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Votum des EU-Parlaments zum Green Deal: Wo die Lobbyisten triumphierten – und wo nicht - DER SPIEGEL

Braunkohlekraftwerk in Schkopau in der Nähe von Halle: In Deutschland und Osteuropa laufen noch hunderte Kohlemeiler

Braunkohlekraftwerk in Schkopau in der Nähe von Halle: In Deutschland und Osteuropa laufen noch hunderte Kohlemeiler

Foto: photo2000 / IMAGO

Die Briefe von Lobbyisten beginnen meist mit einem Bekenntnis zum Klimaschutz. »Wir unterstützen die Ziele des Europäischen Green Deal«, heißt es in den Schreiben, die den EU-Parlamentariern in den vergangenen Wochen in Massen zugingen. Industrie- und Automobilverbände warben darin für ihre Interessen – und dafür, Vorgaben und Standards möglichst »wirtschaftsfreundlich«, »flexibel« oder »Technologieoffen« auszugestalten. Von einem regelrechten »Lobby-Tsunami« sprachen einige Abgeordnete.

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Grund dafür ist das größte jemals verhandelte Klimapaket, mit dem die Europäische Union ihre Emissionen massiv senken und aus fossilen Rohstoffen aussteigen will. Es heißt »Fit for 55«, umfasst 13 Gesetzentwürfe und zahlreiche Änderungsvorschläge für bestehende Verordnungen und Gesetze. Damit sollen in spätestens 30 Jahren alle Mitgliedstaaten klimaneutral werden – also unter dem Strich nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als sie auch wieder aus der Atmosphäre holen.

Plenarsaal des EU-Parlaments in Straßburg

Plenarsaal des EU-Parlaments in Straßburg

Foto: Dursun Aydemir / Anadolu Agency / Getty Images

Dieses Mammutpaket stand am Mittwoch erstmals zur Abstimmung, nachdem es die EU-Kommission vor knapp einem Jahr  der Öffentlichkeit vorgestellt hatte. Die EU-Parlamentarier positionierten sich damit zu den Vorschlägen der Kommission, bevor das Parlament dann die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten aufnimmt.

Dabei gab es gleich zwei Überraschungen: So stimmten die Abgeordneten aus 27 Ländern mehrheitlich für ein effektives Verkaufsverbot neuer Autos mit Benzin- und Dieselantrieb ab 2035. Der Vorschlag für das Verbrenner-Aus wurde mit 339 Ja- zu 249 Neinstimmen angenommen.

Außerdem lehnten die Parlamentarier die Reform und Ausweitung des europäischen Emissionshandels auf die Bereiche Verkehr und Gebäude ab. Die Umsetzung wichtiger Teile des Pakets wird damit verzögert. Einige Parlamentarier sprachen von einem »schwarzen Tag« für das Parlament, andere wie der Konservative Peter Liese von einer »Schande«.

Doch was geschah wirklich hinter den Kulissen des Plenarsaals und welche Folgen hat dieser Abstimmungsshowdown für Europas Klimapolitik?

Lobbyisten sind gescheitert – im ersten Anlauf

Positiv überrascht waren Klimaschützer von der Mehrheit für ein Verkaufsverbot von Benzin- und Dieselautos. Das kam selbst für viele Abgeordnete vollkommen unverhofft. »Jetzt ist klar, dass die Zukunft in der Elektromobilität liegt«, sagte der grüne Abgeordnete Michael Bloss. Einige Parlamentarier hatten noch vor der Abstimmung erklärt, es werde »voraussichtlich keine Mehrheit geben«.

Während die grüne Fraktion das Ergebnis feiert, ärgern sich die Autoverbände. Die hatten im Vorfeld massiv dagegen lobbyiert. Es sei eine Entscheidung »gegen die Bürger, gegen den Markt, gegen Innovation und gegen moderne Technologien« getroffen worden, wetterte Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA) nach der Abstimmung. In Lobbyschreiben an Abgeordnete hatte der VDA für »Technologieoffenheit« geworben.

Geht es nach dem EU-Parlament können noch maximal 13 Jahre lang Autos mit Verbrennungsmotoren verkauft werden.

Geht es nach dem EU-Parlament können noch maximal 13 Jahre lang Autos mit Verbrennungsmotoren verkauft werden.

Foto: J. Morrill / Getty Images

Dahinter steckt der Versuch, den Verbrennungsmotor noch zu retten – und ihn klimafreundlich zu machen. Der Verband wirbt deshalb schon seit Jahren für sogenannte E-Fuels. Diese synthetischen Kraftstoffe werden aus Wasserstoff und Kohlendioxid hergestellt. Wird der Wasserstoff mit Ökostrom produziert, ist der Sprit CO2-neutral, argumentiert der Verband. Nach dieser Logik hätten die Autohersteller allen Grund, noch länger am lukrativen Geschäft mit den Benzin- und Dieselfahrzeugen festzuhalten. Deshalb ist man auch gegen das quasi-Verbot der Technik ab 2035.

