
Stand: 01.04.2022 18:34 Uhr
Während sich die Wirtschaft noch mit den Folgen des Rubel-Dekrets gefasst, kommt die nächste Wende im Gasstreit mit Russland: Der Staatskonzern Gazprom trennt sich von seiner deutschen Tochter und ihren Beteiligungen.
Der russische Staatskonzern Gazprom hat sich überraschend von seiner deutschen Tochter Gazprom Germania getrennt. "Am 31. März beendete die Gazprom-Gruppe ihre Beteiligung an dem deutschen Unternehmen Gazprom Germania GmbH und allen ihren Vermögenswerten, einschließlich Gazprom Marketing & Trading Ltd.", teilte der Konzern auf seinem Telegram-Kanal mit. Weitere Details wurden nicht genannt. Von Gazprom Germania gab es zunächst keine Stellungnahme.
Die Gazprom Germania GmbH mit Sitz in Berlin ist nach eigenen Angaben ein 100-prozentiges Tochterunternehmen des russischen Energiekonzerns Gazprom. Gazprom Germania ist wiederum Eigentümerin weiterer Unternehmen der deutschen Gaswirtschaft. Dazu gehören etwa die Handelsgesellschaften Wingas und WIEH, der Gasspeicherbetreiber Astora, der den größten Gasspeicher Deutschlands in Rehden betreibt, und eine Minderheitsbeteiligung am Gastransportunternehmen Gascade.
Gasversorgung zu 40 Prozent durch Gazprom
Das weltweit größte Erdgasförderunternehmen Gazprom ist mit einem Anteil von knapp 40 Prozent maßgeblich an der deutschen Gasversorgung beteiligt. Bereits zuvor war bekannt geworden, dass Ermittler der EU-Kommission nach Vorwürfen gegen den Mutterkonzern mehrere Unternehmen in Deutschland - darunter Gazprom Germania - durchsucht hatten.
Es gebe die Befürchtung, dass die Unternehmen ihre beherrschende Stellung auf dem Markt missbraucht haben könnten, teilte die für die Einhaltung von EU-Wettbewerbsrecht zuständige Brüsseler Behörde mit. Es gehe um Unternehmen, die mit Fernleitungen beziehungsweise mit der Lieferung oder Speicherung von Erdgas Geschäfte machten.
Deutsche Gazprom-Tochter als Bauernopfer?
Über die Strategie hinter dem Abstoßen von Gazprom Germania könne man nur spekulieren, sagte der Gasmarktexperte Fabian Huneke vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool der Nachrichtenagentur dpa. "Die physischen Assets (Gasspeicher, Gasleitungen), die mit dem Abstoßen von Gazprom Germania aus russischer Sicht verloren gehen, können das Bauernopfer sein, um die Gaslieferverträge neu zu verhandeln." Denn Gazprom Germania halte über die beiden Töchter Wingas und WIEH einen Großteil der Importverträge in der Hand.
Die noch bestehenden Importverträge bänden Gazprom Export aktuell noch an Währung, Preis und Menge, so Huneke. "Diese Vertragsbindung könnte nun aufgehoben werden, etwa über das Vehikel einer Insolvenz von Gazprom Germania und ihren mit dem Gashandel befassten Töchtern."
Gaszahlungen in Rubel
Westliche Staaten wie Deutschland müssen nach russischer Darstellung nun Konten bei der Gazprombank eröffnen, um weiter Gas zu erhalten. Andernfalls würden die Lieferungen für "unfreundliche Länder" eingestellt, hatte Russlands Präsident Wladimir Putin angekündigt.
Die Staaten müssen demnach über die Konten, die einen Bereich für Valuta - also Euro oder US-Dollar - und einen für Rubel haben, eine Zahlung in russischer Währung sicherstellen. Es könnten weiter Euro oder US-Dollar auf das russische Konto eingezahlt werden. Die Gazprombank tausche das Geld dann in Rubel und überweise den Betrag an Gazprom.
Wirtschaft warnt vor Gas-Lieferstopp
In der deutschen Wirtschaft gibt es weiterhin große Befürchtungen, die Bundesrepublik könnte im Fall eines Lieferstopps in eine schwere Krise stürzen. So warnte BASF-Chef Martin Brudermüller für den Fall eines Importstopps oder längerfristigen Ausfalls von Gas- und Öllieferungen aus Russland vor beispiellosen wirtschaftlichen Schäden. "Das könnte die deutsche Volkswirtschaft in ihre schwerste Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs bringen", sagte Brudermüller der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".
Auch die Bau- und Energie-Expertin Lamia Messari-Becker, die die Bundesregierung berät, warnte für den Fall eines Stopps russischer Gaslieferungen vor verheerenden Folgen. "Wenn Grundstoff-Industrien zum Erliegen kämen, würde ein Dominoeffekt entstehen, der nicht mehr aufzuhalten und nur schwer reparabel wäre", sagte sie der dpa.
Siemens-Energy-Chef Christian Bruch sagte dem "Handelsblatt", bei einem kurzfristigen Boykott seien die negativen Auswirkungen für Deutschland größer als der Effekt auf Russland. Für manche Branchen sei die Gasversorgung existenziell, sagte er mit Blick etwa auf die Glasindustrie.
Enteignung russischer Firmen?
Das Bundeswirtschaftsministerium hatte zuvor die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas ausgerufen - die erste von drei Stufen. Damit soll die Vorsorge für einen Lieferstopp gestärkt werden. An Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Firmen ging der Appell, Energie zu sparen.
Auch waren im Wirtschaftsministerium intern offenbar bereits verschiedene Szenarien durchgespielt worden für den Fall, dass die deutschen Töchter der russischen Staatskonzerne Gazprom und Rosneft in Schieflage geraten. Dabei gehe es unter anderem um eine Verstaatlichung und Enteignung, berichtet das "Handelsblatt" unter Berufung auf Regierungsvertreter.
Welche Folgen die unmittelbare Aufgabe von Gazprom Germania und deren Beteiligungen für die Gasversorgung in Deutschland hat, war zunächst offen. Nach Angaben der Bundesnetzagentur ist die Gasversorgung in Deutschland stabil.
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