Ein Mittwochmorgen, am Steig 4 am Zentralen Omnibusbahnhof Hamburg (ZOB) drängen sich die Fahrgäste: Kinder mit Teddybären im Arm, Väter mit wuchtigen Koffern. Zwei Freundinnen machen ein Selfie, eine hat weiße Rosen in der Hand. Es geht wuselig zu, rechts und links fahren an diesem Morgen Busse nach Kaltenkirchen oder den Heide-Park Soltau ab, aber eben auch in die Ferne, nach Sofia, Warschau – und nach Kiew.
Der Bus mit der Aufschrift Adler Trans und dem ukrainischen Kennzeichen wird 26 Stunden unterwegs sein, die westukrainische Stadt Lwiw passieren und am kommenden Vormittag in Kiew ankommen. 100 Euro kostet die Fahrt. Viele dieser Bustouren in die Ukraine sind in diesen Tagen ausgebucht. Manche Menschen zieht es in die Heimat, sie kehren zurück in Gegenden, aus denen die russischen Panzer bereits abgezogen sind oder nie vordringen konnten. Andere besuchen Verwandte, holen Habseligkeiten und kehren nach wenigen Tagen zurück – in ihre neue Heimat Hamburg.
So wie Tatjana Kowalenko, die auf einer der Bänke in der Sonne sitzt und auf die Abfahrt wartet. Sie ist eine der wenigen, die etwas Deutsch oder Englisch sprechen, immer wieder hilft auch eine Übersetzungs-App. Ihren echten Namen möchte sie nicht hergeben, man wisse ja nie, wer diesen Text lese. Sie stammt ursprünglich aus Odessa, der umkämpften Hafenstadt am Schwarzen Meer.
Vor sechs Monaten flüchtete sie mit ihren beiden Kindern und ihrer Mutter nach Deutschland, erzählt sie. Ihr Ziel heute ist Lwiw, rund 70 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt, dort hat Kowalenko Verwandtschaft. Sie sagt: „Ich habe Angst vor der Busfahrt. Aber ich habe meinen Mann seit einem halben Jahr nicht gesehen, es muss sein.“ Ihr Mann ist nun in Lwiw, ob er Fronturlaub hat, was er dort sonst tut, dazu möchte sie nichts sagen. Zudem will Kowalenko ein paar Dokumente dringend bei den ukrainischen Behörden erneuern, dazu neue Klamotten für den Winter mitnehmen. Doch nach zwei Tagen „Heimaturlaub“ wird sie zurückkehren. Ihre beiden Kinder bleiben solange bei ihrer Mutter in Hamburg.
Flüchtlinge, die aus dem Kriegsgebiet fliehen, später dann für einige Tage in ihr Land zurückreisen, um dann wiederum Zuflucht und Schutz im Westen suchen? Das hinterlässt vielleicht erst mal ein Störgefühl, ohne gleich wie der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz an „Sozialtourismus“ denken zu müssen. Aus den Bussen, die aus der Ukraine nach Hamburg fahren, steigen auch am ZOB Menschen, die etwa aus Kiew kommen und Freunde in Hamburg besuchen. Richtung Osten reisen andere wie Kowalenko, die für eine kurze Zeit bleiben und dann wieder zurückkehren.
Dürfen die das? Anruf beim Amt für Migration, die kurze Antwort lautet: Ja, sie dürfen. Die ausführlichere: Entscheidend ist, wie lange die ukrainischen Kriegsflüchtlinge in ihrer Heimat Station machen. Ein Sprecher der Behörde schreibt: „Bei einer Ausreise in die Ukraine ist zu beachten, dass ein einmal erteilter Aufenthaltstitel (...) erlischt, wenn der Titelinhaber aus einem seiner Natur nach nicht vorübergehenden Grunde aus dem Bundesgebiet ausreist oder nach der Ausreise nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder einreist.“ Sprich: Ausreisen für einen kurzen Zeitraum, etwa für einen Besuch, und eine anschließende Rückkehr sind möglich und rechtlich zulässig.
Grundsätzlich erhalten ukrainische Kriegsflüchtlinge erst mal eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 4. März 2024, wenn sie seit dem 24. Februar 2022 wegen des Angriffskriegs aus ihrer Heimat vertrieben worden sind. Wer diese Genehmigung hat, darf in Deutschland arbeiten oder kann staatliche Unterstützung erhalten. Ist der Aufenthaltstitel nach einer zu langen Ausreise erloschen und verschlechtert sich die Sicherheitslage in Gebieten wie Kiew oder Lwiw wieder, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, erneut einen Aufenthaltstitel zu beantragen.
Zurück an den Omnibusbahnhof, zurück zu Tatjana Kowalenko. Sie sieht ihre Zukunft in Deutschland: „Ich lerne Deutsch und möchte hier arbeiten.“ Zu Hause in der Ukraine war sie Verkäuferin, arbeitete in einem Laden für Bauelemente, der vor allem Haustüren vertrieb. Sie sei sehr dankbar, wie gut die Menschen sie in Deutschland aufgenommen hätten. Glücklich, wie die Stadt Hamburg den Menschen helfe.
Zunächst kam Kowalenko in einem Aufnahmezentrum unter, nun lebt sie mit ihren beiden Kindern und ihrer Mutter in einer Wohnung in Winterhude. Die Stadt sei so lebenswert, schwärmt sie, richtig genießen könne sie die Hamburger Pracht aber noch nicht. Immer wieder schweifen ihre Gedanken in die Heimat. Ihr Bruder lebt in der Region rund um die umkämpfte Seehafenstadt Cherson. Sie telefonieren täglich. Tatjana Kowalenko hat Angst vor dem Moment, wenn sein Smartphone stumm bleibt.
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