Die Liste der Themen für die anstehende UN-Generalversammlung ist lang. Aber auch die Zukunft der Vereinten Nationen selbst dürfte eine zentrale Frage sein.
Krieg, Hunger, Schuldenkrise, Inflation, Pandemie und Klimawandel - in den nächsten Tagen wird hier in New York wieder viel die Rede von der Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit sein, von einer "regelbasierten Weltordnung" und von Multilateralismus.
Der Kanzler wird davon sprechen und die Außenministerin, der US-Präsident, die vielen Staats- und Regierungschef*innen - mehr als 140 werden erwartet. Selbst die großen Autokratien und Diktaturen, Russland und China werden die Gelegenheit nutzen, um auf der Weltbühne der UN-Generalversammlung klarzumachen, dass die existenziellen Menschheitsprobleme nur gemeinsam gelöst werden können - mit ihnen.
Geboren aus dem Leid der Weltkriege
Grundsätzlich herrscht also Einigkeit könnte man meinen, darüber, dass die Menschheit nur durch gemeinsames Handeln aller gerettet werden kann. Und doch wissen wir, ob wir es offen aussprechen oder nicht - der Wunsch nach gemeinsamem Handeln ist heute, mehr denn je, naive Illusion.
Aus den Trümmern der Zerstörung, geschockt von den bestialischen Gräueln, dem rationalisierten Massenmord und dem unendlichen Leid der beiden Weltkriege im vergangenen Jahrhundert, Resultat einer zerfallenen Weltordnung, hatte sich die Welt 1945 mit Gründung der Vereinten Nationen ein gemeinsames Regelwerk gegeben und sich versprochen, dass so etwas nie wieder passieren dürfe.
Existenzielle Krise - auch wegen des Ukraine-Kriegs
Viele Kriege und Katastrophen später stecken die Vereinten Nationen in einer Krise, die ihre Existenz in Frage stellt. Nichts macht das deutlicher als der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Als russische Truppen am 24. Februar in die Ukraine einmarschieren, ein klarer Bruch der Charta der Vereinten Nationen, hat ausgerechnet Russland die Präsidentschaft im UN-Sicherheitsrat inne, dem wichtigsten UN-Gremium, dessen Aufgabe es ist, für Sicherheit und Frieden in der Welt zu sorgen.
Als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates verhindert Russland mit seinem Vetorecht alle Verurteilungen des Kriegs durch das Gremium. Zynischer kann man seine Verachtung für eine regelbasierte Weltordnung nicht zum Ausdruck bringen.
Bolton: Die Gewalt-Strategie der "Strong Men"
Der russische Angriffskrieg habe gezeigt, dass es keine regelbasierte Weltordnung gebe, dass wir nicht in einem Fantasieland leben. Und dass sogenannte "Strong Men" immer bereit seien werden, Gewalt anzuwenden, um ihre Ziele zu erreichen, hat uns John Bolton, ehemaliger US-Botschafter bei den Vereinten Nationen und UN-kritischer Hardliner, in einem ZDF-Interview gesagt.
Vieles spricht dafür, dass er damit recht hat. Das aber würde bedeuten, dass ein dunkles Jahrhundert vor uns liegt, in dem der Stärkere dem Schwächeren seinen Willen aufzwingt. Es wäre das Ende einer großen humanistischen Idee, die das Gegeneinander durch das Miteinander ersetzt.
Kommt eine Vergrößerung des Sicherheitsrates?
Dieser düstere Ausblick aber hat ein Umdenken in Gang gesetzt, vor allem bei der Veto-Macht USA. Die Vereinten Nationen und der Sicherheitsrat bräuchten dringend eine Reform, ließ US-Präsident Joe Biden jüngst durchblicken und seine UN-Botschafterin, Linda Thomas-Greenfield, fordert, den überalterten Status Quo nicht länger zu verteidigen.
Im Gespräch sind eine Vergrößerung des Sicherheitsrates um Länder Afrikas und Lateinamerikas und eine Reform des Veto-Rechts. Wieweit die USA bereit sind zu gehen, werden wir am Mittwoch erfahren - dann wird US-Präsident Biden vor der UN-Generalversammlung sprechen. Bislang haben die USA, wie Russland und China eine echte Reform verhindert.
Reformprozess für das 21. Jahrhundert
Sollte der US-Präsident aber vor der Weltöffentlichkeit einen Reformprozess der Vereinten Nationen anstoßen, dessen Ziel es ist, die politischen Realitäten im 21. Jahrhundert besser abzubilden und die Organisation effizienter zu machen, würde er Russland und China damit massiv unter Druck setzen. Sollten die nämlich ihr Veto gegen solche Reformen einlegen, müssten sie erklären, warum sie eine größere Mitsprache der Länder des globalen Südens und effizientere Entscheidungsprozesse verhindern wollen.
Eines aber ist jetzt schon klar. Ohne eine Reform werden die Vereinten Nationen den sicheren Tod einer Organisation sterben, die endgültig an der Aufgabe scheitert, für die sie gegründet wurde - der Wahrung von Frieden und Sicherheit in der Welt.
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