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Ostermärsche: Wenn Putin nicht als „Aggressor“ tituliert werden soll - WELT

Es ist Woche sieben des russischen Kriegs gegen die Ukraine. Er ist damit zentrales Thema der anstehenden traditionellen Ostermärsche für Frieden und Abrüstung. Veranstalter erwarten mehr Resonanz als in den vergangenen Jahren, nach Angaben des Netzwerks Friedenskooperative finden mehr als 100 Kundgebungen statt.

Wie viele Menschen sich an Mahnwachen, Gebeten und Fahrradkorsos beteiligen werden, ist jedoch ungewiss. Denn in der Friedensbewegung herrscht Unruhe – ihre Kernforderungen nach vollständiger militärischer Abrüstung und einem Ende von Waffenlieferungen wirken angesichts des Kriegs aus der Zeit gefallen. Slogans wie „Frieden schaffen ohne Waffen“ scheinen angesichts der Bilder der russischen Gräueltaten weit entfernt vom realen Kriegsgeschehen.

„Die Masse an Kriegsverbrechen, die wir sehen, frisst an der Seele“

„Wir sprechen mit Augenzeugen und überprüfen Foto und Videoaufnahmen“, sagt Wenzel Michalski, von „Human Rights Watch“. So wolle man die mutmaßlichen Kriegsverbrechen in der Ukraine nachweisen. Doch das werde schwerer, wenn Russland nachweislich Leichen verbrenne.

Quelle: WELT

Mittlerweile sprechen sich auch Politiker aus dem linken Flügel der Grünen wie der Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine aus. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat zumindest verbal eine „Zeitenwende“ in der Außenpolitik eingeläutet. Die Bundeswehr soll mit 100 Milliarden Euro Sondervermögen ausgestattet werden – was das Netzwerk Friedenskooperative als „massive Aufrüstung“ verurteilt, die den Menschen in der Ukraine nicht helfe.

FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff hält dagegen: „Wenn Ostermarschierer jetzt Abrüstung fordern und in Interviews vorschlagen, die Ukraine ‚gewaltfrei zu unterstützen’, spucken sie den Verteidigern Kiews und Charkiws ins Gesicht“, schreibt er in einem Gastbeitrag in der „Zeit“. Die Parolen der Ostermarsch-Bewegung seien „realitätsfern und gefährlich“. Die Teilnehmer seien die „fünfte Kolonne Wladimir Putins“.

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Eine Darstellung, der die Linke-Politikerin Sevim Dagdelen widerspricht. Sie befürwortet die Teilnahme an den Ostermärschen, auf denen die „Forderung nach einer sofortigen Beendigung des Kriegs und der russischen Invasion genauso zentral ist, wie die nach einem Ende der Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet Ukraine und eines Wirtschaftskrieges, der die russische und die deutsche Bevölkerung trifft“, sagt die Obfrau im Auswärtigen Ausschuss WELT.

Käßmanns Furcht, dass Deutschland „Kriegspartei“ werde

Gerade das Thema Waffenlieferungen wird in der Friedensbewegung jedoch kontrovers diskutiert. Uneindeutige Signale kommen etwa aus der Kirche, die die Ostermärsche traditionell begleitet – obwohl sie nicht organisatorisch beteiligt ist.

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz hat Waffenlieferungen an die Ukraine für grundsätzlich legitim erklärt. Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, zeigte zuletzt Verständnis für diese Art der Militärhilfe. Sie sei aber nach wie vor der Überzeugung, dass Waffen grundsätzlich kein Mittel seien, das Frieden bringe.

Ein Ostermarsch aus dem Jahr 2019 – wie sehen die Slogans angesichts des Kriegs in der Ukraine in diesem Jahr aus?
Ein Ostermarsch aus dem Jahr 2019 – wie sehen die Slogans angesichts des Kriegs in der Ukraine in diesem Jahr aus?
Quelle: dpa

Weiterhin gegen Waffenlieferungen ist Margot Käßmann, frühere Ratsvorsitzende der EKD. „Ich teile die Befürchtung vieler, dass noch mehr Waffenlieferungen Deutschland irgendwann zur Kriegspartei werden lassen“, sagt Käßmann WELT. Stattdessen solle die ganze Kraft in diplomatische Verhandlungen und Sanktionen gesteckt werden.

Nicht nur die Frage nach der Legitimität des bewaffneten Widerstands treibt die Friedensbewegung um. Noch etwas zeigt sich in aller Deutlichkeit: Selbst nach dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine scheinen manche Aktivisten nicht bereit, ihr Freund-Feind-Schema – hier das provozierte Imperium Russland, dort angebliche Expansionsgelüste des westlichen Militärbündnisses Nato – infrage zu stellen.

