Welche Partei engagiert sich in Deutschland besonders für den Kampf gegen den radikalen Islam? In einer repräsentativen Studie zu den Themen Islam und Islamismus antworteten darauf 43 Prozent der Befragten mit AfD. Die CDU/CSU wurde von 21 Prozent der Befragten genannt, die restlichen Parteien von weniger als zehn Prozent.
Die gemeinsame Studie der Alice-Schwarzer-Stiftung, der Giordano-Bruno-Stiftung und des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) wurde vom Institut für Demoskopie Allensbach durchgeführt und stützt sich auf 1027 persönlich durchgeführte Interviews mit einem Querschnitt der Bevölkerung ab 16 Jahren. Von ihnen zählen 45 Prozent Muslime zu ihrem Bekannten- oder Freundeskreis.
Ruud Koopmans, Direktor der Forschungsabteilung „Migration, Integration, Transnationalisierung“ am WZB sowie Professor für Soziologie und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin, hat die Studie mit entwickelt. „Dass der AfD mit Abstand die größte Kompetenz im Kampf gegen den radikalen Islam zugesprochen wird, ist ein Armutszeugnis für die anderen Parteien“, sagt er. Die große Kluft sei sehr bemerkenswert.
Der Soziologe beobachtet bei manchen Parteien den „Anfang einer Kehrtwende“ bei der Thematisierung des Islamismus, insbesondere bei der Union. Bei den Grünen gebe es engagierte Kämpfer gegen Islamismus, aber auch viele, die es an Distanz zum Islamismus mangeln ließen und geneigt seien, „Kritiker des Islamismus in die islamophobe Ecke zu stellen“.
Koopmans hält die SPD für gut vernetzt mit politisch-islamischen Verbänden. Tatsächlich war etwa der Zentralrat der Muslime, der lediglich eine kleine Minderheit der in Deutschland lebenden Muslime vertritt, nur zwei Monate nach der Wahl der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans im Februar 2020 zum „Spitzengespräch“ im Willy-Brandt-Haus zu Gast. Dem Zentralrat der Muslime gehören Mitgliedsorganisationen an, die vom Verfassungsschutz den als zugehörig den türkisch-rechtsextremen Grauen Wölfen, der islamistischen Muslimbruderschaft sowie dem iranischen Regime bewertet werden.
Im April hatte die Unions-Bundestagsfraktion ein Maßnahmenpaket beschlossen, das unter anderem die „Beendigung staatlicher Kooperationen und Vertragsbeziehungen mit Organisationen des politischen Islamismus“ enthält. Künftig sollte es nach Ansicht von CDU/CSU keinerlei offizielle Zusammenarbeit mehr mit Vereinen und Verbänden geben, die aus dem Ausland gesteuert oder vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
In der Studie heißt es, dass die Diskussion über den Umgang mit islamischen Organisationen bisher nur sehr verhalten geführt werde. Die Befragten haben diesbezüglich klare Vorstellungen: 86 Prozent fordern, dass islamische Organisationen, die religiöse Gebote über das Grundgesetz stellen, verboten werden sollten. Dass vom Ausland finanzierte Islamorganisationen nicht das Recht haben sollte, an deutschen Schulen islamischen Religionsunterricht zu halten, fordern zwei Drittel.
„Islamfeindliche Agitation gegen alle Muslime“
Die schwarz-gelbe Landesregierung Nordrhein-Westfalens hatte sich kürzlich gegenteilig entschieden. Dort wurden im Mai unter anderem mit dem deutsch-türkischen Moscheeverband Ditib Verträge zur Zusammenarbeit für Lehrpläne und Lehrbefugnisse beim Islamunterricht unterzeichnet. Ditib ist der türkischen Religionsbehörde unterstellt, diese wiederum direkt dem türkischen Präsidenten.
Widerspruch bekommt die nordrhein-westfälische Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) für diese Entscheidung von den Parteifreunden aus der FDP-Bundestagsfraktion: „Islamischer Religionsunterricht in Deutschland muss frei von jeglichen Einflüssen ausländischer Akteure wie der türkischen Regierung angeboten werden“, fordert der Vize-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae.
„Als Union geht es uns darum, Seite an Seite mit der großen Mehrheit der friedliebenden Muslime sowie der liberalen Muslime, die selbst Opfer islamistischer Bedrohungen sind, unsere freiheitliche Gesellschaft zu bewahren und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu fördern“, sagt CDU-Innenpolitiker Christoph de Vries, der in der Bundestagsfraktion Berichterstatter für Religionsgemeinschaften ist. „Deshalb rate ich, sämtlichen islamistischen Aktivitäten mit aller Konsequenz entgegenzutreten und die Diskussion nicht der AfD zu überlassen, zu deren DNA die islamfeindliche Agitation gegen alle Muslime in Deutschland gehört.“
Dass 43 Prozent der AfD in einer relevanten Frage ein besonders starkes Profil zuschreiben, müsste die anderen Parteien dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl beunruhigen. „Es ist eine riskante Konstellation, wenn die überwältigende Mehrheit bei einem wichtigen Anliegen keine der gemäßigten Parteien als Anwalt identifiziert“, heißt es in der Studie. Dass diese Parteien keine intensive Debatte über den richtigen Umgang mit dem radikalen Islam führten, berge die Gefahr, dass diese Diskussion von den meisten Parteien nicht wesentlich beeinflusst werde.
