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AfD-Politiker Björn Höcke wegen Nazi-Parole zu Geldstrafe verurteilt - Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Der Chef des thüringischen Landesverbands stritt ab, von der historischen Bedeutung seiner Worte gewusst zu haben. Das Landgericht in Halle an der Saale glaubte ihm nicht und verurteilte ihn zur Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 13 000 Euro.

Ehemaliger Geschichtslehrer mit Wissenslücken: Björn Höcke vor dem Landgericht Halle.

Ehemaliger Geschichtslehrer mit Wissenslücken: Björn Höcke vor dem Landgericht Halle.

Sean Gallup / Getty Images Europe

Einen Tag nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster stand die AfD abermals vor Gericht. Doch während am Montag die Gesamtpartei eine Niederlage erlitten hatte und es sich weiterhin gefallen lassen muss, vom Inlandgeheimdienst als extremistischer Verdachtsfall geführt zu werden, war der Streitfall an diesem Dienstag deutlich enger umrissen.

Der thüringische Landesvorsitzende Björn Höcke wehrte sich vor dem Landgericht in Halle an der Saale gegen den Vorwurf, bewusst eine verbotene Parole der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA) öffentlich verwendet zu haben. Trotz allen Beteuerungen seiner Unkenntnis wurde der Spitzenpolitiker nun nach insgesamt vier Verhandlungstagen zur Zahlung einer Geldstrafe in Höhe von 100 Tagessätzen zu je 130 Euro verurteilt.

Nur ein «Allerweltsspruch»?

Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft eine sechsmonatige Haft für den Angeklagten gefordert, ausgesetzt zur Bewährung auf zwei Jahre. Ausserdem, so der Staatsanwalt Benedikt Bernzen, solle Höcke 10 000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen. Es sei unglaubwürdig, dass der Spitzenkandidat der AfD die verbotene Losung unwissentlich gebraucht habe. Schliesslich verfüge er über einen «fundierten NS-Sprachschatz» und insofern über hinreichend «Täterwissen».

Nur vorsätzlich könne Höcke, der «gezielte, planvolle Grenzüberschreitungen» betreibe, sich der Losung bedient haben. Wörtlich hatte Höcke im Mai 2021 am Schluss einer Wahlkampfveranstaltung in Merseburg gesagt: «Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland.» Die letzten drei Worte gelten als Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation, der SA, und dürfen nicht weiterverbreitet werden.

Höckes dreiköpfige Verteidigung forderte Freispruch, schalt die «Kriminalisierung von Sprache» und war dabei einer doppelten Strategie gefolgt. So sollte dargelegt werden, dass auch ein ehemaliger Geschichtslehrer wie Höcke nicht unbedingt die historische Bedeutung der fraglichen Losung kennen musste. Insofern berief sich Höcke auf Unwissenheit.

Zu diesem Zweck hatte er an einem vorherigen Verhandlungstag drei Geschichtsbücher mitgebracht, in denen der Nationalsozialismus und die SA behandelt, die inkriminierte Dreiwortfolge aber nicht erwähnt wird. Im TV-Duell mit dem thüringischen CDU-Politiker Mario Voigt Mitte April hatte Höcke das Motto als «Allerweltsspruch» abgetan. Er habe lediglich in freier Rede «America first» ins Deutsche übertragen. «Jeder Bürger draussen» wisse, «dass das keine NS-Parole ist».

Der zweite Verteidigungsstrang wurde an diesem Dienstag eröffnet. Dazu war mit dem Historiker Karlheinz Weissmann der ehemalige wissenschaftliche Leiter des soeben aufgelösten neurechten Instituts für Staatspolitik angereist. Weissmann, mittlerweile Kuratoriumsvorsitzender der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, versuchte den Beweis zu erbringen, dass «Alles für Deutschland» weder originär noch hauptsächlich von den Nationalsozialisten verwendet worden sei.

Der nächste Prozess wartet schon

Die Formel, so Weissmann, sei bereits 1848 im Vormärz auf Flugblättern gebräuchlich gewesen, jedoch ohne herausgehobene Bedeutung. Eine gewisse Regelmässigkeit habe es nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg gegeben, «vor allem» bei den sozialdemokratischen Wehrverbänden Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und Eiserne Front. Das Reichsbanner der Sozialdemokraten habe «Alles für Deutschland» seine «alte Parole» genannt und mit ihr 1932 gegen den aufkommenden Faschismus Stellung bezogen.

Die Nazis, fuhr Weissman fort, hätten sich generell bei vorgefundenen Symbolen «bedenkenlos» bedient. So sei «Alles für Deutschland» auf dem Dienstdolch der SA gelandet. Die Vorstellung indes, solches Spezialwissen gehöre dem Geschichtsstudium an, sei «wirklichkeitsfremd». Weissmann grub einen Tagebucheintrag Victor Klemperers von 1940 aus, demzufolge ein Attentat auf Heinrich Himmler unter dem Motto «Alles für Deutschland, nichts für Hitler» stattgefunden habe. In seinen persönlichen abschliessenden Worten schalt Höcke den Staatsanwalt einen «politischen Aktivisten». Er, Höcke, fühle sich längst wie ein politisch Verfolgter, dabei sei er «völlig unschuldig».

Für einen Missklang hatte noch vor Verhandlungsbeginn die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» gesorgt und war dafür vom Gericht getadelt worden. Bei der «FAZ» stand online bereits kurz vor 9 Uhr vorübergehend zu lesen: «AfD-Politiker Höcke zu Geldstrafe verurteilt.» Die vorbereitete Meldung war versehentlich zu früh publiziert worden.

Ein solcher Lapsus dürfte der Zeitung beim nächsten Hallenser Prozess gegen Björn Höcke nicht unterlaufen. Dieser lässt nicht lange auf sich warten. Noch gerichtlich unentschieden ist nämlich die Frage, ob Höcke sich im Dezember vergangenen Jahres in Gera desselben Delikts schuldig gemacht hat. Damals liess Höcke sein Publikum einen Satz vollenden, den er mit «Alles für . . .» intoniert hatte. Prompt soll «Deutschland» aus der antwortenden Menge erklungen sein. Spätestens damals muss Höcke die Strafbarkeit der Parole bekannt gewesen sein, denn die Anklage wegen des Merseburger Vorfalls war bereits erhoben.

Zunächst aber wird Höcke seinen Wahlkampf für die Landtagswahlen am 1. September fortsetzen. Momentan rangiert die AfD, die in Thüringen laut dem Inlandgeheimdienst als «gesichert rechtsextremistisch» gilt, in Umfragen weit vorne bei rund 30 Prozent. Gegen das noch nicht rechtskräftige Urteil wollen Höckes Verteidiger in Revision gehen.

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