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Politologe Ulrich Kühn vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg hält eine „Kaperung“ der Ostermärsche durch Putin-Unterstützer für wahrscheinlich. Er rät Organisatoren und Demonstranten, sich frühzeitig in der Formulierung ihrer Protestziele vom Kreml abzugrenzen und genau zu überprüfen, welche weiteren Organisationen sich zu den Umzügen anmelden.

Nicht jede Initiative ist aber so konsequent: Das „Schweriner Friedensbündnis“, das zum Ostermarsch aufruft, wird nach eigenen Angaben von der „Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR“ unterstützt. Der Verein schrieb Mitte März, der Krieg nutze vorwiegend den USA, nicht aber dem Ansehen Russlands, „das sich aus guten Gründen gedemütigt und durch gebrochene Versprechungen betrogen fühlt“. Der Konflikt sei „Ergebnis jahrzehntelanger antisowjetischer und russophober ideologischer Kriegsführung“. Russland sei als Friedensfaktor in der Welt diskreditiert und werde mit Sanktionen geknebelt.

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Ähnliche Töne kommen vonseiten der Initiative „Friedenskoordination Berlin“, die einen Ostermarsch in der Hauptstadt organisiert. Die westlichen Länder „müssten sich doch nur mit Vernunft und Diplomatie einbringen statt mit Waffenlieferungen, Sanktionen und Aufheizen der Emotionen“, heißt es in ihrem Aufruf. „Der Krieg hat nicht am 24. Februar begonnen, sondern bereits vor zehn bis 15 Jahren“, sagte eine Initiatorin laut einem Bericht der „taz“.

Seitens der Nato seien die Sicherheitsbedenken Russlands ignoriert und Abrüstungsverträge gebrochen worden. Nationalflaggen seien auf dem Ostermarsch nicht verboten, heißt es demnach weiter, wenn Teilnehmer die russische Flagge tragen, werde man nicht einschreiten. Banner mit Aufschriften wie „Putin der Aggressor“ seien hingegen nicht erwünscht – sie passten nicht zu den Positionen des Ostermarschs.

Wenn Ukrainer als „Nationalisten“ gelten, die „Kriegsverbrechen“ begehen

Auch in Hamburg hat sich eine Kontroverse entspannt. Das „Hamburger Forum“, langjähriger Veranstalter der Ostermärsche, legt das Hauptaugenmerk seiner Kritik ebenfalls auf die in seinen Augen expansive Politik der Nato, nennt Olaf Scholz (SPD) einen „Kriegskanzler“. Der russische Angriffskrieg wird nicht explizit verurteilt.

In einem Rundbrief heißt es: „Die Bundesregierung hat sich als Vasall an die Seite der USA gestellt, die im Kampf um die Erhaltung ihrer weltweiten Hegemonie mit der Nato-Osterweiterung Russland in die Knie zwingen will.“

Er verstehe nicht „wie man sich an die Seite der Ukraine stellen könne“, sagte der Verfasser des Briefs, Markus Gunkel, der „Hamburger Morgenpost“. „Das sind Nationalisten, die Kriegsverbrechen begehen.“ Langjährige Unterstützer des Ostermarsches, darunter Ex-Linke-Politiker aus der Hamburger Bürgerschaft, nehmen demnach in diesem Jahr zum ersten Mal nicht am Ostermarsch teil.

„Sie sollen fliehen“, sagt der Friedensaktivist

„Eskaliert nicht noch“ ist ein Rat an die Ukrainer, „Fliehen“ ein anderer. Und Waffenlieferungen verlängern den Krieg nur, so ein Argument auf der Friedensdemo in Berlin. Videoreporter Martin Heller hat dort Jürgen Grässlin getroffen, einen der bekanntesten deutschen Friedensaktivisten.

Quelle: Martin Heller/WELT

Sind Zeiten wie die 1980er-Jahre also vorbei, als Hunderttausende auf die Straße gingen, damals gegen den Nato-Doppelbeschluss? „Ich sehe die klassische Friedensbewegung der in den 1970er- und 1980er-Jahren sozialisierten, weitestgehend westdeutsch geprägten Anti-Nato-Demonstrationen vor dem Aus“, sagt Politologe Kühn.

Die Generation Fridays for Future setze viel stärker auf Themen wie Gerechtigkeit oder Diversität. „Die Forderungen nach friedlicher Konfliktbeilegung ist dieser Generation keinesfalls fremd – sie stellt sie nur in andere Kontexte und hat auch weniger Probleme damit, einen Aggressor wie Putin beim Namen zu nennen.“

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