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Grünen-Politiker Cem Özdemir: „Ich bin ein Kind der Marktwirtschaft“ - WELT

Der Grünen-Politiker Cem Özdemir hat für seine Partei ein klares Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft abgelegt. „Ich kenne kein besseres System“, sagte er beim Auftakt der Veranstaltungsreihe WELT-Wahldebatte, der in Zusammenarbeit mit der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ am Dienstag in Berlin stattfand. Die soziale Marktwirtschaft sei eine Idee, hinter der sich alle demokratischen Parteien versammeln könnten. „Ohne diese Idee gäbe es mich gar nicht“, sagte Özdemir.

Die Eltern des Grünen-Politikers waren aufgrund des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens zu Beginn der 1960er-Jahre nach Baden-Württemberg gekommen und hatten sich dort im schwäbischen Bad Urach kennengelernt und geheiratet.

Özdemir kam dort 1965 zur Welt, wurde zu Beginn der 1980er-Jahre Mitglied der Grünen und zog 1994 als erstes Kind sogenannter Gastarbeiter in den deutschen Bundestag in Bonn ein. Bei der WELT-Wahldebatte stellte sich der ehemalige Parteichef vor allem wirtschaftspolitischen Fragen.

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Özdemir wehrte sich vor allem gegen den Vorwurf, die Grünen seien eine Verbotspartei. „Ich will keine Verbotspolitik, sondern eine Ermöglichungspolitik“, erklärte der 55-jährige Bundestagsabgeordnete. Viele der bisherigen CDU-geführten Bundesregierungen hätten Freiheiten eingeschränkt.

Özdemir kritisierte insbesondere, dass seit 1994 über 5400 Kilometer im Schienenverkehr stillgelegt worden seien. Über 150 mittelgroße Städte seien von Bahnanbindungen abgeschnitten worden. „Ist das Freiheit?“, fragte er.

Im ländlichen Raum sei der Schulbus oft die einzige Reisemöglichkeit im öffentlichen Nahverkehr. Die Entscheidungsfreiheit, welches Verkehrsmittel man als Bürger nutzen wolle, würde den Menschen dort abgenommen. Die Bahn sei nicht das persönliche Eigentum von Verkehrsminister Andreas Scheuer, „sondern unser aller Eigentum“, sagte Özdemir weiter.

„Wie viel Kapital geht uns verloren, wenn wir die Intelligenz der Kinder nicht fördern“

Es sei zudem skandalös, dass die meisten Schulen in Deutschland noch nicht an das Glasfasernetz angeschlossen seien. Damit würden die Bildungs- und Aufstiegschancen von Kindern beeinträchtigt. „Wie viel Kapital geht uns verloren, wenn wir die Intelligenz der Kinder nicht fördern, weil sie schlechte Bildungschancen haben“, sagte Özdemir.

Der Grüne warf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Verkehrsminister Andreas Scheuer vor, nicht verantwortungsvoll mit Steuergeldern umzugehen. Wenn Jens Spahn für Testzentren Geld in die Hand nehme, müsse er auch überprüfen, „wie das Geld ausgegeben wird“.

Es habe zu wenig Kontrollen gegeben. Verkehrsminister Scheuer warf Özdemir vor, mit einer aussichtslosen Pkw-Maut Millionen Euro verschleudert zu haben, obwohl es klare Warnungen etwa vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages gegeben habe. Die Maut sei ein Wahlkampfgeschenk Scheuers an die CSU in Bayern gewesen. „Jeder Depp hätte draufkommen können“, dass die Maut-Pläne an Einsprüchen aus Brüssel scheitern würden. Das Geld fehle jetzt für die Digitalisierung, den Ausbau von Infrastruktur, für das Breitbandinternet.

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Nach seinen verkehrspolitischen Vorstellungen gefragt, erklärte Özdemir „auch an die eigene Adresse“, dass die Grünen ihre Vorstellungen in einer künftigen Bundesregierung nicht zu hundert Prozent umsetzen könnten. Man lebe in einer Zeit, in der Kompromisse zuweilen als Verrat denunziert würden. Auch bei diesem Thema dementierte er Verbotspläne, etwa für SUVs in Innenstädten. Wer aber in der Stadt einen SUV fahren wolle, müsse mit einer höheren KfZ-Steuer rechnen. Die so erzielten Einnahmen sollten dann auf emissionsarme oder emissionsfreie Fahrzeuge umgelegt werden.

Die Grünen würden auch keine Verbote von innerdeutschen Flügen planen. Man müsse solche Verbindungen „Schritt für Schritt“ überflüssig machen. Zwischen München und Berlin sei das durch die ICE-Verbindung bereits auf einem guten Weg. Die Zugverbindungen müssten „sauber, verlässlich und bezahlbar“ sein. Selbst die Lufthansa habe kein Interesse an innerdeutschen Flügen, weil sie ein Zuschussgeschäft seien, sagte Özdemir.

Vernünftig sei auch der Ausbau von Nachtzügen innerhalb Europas. Özdemir bekräftigte die Forderung nach einem Tempolimit von 130 auf deutschen Autobahnen, damit werde der Verkehr ruhiger und der CO2-Ausstoß reduziert.

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Über seine Partei sagte Özdemir: „Wir haben die Republik verändert, so wie die Republik uns verändert hat“. Das Wahlprogramm der Grünen sei ein Regierungsprogramm. „Wenn wir regieren, können wir nicht sagen, wir erfinden das Rad neu“. Als Orientierung für die politische Linie der Bundespartei empfahl Özdemir den Kurs der Grünen in Baden-Württemberg. Dort erzielten die Grünen bei der Landtagswahl im März mit Winfried Kretschmann an der Spitze 32,6 Prozent. Kretschmanns Weg erhalte breite Zustimmung und führe in die Zukunft. „Der Wettbewerb, noch eine Stufe draufzulegen“, führe „in die Opposition“, warnte Özdemir.

Auch im Hinblick auf den anstehenden Parteitag, bei dem am übernächsten Wochenende das Wahlprogramm der Grünen beschlossen werden soll, empfahl Özdemir seiner Partei, „stärker auf Annalena Baerbock und Robert Habeck zu hören, die machen es richtig“. Er hätte „auf den einen oder anderen der über 3000 Änderungsanträge“ zum nächsten Bundesparteitag „verzichten können“.

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