.
Doch um Nachfrage ging es gar nicht. Deutsche Energieexpertinnen wie Kirsten Westphal und Claudia Kemfert empfahlen nach Gazproms Lieferstopps in die Ukraine in den Nullerjahren dringend ein solches Terminal für die Versorgungssicherheit. Alle wussten, es wäre eine strategische Investition gewesen. Mit einem LNG-Terminal stünde Uniper heute super da – und müsste womöglich nicht gerettet werden. Nun soll der Gasgigant ein Terminal mit Staatsgeld bauen.
Putin blieb Partner der Wahl
Auch andere Alternativen mied der Konzern tunlichst. In den Nullerjahren förderte die Europäische Kommission das Nabucco-Projekt, eine Pipeline, die Gas vom Kaspischen Meer über die Türkei nach Europa bringen sollte. An Russland vorbei. Der E.on-Ruhrgas-Chef Burckhard Bergmann sagte dazu 2008, er sehe "in der Umsetzung ernste Probleme" – woher solle denn das Gas kommen? In Deutschland zerstörten solche Einschätzungen der Erdgas-Chefs die Reputation des Projekts. Nur RWE beteiligte sich vorübergehend an Nabucco. E.on investierte ab 2010 in ein Konkurrenzprojekt, die TAP-Pipeline, stieg aber im Oktober 2014 wieder aus. Und zwar, als das Nabucco-Projekt gestorben war und russische Soldaten in der Ostukraine standen. Auch nach Putins Angriff blieb Russland der Partner der Wahl für den deutschen Gas-Konzern.
Es entlastet Uniper, vormals E.on, nicht, dass der deutsche Konkurrent Wintershall unter dem Dach von BASF sich Gazprom auf ähnliche Weise in die Arme warf. Sich an Nord Stream 1 und 2 beteiligte. Sich in sibirische Gasfelder einkaufte. Wintershall verhökerte sogar alle seine deutschen Gasspeicher an Gazprom, abgesegnet von SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Wohlgemerkt, nach Putins Überfall auf die Ukraine 2014! Der Warnungen vor diesen Gasdeals mit Putin waren viele. Aber die Gaswirtschaft wollte sie nicht hören.
Deshalb ist es mehr als dreist, dass Uniper nach zwei Jahrzehnten des üppigen Geldverdienens bei gleichzeitiger strategischer Misswirtschaft nun den deutschen Bürgern finanziell zur Last fällt. Im Gespräch ist eine Umlage für alle privaten Gaskunden. Die Bundesregierung wird wohl oder übel aus der Steuerkasse zahlen, um die deutsche Versorgung zu sichern. Das Geld wird woanders fehlen. Doch schon jetzt brennt die Frage: Wer, bitte schön, ist eigentlich wirtschaftlich, politisch und persönlich für diese Katastrophe verantwortlich?
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