Doch die Autowelt ist nicht mehr so geschlossen wie es scheint: Einige Autokonzerne sprachen sich im Vorfeld sogar für ein Verbot ab 2035 aus – etwa Volvo und Ford. Das erhärtet den Verdacht, dass der VDA für Nachzügler bei der Umstellung auf E-Wagen eine Karenzzeit verhandeln wollte – mit scheinheiligen Argumenten. Denn viele Autokonzerne, vor allem in Deutschland, haben die E-Autowende verschlafen und suchen nun nach letzten Schlupflöchern, um diesen Rückstand zu kompensieren.

Blockade beim Emissionshandel: Es geht um viel Geld

Auch die zweite Überraschung bei der Abstimmung am Mittwoch bestand in einer herben Niederlage für Industrie und Autolobby. Dabei geht es um das Herzstück der EU-Klimapolitik: Der Emissionshandel sorgt dafür, dass für den Ausstoß klimaschädlicher Gase wie CO₂ gezahlt werden muss. Der Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, dass dieser für die Industrie und Energieproduzenten bis 2030 verschärft wird. Außerdem soll der Handel nun auf Gebäude und Verkehr ausgeweitet werden. Letzteres halten auch Klimaexperten für sinnvoll – wenn der CO2-Handel strengen Kriterien folgt.

Der neue Emissionshandel soll ab 2025 zuerst einmal nur für den Ausstoß klimaschädlicher Gase von gewerblichen Gebäuden und beim kommerziellen Verkehr gelten – private Haushalte wären zunächst ausgenommen. Auch ein Sozialfonds, um Preissteigerungen für sozial Schwache auszugleichen, ist vorgesehen.

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    Doch das gesamte Paket wurde abgelehnt. Das liegt in erster Linie daran, dass man sich nicht auf Verschärfungen beim »alten« Emissionshandel einigen konnte. So sprachen sich Grüne und Sozialdemokraten dafür aus, den sogenannten Reduktionsfaktor – also die stetig sinkende Menge an verfügbaren Gutschriften (siehe Kasten) – zu beschleunigen. Konservative hingegen plädierten für einen sanfteren Anstieg des Faktors und dafür, länger kostenlose Zertifikate an die Unternehmen zu verteilen.

    Bisher gibt es zwei Systeme in der EU für die CO2-Einsparung: Seit 2005 gibt es den EU-Emissionshandel (ETS), unter den aber nur die Industrie und Energieerzeuger, etwa Kohlekraftwerke und Chemiefabriken, fallen. Dabei bekommen die Unternehmen CO2-Zertifikate zugeteilt, teils kostenlos. Übersteigt ihr CO2-Ausstoß die zugeteilten Gutschriften, müssen sie am Markt zukaufen. Außerdem wird die Menge an verfügbaren Zertifikaten wegen eines automatischen Reduktionsmechanismus immer knapper. Wie wirksam der Emissionshandel ist, bestimmt sich dadurch, wie hoch dieser »Reduktionsfaktor« ist und wie viele Zertifikate frei an die Unternehmen zugeteilt werden. Denn je höher der CO2-Preis der Zertifikate, desto höher der Ansporn, auf CO2-sparende Technologien zu setzen.

    Für alle anderen Bereiche gibt die EU bisher jedem Land ein Klimaziel vor – das sogenannte Effort-Sharing. Das betrifft Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude, Abfall sowie manche Energie- und Industrieanlagen. Insgesamt sind darüber rund 60 Prozent der EU-Treibhausgasemissionen geregelt. Jeder Mitgliedstaat kann dann selbst entscheiden, welche Anreize oder Verbote er setzt, um diese Ziele zu erreichen. Das Effort-Sharing soll nun eingeschränkt werden – und dafür der Emissionshandel ausgeweitet werden. Das bedeutet mehr Regulierung auf europäischer – statt auf nationaler Ebene.

    Für diese Position hatten auch Unternehmensverbände geworben: Würden CO2-Gutschriften reduziert oder gelöscht, führe das zu »einer unnötigen, künstlichen Verknappung auf dem Kohlenstoffmarkt« und zu hohen Kosten für Unternehmen und Haushalte. Diese hätten bereits mit explodierenden Energiekosten zu kämpfen. Stattdessen forderten die Lobbyisten mehr Subventionen und finanzielle Anreize, um neue Technologien einzuführen.

    Für die Unternehmen geht es bei den EU-Beschlüssen um sehr viel Geld: Wenn sie nicht rechtzeitig auf klimafreundliche Technologien umstellen, der CO2-Preis weiter steigt und sie die Zertifikate auch nicht mehr gratis bekommen, könnte es teuer werden. Derzeit steht der Preis bereits bei rund 80 Euro pro Tonne CO₂, vor einem Jahr lag er noch bei rund 50 Euro.

    Allerdings war – und ist – auch das genau die Idee des Emissionshandels. Und diesen gibt es immerhin schon seit rund 17(!) Jahren. Genug Zeit also, sich umzuorientieren, könnte man meinen.

    Verzögerung zugunsten des Klimas?

    Doch bringt die Abstimmung den Klimaschutz in der EU nun weiter?

