Ihr Mann habe sie gefragt, ob sie Angst habe, erzählt Gabriele Stauf. „Ich finde schlimm, was passiert ist“, sagt sie. „Aber wenn ich Angst hätte, wäre ich hier falsch.“ Seit zwei Jahren arbeitet die 54-Jährige in einer Berliner Tankstelle – in einem „toten Winkel“, wie sie sagt, zwischen Autobahn, S-Bahn-Haltestelle und einem leeren Hinterhof.
Mit „schlimm“ meint Stauf die Gewalttat im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein am vergangenen Samstagabend, die das Land schockiert: Ein Tankstellenkassierer hatte einen Kunden auf die Maskenpflicht hingewiesen. Etwa eine Stunde später kam der Kunde zurück und erschoss den 20-jährigen Studenten. Inzwischen hat der 49-jährige Schütze gestanden, als Motiv gab er in einer Vernehmung die Corona-Politik an.
Zuvor hatte er sich wohl radikalisiert, bezeichnete sich in sozialen Medien selbst als „Rassisten“. Ein Maskenverweigerer, der ohne tiefergreifenden Grund spontan einen Menschen tötet? Diese Vereinfachung wird der Tat wohl nicht gerecht. Dennoch rückt das Geschehene die Situation derer in den Fokus, die jeden Tag die Corona-Regeln durchsetzen müssen.
Tankstellen-Mitarbeiterin Stauf redet nur ungern über die Tat, will nicht zu viel darüber nachdenken. Kunden grüßt die Kassiererin mit kräftiger Stimme. Habe jemand keinen Mund-Nasen-Schutz, weise sie auf die Maskenpflicht hin. Viele hielten sich dann die Jacke vors Gesicht, so wie auch ein maskenloser Kunde an diesem Donnerstagmorgen. Wer gar nicht reagiere, den bitte sie, zu anderen Abstand zu halten und den Laden schnellstmöglich zu verlassen.
In Tankstellen kämen viele Themen mit Aggressionspotenzial zusammen, sagt Herbert Rabl vom Tankstellen-Interessenverband: Straßenverkehr, hohe Spritpreise, Wartezeiten – und nun auch noch die Corona-Regeln. „Die Mitarbeiter sind besorgt und fragen sich: Wie werden wir geschützt? Wer hilft uns?“ Es herrsche das Gefühl, von der Politik alleingelassen zu werden.
„Mit den Corona-Regeln wälzt die Politik polizeiliche Aufgaben auf Unternehmen ab. Der Tankstellenbedienstete wird zum Polizisten“, kritisiert Rabl. Die Mitglieder des Verbands berichteten von Bußgelddrohungen durch Ordnungsämter. „Es gibt also auch einen hohen Druck, Regeln durchzusetzen, selbst wenn dies womöglich gefährlich sein könnte.“
„Die Aggressivität erstaunt uns immer wieder“
Stephan Zieger, Geschäftsführer des Bundesverbands freier Tankstellen, sieht das größte Problem darin, dass die Tankstellen kaum durchgreifen können. „Wenn ein Kunde den Shop betritt, hat er schon getankt. Sie müssen ihn dann also auch abkassieren“, erklärt er. „Es ist eine sehr schwierige Situation, weil Polizei und Ordnungsamt nicht sofort greifbar sind. Aber das ist auch der Preis für eine offene Gesellschaft.“
Andere Unternehmen berichten allerdings von einer engen Kooperation. Die Deutsche Bahn spricht von einem „engen und bewährten Zusammenwirken von Deutscher Bahn, Polizei und Ordnungsbehörden“. Alle von WELT angefragten Unternehmen, auch Einzelhändler, betonen zudem eine hohe Bereitschaft ihrer Kunden zum Masketragen. Das sieht auch Zieger so: „Aber es gibt eben auch Menschen, die sich durch Beschimpfungen auszeichnen. Die Aggressivität einiger Kunden erstaunt uns immer wieder.“
Rabl vom Tankstellen-Interessenverband kritisiert in diesem Kontext den hohen Kostendruck, unter dem Pächter stünden. „Für Personal ist wenig Geld vorgesehen.“ Die Kassierer arbeiteten in der Regel zum Mindestlohn, neben dem Studium oder als Zweitjob. „Sie haben es mit Mitarbeitern zu tun, die mit Konfrontation überfordert sind, weil sie dafür nicht ausgebildet sind. Zugleich fehlt das Geld für einen Sicherheitsdienst. Die Mineralölgesellschaften unterstützen da zu wenig.“
Die Tat in Idar-Oberstein ereignete sich in einer Tankstelle der Marke Aral. Auf Anfrage teilt das Unternehmen mit, die Corona-Regeln hätten sich auf das Verhalten einiger Kunden ausgewirkt. Ein „ungewöhnlich hohes Aggressionspotenzial“ könne man aber nicht feststellen. Grundsätzlich sei das Personal an den Tankstellen auch entsprechend geschult.
Gabriele Stauf arbeitet die meiste Zeit allein, nur manchmal seien vereinzelt andere Mitarbeiter da. Ein Pfefferspray zur Verteidigung? Hat sie nicht. „Nur meine Hände und Füße.“ Im Taekwondo-Training habe sie gelernt, sich im Notfall zu verteidigen.
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