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Wie Boris Palmer die Grünen ans Ende ihrer Geduld bringt - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Mit seinem Corona-Modellprojekt „Öffnen mit Sicherheit“ hatte der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer in den vergangenen Monaten in seiner Stadt und vor allem in seiner Partei wieder Boden gutmachen können. Er saß viel in Talkshows – und der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der das Projekt zu einem des Landes gemacht hatte, dürfte zufrieden gewesen sein. Kretschmann zählt Palmer immer noch zu den besten Politikern in seinem Landesverband. Zwischenzeitlich galt er sogar mal als Idealbesetzung für das Landesumweltministerium.

Am Freitag geriet das Rehabilitierungsprogramm für Boris Palmer allerdings aus dem Takt, wie schon so oft wegen eines kritikwürdigen Postings in den sozialen Medien. Auf Facebook veröffentlichte Palmer am Freitag den Beitrag: „Der Aogo ist ein schlimmer Rassist. Hat Frauen seinen N****schwanz angeboten.“ Bei Palmer ist das Wort ausgeschrieben.

Rassistische Aussagen für pädagogische Zwecke?

Ursprünglich soll der Beitrag von einer Frau stammen, die dem früheren Fußballnationalspieler Dennis Aogo vorwirft, ihre Freundin auf einer Mallorca-Reise in sexuell anzüglicher Weise belästigt zu haben. Dabei soll Aogo den Ausdruck selbst benutzt haben. Palmer wollte offensichtlich demonstrieren, wie abwegig Rassismus-Vorwürfe sein könnten, wenn ein deutsch-nigerianischer Fußballer aufgrund einer solchen Aussage zum Rassisten erklärt würde. Gleichwohl benutzte Palmer natürlich auch eine rassistische Aussage, allerdings aus seiner Sicht, wenn man so will, für pädagogische Zwecke.

Ursprünglicher Anlass für die Debatte in den sozialen Medien war wiederum eine andere Aussage Aogos gewesen. Dieser hatte zum Wochenbeginn als Fußballkommentator bei einer Champions-League-Übertragung von „Trainieren bis zum Vergasen“ gesprochen, dann aber dafür um Entschuldigung gebeten.

Boris Palmer versetzte mit seinem fahrlässigen Posting seine Partei sofort in helle Aufruhr: Schon am Samstagvormittag distanzierte sich die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Sie nannte das Vorgehen des Tübinger Oberbürgermeisters „rassistisch“ und kündigte Konsequenzen sowie ein Ausschlussverfahren an. Die Diskussion über Palmers Postings könnte ein früher Rückschlag für die Grünen im Bundestagswahlkampf sein.

Palmer spricht von „cancel culture“

Palmers Verhalten wurde auch ein Thema für den digitalen grünen Landesparteitag in Baden-Württemberg. Auf dem wollten die grünen Delegierten eigentlich in großer Harmonie den neuen Koalitionsvertrag für die künftige grün-schwarze Landesregierung beschließen. Mit Billigung der grünen Landesvorsitzenden Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand stellte ein Delegierter einen Initiativantrag zum Parteiausschluss Palmers. Der Antrag bekam eine deutliche Mehrheit: 161 Delegierte stimmten dafür, 44 lehnten den Antrag ab, ferner gab es acht Enthaltungen.

Weil Palmer auch bei einigen Realos als nerviger Störenfried gilt, andere ihm vielleicht auch schaden wollten, weil er ein Vertrauter des Ministerpräsidenten ist, eskalierte der Konflikt maximal – es wäre ja auch möglich gewesen, den Fall zunächst einmal zu prüfen und erst in einem weiteren Schritt ein Parteiausschlussverfahren zu verlangen.

Der grüne Landesvorsitzende Oliver Hildenbrand sagte, das Maß sei voll, Palmer bediene sich immer wieder einer „populistisch-destruktiven Kommunikationsweise“: Er provoziere, breche erst Tabus, entschuldige sich dann und erhebe am Ende Vorwürfe gegen seine Kritiker. Indirekt rückte Hildenbrand den in Tübingen erfolgreich regierenden Oberbürgermeister damit in die Nähe von populistischen Politikern der AfD.

Palmer selbst schaltete sich per Video zum Parteitag zu: Er habe Aogo in Schutz nehmen wollen, da er es nicht akzeptieren könne, wenn ein Mensch wegen einer falschen Wortwahl durch die „cancel culture“ geächtet und seine Existenz vernichtet werde. „Meine Kritik am Auftrittsverbot von Aogo und Lehmann mit Rassismus in Verbindung zu bringen ist so absurd, wie Dennis Aogo zu einem schlimmen Rassisten zu erklären, weil ihm im Internet rassistische Aussagen in den Mund gelegt werden“, sagte Palmer. Ministerpräsident Kretschmann kritisierte ihn: „Ironie funktioniert nie in der Politik“, das müsse ein Profi wie Palmer wissen.

Palmer ist Wiederholungstäter

Boris Palmer ist, wenn es um Provokationen gegen den Mainstream in seiner Partei geht, ein notorischer Wiederholungstäter. Seit Jahren versteht er es, sich mit provokanten Aussagen und Postings eine große Publizität zu verschaffen. Sogar Angebote der FDP und auch der AfD, die Partei zu wechseln, blieben nicht aus.

So hatte Palmer 2019 eine Werbekampagne der Deutschen Bahn kritisiert, weil auf den Fotos der Anzeigenserie seiner Meinung nach zu viele Menschen mit Migrationshintergrund abgebildet waren. Die Bahn hatte hingegen beabsichtigt, die deutsche Gegenwartsgesellschaft realistisch darzustellen; Palmer sah „Bio-Deutsche“ unterrepräsentiert. Während der Flüchtlingskrise hatte er Bilder randalierender junger Männer gepostet, um auf ein angebliches Sicherheitsproblem in Regionalzügen aufmerksam zu machen.

Zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Palmer und seiner Partei war es im April 2020 gekommen: Damals sagte er in einer Sendung eines privaten Fernsehsenders, mit der Pandemie-Politik rette man Menschen, die „in einem halben Jahr sowieso gestorben“ wären. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Corona-Toten über 70 liegt aber zwischen sieben und zehn Jahren. Daraufhin hatte der baden-württembergische Landesvorstand Palmer aufgefordert, aus der Partei auszutreten. Dieser Aufforderung war er nicht gefolgt, stattdessen gab es einige Vermittlungsversuche mit dem Ziel, Palmer in der Partei zu halten.

Anfang 2022 ist in Tübingen Oberbürgermeisterwahl. Der grüne Kreisverband wollte ursprünglich bis zum Herbst in einer Mitgliederversammlung darüber entscheiden, ob die Partei einen Konkurrenzkandidaten aufstellen wird oder Palmer im Wahlkampf vielleicht doch noch einmal unterstützt. Das neuerliche Posting und der neue Versuch, ihn aus der Partei auszuschließen, dürften jeglichen Versöhnungsversuch aussichtslos machen.

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