    Die abgelehnten Vorschläge werden wieder zurück an den Umweltausschuss des EU-Parlaments verwiesen. Das ist erst einmal besser, als mit schwachen Vorschlägen in die weiteren Verhandlungen zu gehen. Gleichzeitig müssten die am Mittwoch abgelehnten Gesetze aber so schnell wie möglich verabschiedet und dann mit Europas Regierungen verhandelt werden.

    Denn die Uhr tickt: Bereits in weniger als acht Jahren müssen die ehrgeizigen Zwischenziele der EU von minus 55 Prozent Emissionen gegenüber 1990 erreicht, in 28 Jahren soll die EU schon klimaneutral sein. Wenig Zeit also, um Hunderte Millionen Tonnen beim Verkehr, Heizen oder in der Landwirtschaft einzusparen. Die Planung von Windparks, klimafreundlichen Stahlwerken  und der Bau von Hunderttausenden Ladesäulen für die Elektroautos  benötigt teils Jahre. Und die Klimagesetze sind selbst im Falle einer Einigung des EU-Parlaments noch lange nicht beschlossen.

    »Ob sich in weiteren Verhandlungen mehr für den Klimaschutz herausholen lässt, ist zumindest fraglich«, kommentiert Veronika Grimm, Ökonomin und Mitglied im Sachverständigenrat für Wirtschaft der Bundesregierung. Es gebe auch unter denen, für die Klimaschutz oberste Priorität hat, ganz unterschiedliche Vorstellungen, in welche Richtung Verbesserungen gehen sollen. »Wenn man es schaffen würde, den zweiten Emissionshandel für Verkehr und Gebäude über die aktuellen Vorschläge hinaus zu stärken, dann wäre das positiv und vielleicht eine Verzögerung wert«, so Grimm. »Aber dafür sehe ich wenig Chancen.«

    Die europäische Energiewende ist immer noch eine riesige Baustelle

    Die europäische Energiewende ist immer noch eine riesige Baustelle

    Foto: Sylvio Dittrich / IMAGO

    Auch Brick Medak vom Klima-Thinktank E3G spricht von Verzögerungen, »die sich die EU eigentlich nicht leisten kann.« Anders als Veronika Grimm hält er aber die Reformen des alten Emissionshandels für Industrie und Energieproduktion für ausschlaggebend. »Im Umweltausschuss gibt es jetzt eine zweite Chance, gerade beim Emissionshandel wieder mehr Ambition zu erreichen.« Durch das massive Eingreifen der Industrielobby habe die konservative EVP-Fraktion, der auch CDU und CSU angehören, durch parlamentarische Tricks versucht, wichtige Klimaschutzinstrumente der EU wie den Emissionshandel abzuschwächen. »Es konnte ein gefährlicher Rückschritt für die Klimapolitik der EU und ein erheblicher Schaden für den European Green Deal gerade noch abgewendet werden«, so Medak.

    ...danach kommen erst die echten Bremser

    Während einige Experten das chaotische Abstimmungsverhalten am Mittwoch scharf kritisieren, sehen andere darin sogar einen Beweis, dass es in der Klimapolitik nun zur Sache geht. »Durch die ›Politisierung‹ der gestrigen Abstimmung ist allerdings die Gefahr groß, dass es jetzt noch ein wenig dauert, bis sich die Abgeordneten formell einig werden«, sagt Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Geden erwartet keine größeren Durchbrüche mehr für den Klimaschutz. »Einige Kompromisse bei den Zuteilungen im Emissionshandel wird es noch geben«, so der Klimaexperte. Und es gebe noch eine Gefahr: Je schwächer das Parlament, desto stärker könnten die Mitgliedstaaten am Ende die Vorschläge der EU-Kommission noch verwässern.

    Denn die Staats- und Regierungschef entscheiden meist weitaus konservativer beim Klimaschutz als das Parlament. Besonders osteuropäische Regierungen wie Polen und Ungarn sind für ihre kritische Haltung zum Emissionshandel bekannt. Doch auch Deutschland schwächte in der Vergangenheit mehrmals ehrgeizige Klimastandards für Pkw ab.

    Angesichts der aktuellen Energiepreiskrise könnten einzelne Länder, die ohnehin nie große Klimaschützer waren, nun noch stärker bremsen. Sie dürften dann ähnlich argumentieren wie viele Wirtschaftslobbyisten: In Zeiten wie diesen könne man sich hohe CO2-Preise und Belastungen für die Industrie nicht leisten.

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      Auch gegen das Verbrenner-Aus im Jahr 2035 könnten Verbände wie der VDA noch einmal alles geben, um es zu verzögern oder zumindest Ausnahmen zu verhandeln. Dabei bleibt eigentlich überhaupt keine Zeit mehr für weitere Verschleppungen. Klimafreundliche Lösungen müssten billig, CO2-intensive schnell extrem teuer werden. Nach sechs Weltklimaberichten gibt es eigentlich keine Ausreden mehr. Fossile Lobbyisten bleiben Europa deshalb eine Antwort schuldig: Wann, wenn nicht jetzt?

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