Vor wenigen Tagen veröffentlichte ein Mitarbeiter ein Foto aus der Zentrale von Twitter. Es zeigt, wie die Managerin Esther Crawford auf dem Boden eines Konferenzraums schläft, eingezwängt zwischen Tischen und Stühlen. Crawford verschickte das Bild weiter und schrieb dazu: Ihr Team müsse Deadlines einhalten, daher verbringe sie manche Nächte im Büro. Elon Musk, so scheint es, hinterlässt schon erste Spuren in der Firmenkultur.
Der Milliardär hat Twitter vor rund einer Woche übernommen. Er ist bekannt dafür, viel von seinen Mitarbeitern zu verlangen. Und auch von sich selbst. Gibt es Probleme bei seiner Elektroautofirma Tesla, schläft er schon mal in einer Fabrik.
Bei Twitter, beheimatet in Kalifornien, herrschte bisher eher eine entspannte Atmosphäre. Es gab zum Beispiel jeden Monat einen bezahlten Ruhetag. Damit alle „auftanken“ können, wie es von dem Unternehmen hieß. Musk hat diese „Days of Rest“ gestrichen und verlangt, so hört man, von einigen Beschäftigten nun Zwölf-Stunden Schichten an sieben Tagen pro Woche.
Aber die vorerst größte Veränderung gab es wohl am Freitag. Um neun Uhr Ortszeit erhielten die Mitarbeiter eine E-Mail aus der Personalabteilung, Betreff: „Your Role at Twitter“, „Ihre Rolle bei Twitter“. Es war der Beginn eines großen Stellenabbaus. Einer Massenentlassung, wie es sie in der Geschichte des Unternehmens bisher nicht gab.
„Heute ist Ihr letzter Arbeitstag im Unternehmen“
Den Angestellten wurde per standardisierter Nachricht mitgeteilt, ob sie beschäftigt bleiben – oder gehen müssen. Auf Twitter schrieb einer der Angestellten, die Kündigungsmails hätten mit dem Satz begonnen: „Heute ist Ihr letzter Arbeitstag im Unternehmen“. Ein anderer behauptet, er sei zu Hause plötzlich aus seinem Dienstlaptop ausgeloggt worden. Wieder anderen berichten, sie hätten schon vor der E-Mail aus der Personalabteilung ihren Zugang zum firmeninternen Chatprogramm verloren und daher geahnt, dass sie zu den Geschassten zählen.
Vor der Kündigungswelle hatte Twitter rund 7500 Angestellte. Wie viele am Freitag entlassen wurden, ist unbekannt. Analysten zufolge könnten es bis zu 3700 sein. Wenn das stimmt, dann wurde Twitter halbiert.
Twitters Büros waren am Freitag geschlossen, alle Zutrittskarten gesperrt. Die Entlassenen hatten also keine Möglichkeit, persönliche Gegenstände abzuholen. Das Unternehmen sprach von einer Vorsichtsmaßnahme. Der Schritt solle die „Sicherheit der Mitarbeiter, Systeme und Kundendaten“ gewährleisten.
Fürchtet Twitter eine Revolte der Gefeuerten? Es scheint so. Beispiellos wäre das nicht: Im November 2017 deaktivierte ein Angestellter an seinem letzten Tag im Job den Account des damaligen US-Präsidenten Donald Trump. Es dauerte rund zehn Minuten, bis Trump wieder twittern konnte.
Musk will Twitter zum „Hort der Meinungsfreiheit“ machen
Die vergangenen Monate waren turbulent für Twitter. Musk hatte im April einen Vertrag zur Übernahme der Plattform unterschrieben – und im Juli wieder gekündigt. Twitter verklagte den Unternehmer daraufhin und wollte die Vereinbarung vor Gericht durchsetzen. Im vergangenen Monat lenkte Musk ein, kaufte Twitter doch. Für 54,20 Dollar je Aktie, so wie ursprünglich geplant. Der Deal ist damit rund 44 Milliarden Dollar schwer. Noch an dem Tag, als Musk ihn abschloss, feuerte er Twitter-Chef Parag Agrawal und drei weitere Führungskräfte.
Musk hält generell nicht viel von Managern, schätzt stattdessen Ingenieure. Twitter, sagt er immer wieder, sei schwerfällig und aufgeblasen. Vor wenigen Tagen fragte ihn einer seiner 114 Millionen Follower, was das größte Problem des Unternehmens sei. Musk antwortete: Es scheine je Programmierer zehn Leute zu geben, die irgendetwas managten.
Für Twitter könnten auch inhaltlich neue Zeiten anbrechen. Musk klagt oft, Amerikas Tech-Konzerne seien zu links, das Silicon Valley unterdrücke konservative Stimmen. Twitter solle daher ein „Hort der Meinungsfreiheit“ werden.
Musk will auch Donald Trump zurückholen, den das Netzwerk im Januar 2021 nach dem Sturm auf das Kapitol gesperrt hatte. Doch der Ex-Präsident lehnt bisher ab, sagt, er bleibe lieber auf seiner eigenen Plattform, Truth Social. Zudem kündigte Musk an, gegen Fake-Accounts und Spam vorzugehen und Twitter „zur korrektesten Quelle für Informationen auf der Welt zu machen“.
Gefeuerte Mitarbeiter verklagen Twitter
Doch es geht Musk auch um Geld. Im vergangenen Jahr schrieb Twitter 221 Millionen Dollar Verlust. Und Musk nahm hohe Kredite auf, um das Netzwerk zu kaufen. Er muss nun die Einnahmen steigern, aber wie? Musk überlegt offenbar, Nutzer dafür bezahlen zu lassen, wenn sie persönliche Nachrichten an Promis verschicken wollen. Zudem könnte er das Anschauen bestimmter Videos kostenpflichtig machen. Schon entschieden ist, dass für verifizierte Accounts – jene mit dem blauen Haken – künftig acht Dollar pro Monat fällig werden.
Twitter könnte finanziell vor harten Zeiten stehen. Mehrere große Unternehmen haben beschlossen, ihre Werbung auf der Plattform auszusetzen: die Autokonzerne Volkswagen und General Motors zum Beispiel, der Pharmakonzern Pfizer, die Lebensmittelriesen Mondelez und General Mills.
Zudem haben fünf gefeuerte Mitarbeiter Twitter verklagt. Musk, so argumentieren sie vor einem Gericht in Kalifornien, habe es versäumt, die Massenentlassung anzukündigen und damit gegen das Arbeitsrecht des Bundesstaates verstoßen. Tatsächlich sehen die kalifornischen Gesetze vor, dass Unternehmen größere Kündigungswellen 60 Tage vorher bekannt geben müssen. Die turbulenten Zeiten für Twitter, so scheint es, könnten nun erst so richtig beginnen.
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