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Staatsbesuch in der Türkei: Steinmeier oder der Döner des Anstosses - Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Der deutsche Bundespräsident hat zum Festempfang in der Türkei Döner aus Berlin mitgebracht. Die Geste war gut gemeint, löste aber in Istanbul Verstimmungen aus.

Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu (rechts) empfängt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Bahnhof Sirkeci, von dem aus die ersten türkischen Gastarbeiter nach Deutschland aufbrachen.

Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu (rechts) empfängt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Bahnhof Sirkeci, von dem aus die ersten türkischen Gastarbeiter nach Deutschland aufbrachen.

Erdem Sahin / EPA

Wenn ein Staatsoberhaupt mit weitgehend repräsentativen Aufgaben auf Reisen geht, dann stehen die grossen Linien im Vordergrund. Bei Deutschland und der Türkei sind das immer auch die engen Verflechtungen auf persönlicher Ebene, die es dank den drei Millionen in Deutschland lebenden Menschen mit familiären Wurzeln in der Türkei gibt.

«Ein deutsches Nationalgericht»

Bei dem Staatsbesuch des deutschen Bundespräsidenten in der Türkei sind die Bemühungen offensichtlich, diese Verbindungen besonders symbolträchtig zu würdigen. Zum Auftakt der dreitägigen Reise am Montag besuchte Frank-Walter Steinmeier den Bahnhof Sirkeci in Istanbul, von dem vor mehr als sechzig Jahren die ersten Türken zur Arbeit nach Deutschland aufbrachen. Am Festempfang am Abend dann sorgte ein Nachkomme von Gastarbeitern für das leibliche Wohl.

Arif Keles betreibt in Berlin ein Döner-Lokal und ist als Steinmeiers Ehrengast mit in die Türkei gereist, mit einem 60 Kilogramm schweren Dönerspiess im Gepäck. Döner kommt vom türkischen Wort «dönmek» (drehen). Ganz wörtlich sollte der Spiess umgedreht werden, indem der Gast aus Deutschland ein türkisches Gericht als Gastgeschenk in die Türkei brachte.

Irgendwie ist das ja ein netter Gedanke, und man ahnt, was man im deutschen Präsidialamt mit der Geste ausdrücken wollte. Der Döner Kebap sei ein deutsches Nationalgericht geworden, erklärte Steinmeier in seiner Rede. Bestens integrierte türkischstämmige Mitbürger wie Keles sind Teil der deutschen Gesellschaft, bereichern das Land und prägen es mit, so die freundliche und wenig kontroverse Botschaft.

Platte Stereotype

Tatsächlich gehört der Döner längst genauso zum Kanon der deutschen Fast-Food-Kultur wie die von Gerhard Schröder einst zum «Kraftriegel für Facharbeiter» geadelte Currywurst. Sieben Milliarden Euro soll die Döner-Branche pro Jahr in Deutschland umsetzen. Eine eindrückliche Erfolgsgeschichte.

Dennoch sorgte die Aktion für Verstimmungen. Besonders von deutsch-türkischer Seite gab es heftige Kritik. Steinmeier reduziere den Beitrag der türkischstämmigen Mitbürger an der Entwicklung des Landes auf das Stereotyp der Döner-Bude, lautete der Vorwurf.

Es hätte zum Beispiel ja auch ein Paar wie Ugun Sahin und Özlem Türeci gegeben, die mit ihrer Firma Biontech einen Covid-Impfstoff entwickelt haben, oder den Regisseur Ilker Catak, dessen Film «Lehrerzimmer» dieses Jahr für den Oscar nominiert war.

Zwar erwähnte der Bundespräsident kurz Ilkay Gündogan, den Kapitän der deutschen Fussballnationalmannschaft, und einige deutsch-türkische Kulturschaffende. Der Autor Dincer Gücyeter las am Empfang am Montagabend aus seinem Werk vor. Doch am Ende blieb das Bild vom Döner.

Und überhaupt, so ein anderer Kritikpunkt, habe die türkische Küche weit mehr zu bieten als das simple Fleischgericht. Die ganze Aktion stehe für die oberflächliche Auseinandersetzung mit der Türkei.

Befremden und Belustigung

Dort wiederum monierten einige, dass die Deutschen nun sogar glaubten, in der türkischen Küche besser Bescheid zu wissen. Grundsätzlich nahm man die Erfolgsgeschichte des Döners hierzulande aber durchaus mit Interesse zur Kenntnis. Gleich mehrere Zeitungen berichteten, dass der drastisch gestiegene Döner-Preis Gegenstand der Inflationsdebatte in Deutschland gewesen sei.

Eine Mischung aus Befremden und Belustigung klang dennoch an, auch wenn die Gäste am Empfang am Montag natürlich viel zu höflich waren, diese offen zu zeigen. Der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu beobachtete mit freundlicher Milde, wie das deutsche Staatsoberhaupt mit langem Säbel umständlich am Döner-Spiess hantierte.

Grössere Aufmerksamkeit schenkte man einer anderen Symbolik von Steinmeiers Besuch. Der deutsche Bundespräsident trifft neben Imamoglu noch zwei weitere prominente Oppositionspolitiker. Zum Treffen mit Staatspräsident Erdogan, der am Samstag den Führer der Hamas empfing, bei Steinmeiers Ankunft in der Türkei aber selber ausser Landes war, kommt es erst am letzten Tag der Reise.

Döner ist nicht gleich Döner

Einen Beitrag zur interkulturellen Verständigung lieferte Steinmeiers Döner-Diplomatie vielleicht dennoch. In der Türkei und in Deutschland gleichermassen weitgehend unbekannt ist nämlich, dass – ausser dem namengebenden Drehspiess – das Gericht in Deutschland mit demjenigen in der Türkei eigentlich nur wenig gemein hat.

In der Türkei besteht ein Döner vor allem aus Fleisch. Als Beilage gibt es vielleicht etwas Tomate oder Paprika und einen Klecks Joghurt. Meist isst man das Gericht vom Teller. Auf die Hand gibt es Döner nur im Fladenbrot.

Die vor Fleisch, Salat und Saucen überquellenden Teigtaschen, die sich in Deutschland oder der Schweiz so grosser Beliebtheit erfreuen, sind eine Anpassung an lokale Vorlieben, die in Berlin erfunden wurde.

Beim Empfang am Montagabend gaben die meisten befragten Deutschen zu Protokoll, dass sie den Döner nach Berliner Art bevorzugten. Die meisten türkischen Gäste wiederum blickten eher ernüchtert auf diese Weiterentwicklung der eigenen Küche. Was dies zur Qualität der bilateralen Beziehungen beitragen kann, muss sich weisen.

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