Der Spitzenkandidat der Linkspartei, Dietmar Bartsch, hat sich gegen die Darstellung gewehrt, seine Partei wolle immerzu Steuern erhöhen. Ginge es nach seiner Partei, würde es für „die Mehrheit Entlastung geben. Es wird aber für eine relevante Minderheit mehr Steuern geben”, so Bartsch im Gespräch mit WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt bei der Veranstaltungsreihe WELT-Wahldebatte, die in Zusammenarbeit mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft am Donnerstag in Berlin stattfand.
„Ich wehre mich wirklich bewusst dagegen, zu sagen: ‚Links will immer Steuern erhöhen und die guten Liberalen wollen die Steuern senken.‘ Das ist nicht der Fall.” Auf die Frage zu seinem Verhältnis zur sozialen Marktwirtschaft sagte der 63-Jährige: „Die soziale Marktwirtschaft als Oberbegriff, da habe ich gar kein Problem. Das ist auch kein Widerspruch zum demokratischen Sozialismus“, so der Politiker, dessen Partei Letzteres anstrebt.
„Ich will keine Mehrwertsteuererhöhung“
Der Linksfraktionschef im Bundestag kritisierte zudem, dass Deutschland von einer Gesellschaft, in der sich Leistung lohne, „unendlich weit weg“ sei, „weil sich Leistung nicht lohnt. Heute lohnt sich vor allen Dingen Erbschaft.“ Als Beispiel nannte er die Supermarktkette Lidl. Dessen Eigentümer Dieter Schwarz habe in der Pandemie sein Vermögen um Milliarden erhöht, die Verkäuferinnen hingegen hätten nur Lebensmittelgutscheine bekommen.
Mit Blick auf die hohe Neuverschuldung im Zuge der Corona-Krise sagte Bartsch, man müsse man die Frage stellen, wer dies finanziere. „Ich möchte nicht, dass wieder diejenigen, die wirklich viel geleistet haben, zuerst bezahlen. Ich will keine Mehrwertsteuererhöhung.“ Das Grundgesetz sehe in einer solchen Situation „ausdrücklich“ die Möglichkeit einer einmaligen Vermögensabgabe vor. Seine Partei habe dazu einen Vorschlag gemacht und diesen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) durchrechnen lassen.
Demnach würde die Abgabe 0,7 Prozent der Bevölkerung betreffen, 130 Milliarden Euro generieren und auch „kein Unternehmen gefährden“. Bartsch wehrte sich in diesem Zusammenhang gegen den Vorwurf in Richtung der Linken, man wolle die Unternehmen kaputtmachen. „So ein Unsinn. Warum will denn ein Linker Unternehmen kaputt machen? Damit wir Arbeitsplätze verlieren? Nein.“ Es gehe um sozialen Ausgleich und Zusammenhalt.
Bartsch will das Land „durchdigitalisieren“
Auf die Frage, welches Angebot seine Partei denn für Unternehmer machen würde, verwies Bartsch auf die Wichtigkeit einer funktionierenden Infrastruktur, eines guten Bildungsystems, dem Problem des Fachkräftemangels sowie dem Hinterherhinken Deutschlands bei der Digitalisierung. „Dieses Land muss durchdigitalisiert werden.“ Seine Partei würde für diese Themen kämpfen. „Ein guter Unternehmer will im Übrigen, dass seine Beschäftigten ordentlich bezahlt werden. Der will, dass die nach einem Arbeitsleben eine ordentliche Rente haben.“
Bezüglich der Rente sprach sich der Linke-Politiker für ein System aus, in dem „alle einzahlen“, „jeder Abgeordnete, jeder Beamte“. Das führe auch zu höheren Einnahmen und mache die Rente sicherer. Es gelte, Altersarmut effektiv zu bekämpfen. Es gebe viele Menschen, die 45 Jahre arbeiteten und am Ende ihres Arbeitslebens Grundsicherung bekämen.
„Wir zahlen zehn Milliarden jährlich für Aufstocker.“ Man müsse sich dieses Geld sparen, „durch ordentliche Löhne“. Unter anderem fordert die Linke eine Mindestrente von 1200 Euro und einen Mindestlohn von 13 Euro.
In dem Gespräch bekannte sich Bartsch auch zur Europäischen Union. „Wenn Deutschland sich auf den deutschen Binnenmarkt fokussieren würde, wären wir am Ende.“ Bei allen Problemen sei die Bundesrepublik der größte Profiteur der EU. Bartsch erinnerte in diesem Kontext daran, dass beispielsweise sein Heimatbundesland Mecklenburg-Vorpommern in der Landwirtschaft von EU-Geldern profitiere.
„Wir werden in der wirtschaftlichen Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten, mit China, Russland mit anderen Wirtschaftsregionen nur als Europa eine Chance haben. Ansonsten werden wir gnadenlos scheitern.“ Dennoch gebe es natürlich Reformbedarf. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) warf er vor, Europa nach 16 Jahren Regierungszeit in einem „schlechteren Zustand“ zu hinterlassen.
Parteiausschlussverfahren gegen Wagenknecht sei „irre“
Das Parteiausschlussverfahren gegen seine ehemalige Co-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht bezeichnete der Linke-Politiker als „absurd“ und „irre“. Aus seiner Sicht bekomme das Thema zu viel Aufmerksamkeit, auch gegen ihn habe es schon Ausschlussanträge gegeben. „Das hatte, glaube ich, schon fast jeder in unserer Partei“, sagte Bartsch. Er sei sicher: „Die entsprechenden Kommissionen – am Ende des Tages vielleicht auf der Bundesebene – werden entscheiden, dass das Unsinn ist.“
Mehrere Parteimitglieder hatten in Nordrhein-Westfalen einen Antrag auf ein Ausschlussverfahren gegen Wagenknecht gestellt, die für den dortigen Landesverband als Spitzenkandidatin in den Bundestagswahlkampf zieht. Die Landesschiedskommission entschied diese Woche, dass ein Verfahren eröffnet wird. Begründet wird der Antrag mit einem neuen Buch von Wagenknecht, in dem sie der linken Partei vorwirft, Teile ihrer Kernwählerschaft mit identitätspolitischen Debatten zu vertreiben.
Programmparteitag
Er teile manches in Wagenknechts Buch nicht, sagte Bartsch. Jedoch müsse man sich die Fakten anschauen. „Was ist aus den linken Parteien in Frankreich geworden? Was ist aus den Linken in Italien geworden? Wie konnte jemand wie Trump eine Wahl gewinnen? Wieso ist Labour in Großbritannien mehrfach trotz eines Kandidaten Boris Johnson gescheitert? Und wieso sind Sozialdemokraten und Linke in Deutschland eigentlich auf einem Niveau, was früher die SPD für sich alleine hatte?“, so Bartsch. Diese Entwicklungen würden Fragen aufwerfen.
Offensichtlich habe die Linke nicht die Antworten auf zentrale Herausforderungen – Klimawandel, Migration, Digitalisierung, soziale Ungerechtigkeit – gefunden, mit denen sie ihre Kernklientel, die Arbeiterschaft, erreiche. Bartsch betonte in diesem Zusammenhang, Klassenpolitik und Identitätspolitik seien keine Gegensätze, vielmehr müssten sie miteinander verbunden werden. „Es ist doch absurd, wenn die Linke nicht mehr die Interessen auch von Minderheiten wahrnimmt. Dann macht sie doch einen Riesenfehler. Aber natürlich ist die Klassenfrage weiterhin eine zentrale.“
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