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Wer fordert eine AKW-Verlängerung – wer ist dagegen? - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Was passiert, wenn das Erdgas kann wird? Es wird vor allem zum Heizen eingesetzt, trägt aber auch rund zehn Prozent zur Stromproduktion in Deutschland bei. Wenn man länger auf Atomenergie setzen würde, könnte man also mehr Gas zum Heizen nutzen. Aktuell sind noch drei Atomkraftwerke in Deutschland am Netz: Emsland in Niedersachsen, Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg. Sie liefern etwa 30 Terrawattstunden Strom pro Jahr und machen einen Anteil von rund fünf Prozent an der deutschen Stromproduktion aus. Laut Gesetzeslage sollen sie aber Ende 2022 abgeschaltet werden. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ordnete einen neuen Stresstest zur Stromversorgung an. Ergebnisse sollen laut Ministerium in den nächsten Wochen vorliegen.

In der Debatte um längere Laufzeiten von Atommeilern hierzulande gibt es unterschiedliche Positionen. Vor allem die CSU und die Industrie haben den Druck auf die Ampel-Regierung erhöht. Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, sprach sich am Wochenende für einen Weiterbetrieb der drei in Deutschland noch laufenden Atomkraftwerke aus – er will auch über den Bau neuer Reaktoren reden. Gesamtmetall-Präsident Wolf sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, er halte eine längere Laufzeit für absolut notwendig. So könne man die Verstromung von Gas deutlich reduzieren und dazu beitragen, die Stromversorgung zu sichern, wenn kein Gas mehr zu Verfügung stehe. „Wir müssen aber auch eine Debatte über den Bau von neuen Atomkraftwerken führen“, sagte er. „Weltweit werden derzeit 50 neue Atomkraftwerke gebaut, die Technik hat sich weiterentwickelt.“

Dobrindt hält Kernkraft für mindestens weitere fünf Jahre denkbar

Dobrindt forderte in der „Welt am Sonntag“ eine Entscheidung zur „Vernunft-Energie“. Mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin sagte er: „Wir werden uns noch lange Zeit Putins brutalem Versuch, den Westen durch Energieterror zu destabilisieren, ausgesetzt sehen. In dieser Lage sind Laufzeitverlängerungen für die Kernkraft von mindestens weiteren fünf Jahren denkbar.“ Auch andere Politiker von Union und FDP forderten längere Laufzeiten, um kurzfristig mögliche Stromengpässe im Winter im Zuge des Ukrainekriegs zu überbrücken.

Vor allem die in der Ampel mitregierenden Grünen tun sich aber schwer mit dem Thema. Sie hatten im Programm zur Bundestagswahl 2021 versprochen: „Wir werden den Atomausstieg in Deutschland vollenden.“ Sollte sich eine Notsituation abzeichnen, schlossen mehrere Grünen-Politiker aber bereits einen „Streckbetrieb“ mit den vorhandenen Brennelementen noch laufender Atomkraftwerke nicht aus. Grünen-Ko-Chefin Ricarda Lang erteilte einem Wiedereinstieg in die Atomkraft eine Absage. Sie sagte am Sonntag im ZDF-Sommerinterview mit Blick auf Aussagen von Finanzminister Christian Lindner (FDP), wonach Atomkraftwerke bis 2024 notfalls am Netz bleiben müssten: „Das, was Christian Lindner da will, ist nichts anderes als der Wiedereinstieg in die Atomkraft. Und das wird es mit uns auf jeden Fall nicht geben.“

Klimaaktivistin Neubauer für Streckbetrieb

Auch Langs Parteikollege und früherer Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) hob hervor, dass auch ein Streckbetrieb eine Laufzeitverlängerung sei. Dagegen sprach sich Trittin aus. Er hält zur Klärung der Grünen-Position zu längeren AKW-Laufzeiten einen Parteitag für nötig, wie er dem „Tagesspiegel“ sagte.

Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer hält eine begrenzte Laufzeitverlängerung der noch in Betrieb befindlichen deutschen Atomkraftwerke für vertretbar. „Was derzeit konkret in der Diskussion ist, ist der Streckbetrieb – also ein Weiterbetrieb der verbleibenden AKW für wenige Monate, ohne dass aber neue Brennstäbe gekauft werden. Das wäre ein Provisorium und keine grundlegende Weichenstellung“, sagte sie dem „Tagesspiegel“. Darin sieht Neubauer kein Problem, bezweifelt allerdings den Nutzen einer solchen Maßnahme. Neubauer kritisierte, einige politische Kräfte wünschten sich eine Grundsatzdebatte um Energieversorgung und den Kauf neuer Brennelemente. „Ihnen geht es nicht mehr um einen Übergang, sondern um die Verhinderung einer echten Energiewende weg von Kohle, Gas, Öl und Atom.“

BASE-Präsident gegen eine Verlängerung von AKWs

Der Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), Wolfram König, hat sich gegen verlängerte Laufzeiten von Atomkraftwerken ausgesprochen. „Eine solche Abschätzung müsste nicht nur die Sicherheit der Atomkraftwerke berücksichtigen, sondern auch die Entsorgung der radioaktiven Abfälle“, schreibt König in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. „In beiden Fällen wären die gesamtgesellschaftlichen Kosten für einen Weiterbetrieb der Anlagen erheblich.“ Der mühsam errungene gesellschaftliche Konsens würde auch grundsätzlich infrage gestellt werden, mahnte er.

König stellte auch den Zeitplan in Frage, dem zufolge bis 2031 ein Standort für das Atom-Endlager der Bundesrepublik gefunden sein soll. „Mein Bundesamt hat gegenüber dem mit der Standortsuche beauftragten Unternehmen immer wieder den Fortschritt im Verfahren angemahnt, damit der gesetzlich festgelegte Zeitplan eingehalten wird. Bis das Endlager betriebsbereit ist, sind weitere 20 Jahre anzusetzen“, schreibt König. „Heute muss ich konstatieren, dass ich das Ziel 2031 für nicht mehr realistisch halte.“

Nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 hatte der Bundestag den Atomausstieg bis 2022 beschlossen. SPD und Grüne – damals in der Opposition – unterstützten den Kurs der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Erstes Steinkohlekraftwerk soll bald Strom produzieren

Unterdessen soll demnächst ein erstes Steinkohlekraftwerk aus der Reserve wiederangefahren werden. Es handelt sich um das Kraftwerk Mehrum im niedersächsischen Hohenhameln (Landkreis Peine) zwischen Hannover und Braunschweig, wie die Bundesnetzagentur in Bonn auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. Seit 14. Juli erlaubt eine Verordnung, dass Steinkohlekraftwerke aus der sogenannten Netzreserve wieder in Betrieb gehen können, um Erdgas einzusparen. Mehrum ist nach Angaben der Netzagentur bislang der einzige Meiler, der für die Rückkehr ans Stromnetz angemeldet wurde. Im Juni lag der Erdgas-Anteil an der Stromerzeugung in Deutschland bei 11,2 Prozent.

Die Verordnung der Bundesregierung erlaubt den Stromverkauf aus Reservekraftwerken, die mit Steinkohle oder Öl befeuert werden, bis Ende April 2023. Das Wiederanfahren für mehrere Monate ist für Kraftwerksbetreiber wirtschaftlich interessant, weil die Strom-Großhandelspreise derzeit hoch sind. Gleichzeitig ist ausreichend Steinkohle auf dem Weltmarkt vorhanden.

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