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Volksentscheid gescheitert – Energieexperte zu Luisa Neubauers Vorwürfen: „Quatsch!“ - Berliner Zeitung

Nur der Blinde hat die unzähligen Plakate mit der Einladung zum Volksentscheid über ein klimaneutrales Berlin bis 2030 wohl nicht gesehen.

Am Ende waren die Bemühungen der Initiative Klimaneustart Berlin doch nicht genug, um die große Mehrheit von ehrgeizigen Zielen zu überzeugen, nämlich von einer Verringerung der CO₂-Emissionen um mindestens 70 Prozent bis 2025 und mindestens 95 Prozent bis 2030 per Gesetz. Es haben zwar rund 442.000 Menschen dafür gestimmt, doch das erforderliche Quorum von mindestens 608.000 Jastimmen ist trotzdem nicht erreicht worden. Die Beteiligung am Volksentscheid war zudem mit nur 35,8 Prozent rund 27 Prozent niedriger als bei der Wahlwiederholung im Februar.

„Es hat mir die ökonomische Komponente gefehlt“

Gabor Beyer (56) aus Berlin, Unternehmensgründer und Spezialist im Bereich LNG und Energiemärkte, gehört zu denjenigen, die am vergangenen Sonntag nicht zu einem Wahllokal gegangen sind. „Es hat mir die ökonomische Komponente gefehlt“, erklärt Beyer, der bereits mehrere Unternehmen im Bereich der Energiewirtschaft gegründet und in den Markt gebracht hat, die sich Emissionsreduktion zum Ziel gesetzt haben.

Sein Tenor: Ein positives Ziel zu benennen, sei schön und gut, aber wie soll es funktionieren? Diese Erklärung hätten die Organisatoren des Volksentscheides verpasst, so Beyer. Ohne die würden die tollen Ziele am Ende klingen wie „365 Tage Sonne im Jahr, für jeden immer satt zu essen und täglich zwei kalte Bierflaschen im Kühlschrank“. Also eine leere Aussage – jeder ist dafür, nur keiner weiß, wie das umgesetzt werden soll.

Die Sprecherin der Klimaschutzbewegung Fridays for Future, Luisa Neubauer, hatte am Sonntagabend auf der Wahlparty die ungenannten Gegner der Initiative für deren Scheitern verantwortlich gemacht. „Es gibt Kräfte in dieser Stadt, die geben alles dafür, noch den letzten Funken Klimazerstörung rauszuholen“, sagte Neubauer.

Für Gabor Beyer ist das „Quatsch“, oder anders formuliert eine Ablenkung von der eigenen Panne. „Es ist zwar kein Wunder, dass die Leute, die am Volksentscheid teilgenommen haben, überwiegend dafür sind“, sagt der Energieexperte. Denn knapp 51 Prozent der Beteiligten hätten mit Ja gestimmt. „Es findet sich immer eine kleine Gruppe in Berlin, die bereit ist, für ein Ziel zu demonstrieren und abzustimmen.“ Am Ende zerfalle die Bevölkerung jedoch immer mehr in einzelne Lager, die nicht mehr die Mehrheitsmeinung repräsentieren würden.

„Sollten die Windräder etwa am Alexanderplatz stehen?“

Eine große Mehrheit wird aus seiner Sicht jedoch nur hinter solchen Initiativen stehen, wenn erklärt wird, wie die Ziele konkret umgesetzt werden sollen. „Berlin als Bundesland und größte Stadt Deutschlands hat die relativ schlechteste Voraussetzung dafür, klimaneutral zu sein“, erklärt Beyer. „Auf der einen Seite ist der Energieverbrauch der Industrie und der Haushalte sehr hoch und auf der anderen gibt es zu wenig Möglichkeiten, diesen Verbrauch durch erneuerbare Energien klimaneutral zu machen. Sollten die Windräder etwa am Alexanderplatz stehen?“

Gabor Beyer hätte also als Wähler erwartet, dass die Verfechter der schnellen Klimaneutralität für Berlin nicht nur einfach ein Ziel formulieren, sondern auch ein groß angelegtes Konzept erarbeiten und kommunizieren, wie man schon vor 2045 Klimaneutralität schaffen könnte.

Am besten sogar zwei Konzepte: ein sehr ambitioniertes und sehr teures, wie die bereits formulierten Ziele es wollen, und ein weniger ambitioniertes, das ein bisschen mehr Zeit bräuchte, aber dafür auch weniger Geld. Den Umfragen zufolge sind die meisten Menschen in Deutschland nicht bereit, deutlich mehr eigenes Geld für den Klimaschutz auszugeben. Alle sind für Klimaschutz, solange sie ihn nicht selbst bezahlen müssen.