Publizistin Alice Schwarzer, Namensgeberin und Gründerin einer der an der Studie beteiligten Stiftungen, hält es für berechtigt, dass „den etablierten Parteien eine so geringe Kompetenz“ zugetraut werde, sich dem Problem zu stellen.
„Es ist eine Realität, dass die Provokationen des politischen Islam – von der Infiltration der Scharia in unserem Rechtsstaat bis hin zum islamistischen Terror – sowohl für die Mehrheit der nicht islamistischen, integrierten Muslime, wie für die nicht muslimische Mehrheitsbevölkerung in Deutschland eine große, beunruhigende Rolle spielen“, sagt sie.
Der politische Islam sei mit seinem Ziel, den Gottesstaat einzuführen, eine der größten Gefahren für Demokratie und Frauenrechte. „Das sollten die Parteien sehr, sehr ernst nehmen.“
Remko Leemhuis, Direktor des American Jewish Committee Berlin, hält es für eine „Fehlwahrnehmung“, dass die AfD besonders engagiert im Kampf gegen Islamismus sei. „Die AfD benutzt das Thema ja schließlich nur, um gegen Flüchtlinge zu hetzen“, meint er. Die Nichtregierungsorganisation arbeitet für die Stärkung der deutsch-israelischen Beziehungen sowie für den Kampf gegen Antisemitismus und Extremismus.
„Es ist sehr bedenklich, dass die demokratischen Parteien beim Thema politischer Islam das Feld den Rechtsradikalen der AfD überlassen“, sagt Leemhuis. „Leider stimmt der Eindruck, dass die demokratischen Parteien das Thema vermeiden.“ Diese Parteien sollten den Umgang mit dem politischen Islam auch im Bundestagswahlkampf auf die Tagesordnung setzen, fordert er.
FDP-Fraktionsvize Thomae sagt: „Es muss Anspruch und Selbstverständnis aller demokratischen Parteien sein, über die besten Lösungen im Kampf gegen Islamismus zu streiten und für die eigenen Konzepte wahrnehmbarer zu werben als bislang.“ Die AfD sei in ihrer Empörung immer schnell, laut und radikal, bei konkreten Vorschlägen aber leise. „Dennoch darf uns dieser Befund nicht einfach kaltlassen.“
„Von dieser Lücke profitiert die AfD“
Viele weitere Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Mehrheit eine pauschale Ablehnung des Islam und der Muslime nicht teilt. So halten es 65 Prozent der Befragten für richtig, dass das Recht auf freie Religionsausübung für Muslime genauso wie für Christen gilt. Gleichzeitig bedeutet dies jedoch auch, dass 18 Prozent das im Grundgesetz verbrieftes Grundrecht der Religionsfreiheit ablehnen und sich 17 Prozent diesbezüglich unentschieden zeigen.
63 Prozent der Befragten halten nur bestimmte Gruppen des Islam für eine Bedrohung, 28 Prozent sind der Ansicht, dass der Islam insgesamt eine Bedrohung darstelle. Die Befragten befürchten zu 77 Prozent, dass es in Deutschland zu islamistischen Terroranschlägen kommt; zu 50 Prozent, dass die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen gefährdet wird; und zu 40 Prozent, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird.
Dass der Islam zu Deutschland gehöre, teilen nur fünf Prozent voll und ganz; 44 Prozent meinen, dass nur friedliche Formen und nicht radikale Gruppen dazugehörten; 45 Prozent sind der Ansicht, dass der Islam grundsätzlich nicht zu Deutschland gehöre.
Soziologe Koopmans interpretiert die Ergebnisse wie folgt: „Mit der Art des Engagements der AfD gegen den radikalen Islam ist die Mehrheit der Bürger nicht einverstanden.“ Die deutliche Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung finde jedoch keine parteipolitische Vertretung. „Die Parteienlandschaft bildet mehrheitlich die Extreme Verharmlosung oder Verteufelung ab. Von dieser Lücke profitiert die AfD.“
Die Allensbach-Studie zeigt auch neben den Ergebnissen zur Religionsfreiheit, dass in einem relevanten Teil der Gesellschaft weiterhin antimuslimische Einstellungen verbreitet sind. So befürworten 29 Prozent, dass das Recht, Kopftuch zu tragen, für Mitarbeiterinnen in Supermärkten eingeschränkt werden sollte. 26 Prozent befürworten dies auch für Mitarbeiterinnen in anderen Betrieben. „Radikale Ideologien müssen bekämpft werden, dies darf aber nicht in einen Generalverdacht gegen alle Muslime münden“, fordert Saba-Nur Cheema, pädagogische Leiterin der Bildungsstätte Anne Frank.
Das Studienergebnis zeige zudem, dass „in der gängigen Medienlogik“ nicht diejenigen Politiker Aufmerksamkeit bekommen, die an konstruktiven und langfristigen Lösungen arbeiteten, „sondern solche, die am lautesten sind und Hetze verbreiten.“
Da nur wenige wüssten, dass in den vergangenen Jahren zahlreiche Programme im Bereich der Islamismusprävention auf den Weg gebracht wurden, müssten Politiker ihre Ansätze im Kampf gegen Islamismus besser kommunizieren. Cheema gehört dem Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit an, der von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) berufen wurde.
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