Außenministerin Annalena Baerbock fordert Russland zu einem umgehenden Abzug seiner Truppen von den Grenzen der Ukraine auf. Erste Signale dahingehend seien ein „Hoffnungsschimmer“, nun seien aber auch Taten nötig, sagte die Grünen-Politikerin am Freitag auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Es drohe Krieg mitten in Europa. „Russland spricht mit seinem Truppenaufmarsch eine absolut inakzeptable Drohung aus. Gegenüber der Ukraine. Aber auch gegenüber uns allen - und unserer Friedensarchitektur in Europa“, sagte Baerbock. „Diese Krise ist deswegen keine Ukraine-Krise. Sie ist eine Russland-Krise.“
UN-Generalsekretär António Guterres fordert alle Beteiligten zur Deeskalation auf. Es gebe keine Alternative zur Diplomatie, sagte er am Freitag zum Auftakt der Münchner Sicherheitskonferenz. Die Atommacht Russland kündigte indes ein Manöver mit Einsatz ballistischer Raketen an. Die Übung an diesem Samstag steht laut Verteidigungsministerium unter Führung von Staatschef Wladimir Putin. Ziel sei, die strategischen Nuklearwaffen auf ihre Zuverlässigkeit zu testen. Am selben Tag wird das weltweit wichtigsten Expertentreffens zur Sicherheitspolitik fortgesetzt.
„Ich rufe alle Parteien auf, mit ihrer Rhetorik extrem vorsichtig zu sein. Öffentliche Stellungnahmen sollten das Ziel haben, Spannungen zu reduzieren, nicht diese anzuheizen“, sagte Guterres. Er wies zudem auf die Gefahr einer unkalkulierbaren Eskalation hin. Diese könne auch durch Kommunikationspannen und Fehlannahmen ausgelöst werden. Guterres sagte: „Oft werde ich gefragt, ob wir uns in einem neuen Kalten Krieg befinden. Meine Antwort ist, dass die Bedrohung der globalen Sicherheit nun komplexer und wohl wahrscheinlich größer ist als in jener Zeit.“
„Keine Ukraine-Krise, eine Russland-Krise“
Die russische Truppenkonzentration an der Grenze zur Ukraine und zunehmende Spekulation über militärischen Konflikt sehe er mit tiefer Sorge. Guterres: „Ich denke noch immer, dass es nicht passiert. Aber wenn es passiert, wäre es eine Katastrophe.“ Moskau weist seit Wochen vehement Angriffspläne gegen das Nachbarland zurück.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schließt unterdessen Waffenlieferungen an die Ukraine weiterhin aus. Es gebe derzeit „keinen Anlass“, die Rüstungsexportvorschriften zu ändern, sagte Scholz am Freitag nach dem EU-Afrika-Gipfel in Brüssel. „Das wäre jetzt genau der falsche Zeitpunkt“, betonte er. Zugleich warnte er vor einer naiven Einschätzung der Lage und nannte die jüngsten russischen Militärmanöver eine „dramatische Realität“.
Im Konfliktgebiet in der Ostukraine blieb die Lage angespannt. Die Aufständischen in den Gebieten Donezk und Luhansk teilten mit, seit Mitternacht seien mehrere Dutzend Granaten auf ihr Gebiet abgefeuert worden. Gegenüber dem Vortrag sei der Beschuss deutlich intensiviert worden – trotz eines geltenden Waffenstillstands. Die ukrainische Armee sprach ebenfalls von knapp drei Dutzend Verstößen. Diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Auch ob es bei den neuen Angriffen Opfer gab, war zunächst nicht bekannt. Die Seiten geben einander die Schuld am Aufflammen der Gewalt.
Sollen Einwohner die selbsternannte Republik Donezk verlassen?
Die Separatisten rufen Einwohner dazu auf, sich nach Russland zu begeben. Das kündigte der Chef der Separatisten Denis Puschilin an. Es sei mit Russland vereinbart worden, dass Unterkünfte für die Menschen vorbereitet wurden. Zuerst sollten Frauen, Kinder und ältere Menschen nach Russland gebracht werden. Eine offizielle russische Bestätigung des Vorhabens gibt es zunächst nicht.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow zeigte sich „sehr besorgt“ wegen des vermehrten Beschusses. Es kämen Waffen zum Einsatz, die nach dem Friedensplan von Minsk verboten seien, sagte er. Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) stellte vermehrte Verstöße gegen die vereinbarte Waffenruhe fest.
Warnung vor Flüchtlingsbewegung in Europa
Mit Blick auf die angespannte Lage warnte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin vor einer neuen Flüchtlingsbewegung in Europa. „Wenn Russland in die Ukraine einmarschiert, könnte Polen Zehntausende von vertriebenen Ukrainern und anderen Menschen über seine Grenze strömen sehen, die versuchen, sich und ihre Familien vor den Schrecken des Krieges zu retten“, sagte Austin in Warschau nach einem Treffen mit Polens Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak.
Austin wollte noch am Freitag mit seinem russischen Kollegen Sergej Schoigu telefonieren. Der Westen ist wegen vieler russischer Manöver beunruhigt. Dazu gebe es keinen Grund, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge in Moskau. Derzeit laufe eine Reihe von Übungen, „die für Spezialisten aus anderen Ländern absolut transparent sind“. Mehrere Übungen sind bereits beendet.
Biden will mit Verbündeten sprechen
An diesem Samstag will die russische Armee unter der Aufsicht Putins auch ballistische Raketen und Marschflugkörper abfeuern. Mit dabei ist auch der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko. Beide Länder halten noch bis zum kommenden Sonntag ein großangelegtes Manöver im Süden von Belarus an der Grenze zur Ukraine ab. Russland testet mehrfach im Jahr Raketen. Das Land und die USA sind die beiden mit Abstand größten Atommächte der Welt.
Über das weitere Vorgehen in der Ukraine-Krise wollte US-Präsident Joe Biden am Freitag mit Verbündeten telefonisch reden. Neben Kanadas Premierminister Justin Trudeau sollen führende Politiker aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen und Rumänien an dem Gespräch teilnehmen, teilte Trudeaus Büro mit. Auch die Europäische Union und die Nato seien vertreten.
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