Die Politik scheint die Kosten bisher zu vernachlässigen. Der Plan von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), ab 2024 die Öl- und Gasheizungen allmählich zu verbieten, würde Deutschland wahrscheinlich eine Billion Euro kosten. Die Berechnung hat allerdings ein sachkundiger Umweltökonom aus eigener Initiative gemacht, das Wirtschaftsministerium selbst kommuniziert die Kosten nicht.

„Wenn man wenigstens in groben Zügen gewusst hätte, wie ein klimaneutrales Berlin bis 2030 gehen soll, wäre das Interesse auch größer gewesen“, kommentiert Beyer. Vor zwei Jahren wäre ein ähnlicher Volksentscheid vielleicht sogar erfolgreich gewesen. Heute, in Zeiten der Inflation und der gestiegenen Energiepreise, würden sich viele Menschen vorerst überlegen, wie sie ihr Leben überhaupt finanzieren und in eine alternative Abwägung kommen.

„Am Ende werden wir tägliche Stromabschaltungen wie in Südafrika haben“

Ob genügend Strom überhaupt da sein wird, ist nicht weniger fraglich. „Der Stromverbrauch liegt in Deutschland bei rund 500 Terawattstunden im Jahr, und dieser muss Stand heute auch zeitgleich erzeugt werden“, schildert Beyer. Wenn man alle Fahrzeuge auf E-Mobilität umstellen würde, kämen ungefähr 200–250 Terawattstunden im Jahr dazu.

Mit der Umstellung aller Heizungen auf strombasierte Wärmepumpen käme etwa der gleiche Verbrauch noch einmal hinzu. „Das heißt, wir verdoppeln die Energienachfrage nur durch diese zwei Dinge. Jetzt verraten Sie mir mal, wo der Strom dafür herkommen soll, wenn wir aus der Atomkraft und später aus der Kohle aussteigen?“

Bis zum 15. April 2023 sind noch drei Atomkraftwerke in Deutschland in Betrieb, darunter Isar 2 im bayerischen Landshut.

Bis zum 15. April 2023 sind noch drei Atomkraftwerke in Deutschland in Betrieb, darunter Isar 2 im bayerischen Landshut.Lukas Barth/dpa

In unserem Gespräch bleibt die Frage zwar rhetorisch, doch ohne eine Antwort darauf lasse sich keine vernünftige Energiepolitik machen, so Beyer. Der Energieexperte schildert das schlimmste Szenario: Der Stromverbrauch steigt und die erneuerbaren Energien können ihn aufgrund ihrer fluktuierenden Einspeisung nur bedingt abdecken.

Abgesehen davon, ob fossile Brennstoffe mitspielen dürften oder nicht, werde die Energie in Deutschland teuer oder sehr teuer. Das wird nach Auffassung des Experten dazu führen, dass die Energiepolitik mehr und mehr auf Ablehnung stoße. Der Staat wird seinerseits versuchen, über die Markteingriffe und weitere Preisdeckel den Strommangel zu regeln.

„Was passiert, wenn man auf eine steigende Nachfrage mit künstlich gesenkten Preisen reagiert? Am Ende werden wir wohl, wenn wir so weitermachen, wie in Südafrika täglich Stromabschaltungen für den Großteil der Bevölkerung haben, weil einfach nicht genug Strom da ist“, schlussfolgert Gabor Beyer. Zwar ist dieses Szenario Stand heute sehr unwahrscheinlich, aber ohne Unterlegung der aktuellen Energiepolitik mit durchdachten und realistischen Konzepten ist es künftig nicht mehr auszuschließen.

Mehr wirtschaftliche Anreize für die Energiewende schaffen

Das Problem ist erkannt, wer muss es jetzt lösen? Allein die Grünen würde unser Gesprächspartner nicht zur Verantwortung ziehen, denn es sei ja die GroKo gewesen, die den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen habe. „Wir haben es mit einer Generation zu tun, die nicht mehr danach fragt, was machbar ist, sondern nur danach, was wünschenswert wäre.

Das moralisch und politisch Gewollte hat das wirtschaftlich-technisch Machbare verdrängt. Feministische Außenpolitik, null Emissionen und ein bedingungsloses Grundeinkommen sind grundsätzlich richtig. Aber wenn keine Konzepte dahinterstehen, wird sich in der breiten Mehrheit der Bevölkerung dafür keine Zustimmung finden.“

Der Vorschlag des Experten in diesem Sinne: Mehr wirtschaftliche Anreize für Unternehmen und neue Technologien schaffen, statt mit Vorgaben oder Verboten vorzugehen. Ein Sondervermögen für das Klima, wie die möglichen Koalitionspartner CDU und SPD es planen, sollte aus seiner Sicht vorerst in den Gebäuden und im Fuhrpark der öffentlichen Hand umgesetzt werden sowie generell im Verkehrssektor, der in absoluten Zahlen auf dem Emissionsniveau der 1990er verharrt sei. „Das Land Berlin sollte seinen eigenen Dreck zuerst kehren und mit gutem Beispiel vorangehen.“

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