Stand: 20.09.2022 12:45 Uhr
Im Bistum Osnabrück haben Bischöfe und andere Verantwortliche jahrzehntelang nicht angemessen auf Hinweise zu sexualisierter Gewalt reagiert. Dies belegt eine Studie der Universität Osnabrück.
Historiker und Rechtswissenschaftler der Universität Osnabrück haben dem Bistum Osnabrück schwerwiegende Pflichtverletzungen in Fällen sexualisierter Gewalt bis über das Jahr 2000 hinaus vorgeworfen. Verantwortliche hätten jahrzehntelang nicht angemessen auf Hinweise zu Missbrauch reagiert.
Minderjährige in Gefahr gebracht
Dadurch habe das Bistum weitere Minderjährige in Gefahr sexualisierter Gewalttaten gebracht, sagte der Rechtswissenschaftler Hans Schulte-Nölke bei der Vorstellung eines Zwischenberichts zu sexualisierter Gewalt im Bistum Osnabrück.
Schulte-Nölke ergänzte: "Die Bischöfe trifft bei der Entscheidung über den weiteren Einsatz Beschuldigter eine individuelle Verantwortung." Vor allem unter den Bischöfen Helmut Hermann Wittler (1957-1987) und Ludwig Averkamp (1987-1994) habe es etliche Pflichtverletzungen gegeben.
Dies gelte auch für den amtierenden Bischof Franz-Josef Bode in seinen ersten Amtsjahren. Zudem habe er 2010 eine aufsehenerregende Bitte um Vergebung ausgesprochen und dabei versprochen, Hilfen für Betroffene ganz auszunutzen. Dieses Versprechen sei aber in der Praxis der folgenden Jahre nicht umgesetzt worden.
Geheimhaltung die leitenden Motive
Lange Zeit seien "Geheimhaltung, die Verhinderung von Bekanntwerden" erkennbar "handlungsleitende Motive" der Verantwortlichen gewesen, so die Projektleiterin der Studie, die Historikerin Siegrid Westphal. Zudem gebe es vielfach eine "teilweise unklare Rechtslage". Diese Unklarheiten hätten "jedoch nicht zur Folge, dass es keine Rechtspflichten gibt", so der zweite Projektleiter, der Jurist Schulte-Nölke.
Für den ersten Teil der Studie haben die Forscher 16 anonymisierte Fallbeispiele - 15 Priester und einen Diakon - analysiert. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob in Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt die Vorgehensweise von Bistumsverantwortlichen den bestehenden Vorschriften staatlichen und kirchlichen Rechts entsprach.
Bischof Bode will Stellungnahme abgeben
Das Bistum hatte vertraglich zugesichert, die Recherche uneingeschränkt zu unterstützen und den Wissenschaftlern freien Zugang zu allen Dokumenten zu gewähren, soweit dies rechtlich zulässig ist. Es hat laut Universität keine Möglichkeiten, Einspruch zu erheben. Vertreter des Bistums Osnabrück waren ausdrücklich nicht zu Vorstellung eingeladen.
Bischof Bode, der den Live-Stream der Pressekonferenz nach Auskunft eines Bistumssprechers zu Hause an seinem Bildschirm verfolgte, wollte im Laufe des Tages eine erste Stellungnahme abgeben. Ausführlicher wird er sich am Donnerstag bei einer Pressekonferenz äußern. Er leitet das Bistum seit 1995.
Projekt auf drei Jahre angelegt
Das von der Diözese 2021 in Auftrag gegebene Forschungsprojekt ist auf drei Jahre angelegt. Das gesamte Ausmaß sexualisierter Gewalt im Bereich der Diözese seit 1945 soll erst in den kommenden beiden Jahren mit einer historischen und rechtshistorischen Hauptstudie ermittelt werden. Dafür wollen die Forscher nicht nur Akten studieren, sondern soweit möglich Betroffene und Zeitzeugen interviewen. Auch haben sich Mitarbeiter in Archive des Erzbistums Hamburg begeben, dessen heutige Gebiete bis Januar 1995 zur Diözese Osnabrück gehörten.
Für das Projekt hat das Bistum der Universität Osnabrück 1,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Verantwortliche und andere Bistumsmitarbeiter wurden teils mehrfach befragt.
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