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Tat in Idar-Oberstein: „Der Tankstellenbedienstete wird zum Polizisten“ - WELT

Ihr Mann habe sie gefragt, ob sie Angst habe, erzählt Gabriele Stauf. „Ich finde schlimm, was passiert ist“, sagt sie. „Aber wenn ich Angst hätte, wäre ich hier falsch.“ Seit zwei Jahren arbeitet die 54-Jährige in einer Berliner Tankstelle – in einem „toten Winkel“, wie sie sagt, zwischen Autobahn, S-Bahn-Haltestelle und einem leeren Hinterhof.

Mit „schlimm“ meint Stauf die Gewalttat im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein am vergangenen Samstagabend, die das Land schockiert: Ein Tankstellenkassierer hatte einen Kunden auf die Maskenpflicht hingewiesen. Etwa eine Stunde später kam der Kunde zurück und erschoss den 20-jährigen Studenten. Inzwischen hat der 49-jährige Schütze gestanden, als Motiv gab er in einer Vernehmung die Corona-Politik an.

Tankstellenkassiererin Gabriele Stauf: „Wenn ich Angst hätte, wäre ich hier falsch“
Tankstellenkassiererin Gabriele Stauf
Quelle: Anna Parrisius/WELT Do, 23.09.2021 11:53

Zuvor hatte er sich wohl radikalisiert, bezeichnete sich in sozialen Medien selbst als „Rassisten“. Ein Maskenverweigerer, der ohne tiefergreifenden Grund spontan einen Menschen tötet? Diese Vereinfachung wird der Tat wohl nicht gerecht. Dennoch rückt das Geschehene die Situation derer in den Fokus, die jeden Tag die Corona-Regeln durchsetzen müssen.

Maskenverweigerer erschießt Verkäufer – „Querdenker“ jubeln im Netz

„Der Täter hat offensichtlich mit einer gewissen Vorbereitung gehandelt“, sagt GdP-Vize Jörg Radek. Die Polizei prüft mittlerweile die Profile des Verdächtigen auf sozialen Medien. Dort soll er bereits früher Gewaltfantasien geäußert haben.

Quelle: WELT/Perdita Heise

Tankstellen-Mitarbeiterin Stauf redet nur ungern über die Tat, will nicht zu viel darüber nachdenken. Kunden grüßt die Kassiererin mit kräftiger Stimme. Habe jemand keinen Mund-Nasen-Schutz, weise sie auf die Maskenpflicht hin. Viele hielten sich dann die Jacke vors Gesicht, so wie auch ein maskenloser Kunde an diesem Donnerstagmorgen. Wer gar nicht reagiere, den bitte sie, zu anderen Abstand zu halten und den Laden schnellstmöglich zu verlassen.

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„Querdenken“-Szene

In Tankstellen kämen viele Themen mit Aggressionspotenzial zusammen, sagt Herbert Rabl vom Tankstellen-Interessenverband: Straßenverkehr, hohe Spritpreise, Wartezeiten – und nun auch noch die Corona-Regeln. „Die Mitarbeiter sind besorgt und fragen sich: Wie werden wir geschützt? Wer hilft uns?“ Es herrsche das Gefühl, von der Politik alleingelassen zu werden.

„Mit den Corona-Regeln wälzt die Politik polizeiliche Aufgaben auf Unternehmen ab. Der Tankstellenbedienstete wird zum Polizisten“, kritisiert Rabl. Die Mitglieder des Verbands berichteten von Bußgelddrohungen durch Ordnungsämter. „Es gibt also auch einen hohen Druck, Regeln durchzusetzen, selbst wenn dies womöglich gefährlich sein könnte.“

„Die Aggressivität erstaunt uns immer wieder“

Stephan Zieger, Geschäftsführer des Bundesverbands freier Tankstellen, sieht das größte Problem darin, dass die Tankstellen kaum durchgreifen können. „Wenn ein Kunde den Shop betritt, hat er schon getankt. Sie müssen ihn dann also auch abkassieren“, erklärt er. „Es ist eine sehr schwierige Situation, weil Polizei und Ordnungsamt nicht sofort greifbar sind. Aber das ist auch der Preis für eine offene Gesellschaft.“

Andere Unternehmen berichten allerdings von einer engen Kooperation. Die Deutsche Bahn spricht von einem „engen und bewährten Zusammenwirken von Deutscher Bahn, Polizei und Ordnungsbehörden“. Alle von WELT angefragten Unternehmen, auch Einzelhändler, betonen zudem eine hohe Bereitschaft ihrer Kunden zum Masketragen. Das sieht auch Zieger so: „Aber es gibt eben auch Menschen, die sich durch Beschimpfungen auszeichnen. Die Aggressivität einiger Kunden erstaunt uns immer wieder.“

„Es ist wichtig, dass man die ‚Querdenker‘ aus dem Sumpf herauszieht“

Aktuell steht ein Wahlwerbespot in der Kritik, worin Armin Laschet mit einem „Querdenker“ auf der Bühne steht – veröffentlicht kurz nach dem furchtbaren Vorfall in Idar-Oberstein. CDU-Urgestein Elmar Brok kommentiert den Wahlkampf der Union.

Quelle: WELT

Rabl vom Tankstellen-Interessenverband kritisiert in diesem Kontext den hohen Kostendruck, unter dem Pächter stünden. „Für Personal ist wenig Geld vorgesehen.“ Die Kassierer arbeiteten in der Regel zum Mindestlohn, neben dem Studium oder als Zweitjob. „Sie haben es mit Mitarbeitern zu tun, die mit Konfrontation überfordert sind, weil sie dafür nicht ausgebildet sind. Zugleich fehlt das Geld für einen Sicherheitsdienst. Die Mineralölgesellschaften unterstützen da zu wenig.“

Die Tat in Idar-Oberstein ereignete sich in einer Tankstelle der Marke Aral. Auf Anfrage teilt das Unternehmen mit, die Corona-Regeln hätten sich auf das Verhalten einiger Kunden ausgewirkt. Ein „ungewöhnlich hohes Aggressionspotenzial“ könne man aber nicht feststellen. Grundsätzlich sei das Personal an den Tankstellen auch entsprechend geschult.

„Er hat scheinbar auch mit der ‚Querdenker‘-Szene sympathisiert“

Nachdem ein Maskenverweigerer einen Tankstellen-Angestellten erschossen hat, ist das Entsetzen groß. Eine Radikalisierung der Corona-Leugner wird befürchtet. WELT-Reporter Daniel Koop berichtet aus Idar-Oberstein.

Quelle: WELT

Gabriele Stauf arbeitet die meiste Zeit allein, nur manchmal seien vereinzelt andere Mitarbeiter da. Ein Pfefferspray zur Verteidigung? Hat sie nicht. „Nur meine Hände und Füße.“ Im Taekwondo-Training habe sie gelernt, sich im Notfall zu verteidigen.

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