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Corona: „Gast aufzunehmen, ist aufwendiger als jede Verkehrskontrolle“ - WELT

Einen frisch geboosterten Gast musste Wirt Alexander Helfert kürzlich wieder wegschicken – dabei war das „Wirtshaus Troll“ in Stuttgart nicht mal halb besetzt, wie meistens gerade. Das Problem: Die Apotheke hatte dem Mann kein digitales Impfzertifikat ausgestellt, da sein Personalausweis abgelaufen war. Der Impfausweis reicht als Nachweis nicht aus.

„Einen Gast aufzunehmen, ist inzwischen aufwendiger als jede Verkehrskontrolle“, sagt Helfert. Seit dem 27. Dezember ist in Baden-Württemberg über die übliche 2G-Regel hinaus eine Booster-Impfung nötig, die in dem Bundesland bereits 41 Prozent erhalten haben – oder aber die Zweitimpfung darf nicht länger als drei Monate her sein. Ansonsten ist zusätzlich ein negativer Schnelltest erforderlich.

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„Wir müssen daher jetzt das Impfzertifikat prüfen, den Personalausweis und teilweise noch ein Testergebnis“, sagt Helfert. In den ersten Tagen nach Inkrafttreten der Neuregelung hatten viele Gäste noch gar nichts von ihr mitbekommen, Helfert musste viele abweisen. Dabei kommen seit einigen Wochen sowieso schon spürbar weniger Gäste in das Lokal als noch im Herbst.

„Im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie hat sich das Publikum halbiert“, sagt Helfert. Neben der neuen Testpflicht für einige gilt neuerdings auch eine Sperrzeit ab 22.30 Uhr bis 5 Uhr. „Für uns ist das eine Katastrophe, in die Kneipe geht man ja eigentlich erst ab 22 Uhr.“

Das „Wirtshaus Troll“ in Stuttgart
Das „Wirtshaus Troll“ in Stuttgart
Quelle: Wirtshaus Troll
Wirtshaus Troll in Stuttgart
Quelle: Wirtshaus Troll

Das Wirtshaus, in dem Helfert arbeitet, führt Michael Damaschek mit seiner Frau als Familienbetrieb. Er sagt, der Umsatz sei verglichen mit der Zeit vor Corona mindestens um die Hälfte eingebrochen, beim Gewinn lägen sie im Minus. „Wir überlegen schon, ob wir vorübergehend schließen“, sagt der 57-Jährige. Im Herbst sei es besser gelaufen, doch schon da mussten sie Einschränkungen hinnehmen: Ein Mittagstisch ergab keinen Sinn mehr, da viele Arbeitnehmer im Homeoffice waren. Daher öffnet Damaschek schon länger erst ab 16 Uhr statt wie früher um elf Uhr.

Die finanzielle Situation sorgt Damaschek. „Wir haben privat reingesteckt, was ging, staatliche Hilfe beantragt, Kredite aufgenommen“, sagt er. „Die müssen wir jetzt aber auch zurückzahlen.“ Wenn die Situation sich in Kürze nicht bessere, seien sie erneut auf staatliche Hilfe angewiesen. Allerdings kann deren vollständige Auszahlung erfahrungsgemäß zwei, drei Monate dauern.

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Die aktuell verfügbaren Hilfen sollen neuerdings auch gewährt werden, wenn Restaurants nicht wegen eines Lockdowns schließen müssen. Abhängig vom Umsatzrückgang werden jedoch maximal 90 Prozent der laufenden Kosten übernommen, was Gastronomen als unzureichend kritisieren. „Ich schließe nicht aus, dass wir im Laufe des Sommers ganz schließen müssen“, sagt Damaschek.

Lage und Stimmung „extrem verschlechtert“

Mit Existenzsorgen ist Damaschek nicht allein, dies ergibt eine neue Umfrage des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga. In Baden-Württemberg sagten 61,9 Prozent der befragten Mitglieder, dass sie um ihre Existenz fürchten. Bundesweit ergibt sich aus den Antworten von mehr als 8000 Verbandsmitgliedern, dass ihr Umsatz im Dezember verglichen mit 2019 nur die Hälfte betrug.

Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges sagte WELT: „Grund dafür sind die seit Wochen geltenden 2G- oder in manchen Bundesländern auch 2G-plus-Zugangsregelungen und Kontaktbeschränkungen.“ Normalerweise sei der Dezember einer der umsatzstärksten Monate. Lage und Stimmung hätten sich im Gastgewerbe über den Jahreswechsel aber „extrem verschlechtert“.

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Zahlen des Statistischen Bundesamtes liegen für die vergangenen Monate noch nicht vor, bereits für den Zeitraum zwischen Januar und Ende Oktober 2021 beziffert die Behörde allerdings gegenüber 2019 einen realen Umsatzverlust im Gastgewerbe von 41,8 Prozent.

Clubs und Diskotheken sind in Deutschland derweil größtenteils geschlossen, auch bei ihnen kommt es laut Hartges zu erheblichen Umsatzeinbußen. Nur in Schleswig-Holstein sind sie offiziell noch offen – allerdings müssen Gäste neben einem Geimpften- oder Genesenen-Nachweis seit Dienstag ein negatives PCR-Testergebnis vorlegen. Hintergrund ist die Verbreitung der Omikron-Variante. Infolge mehrerer Club-Partys zwischen den Feiertagen mussten Tausende Gäste in Quarantäne, da einzelne Besucher nach den Veranstaltungen positiv auf Omikron getestet worden waren.

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Viele Clubs haben dies zum Anlass genommen, vorübergehend in Betriebsferien zu gehen. Offen hat noch „Die Pumpe“ in Kiel, aber nur, weil in dem von der Stadt geförderten soziokulturellen Zentrum neben Tanzpartys und Konzerten etwa auch Treffen von Arbeitsgruppen oder Kinovorstellungen stattfinden. Die nächste Tanzveranstaltung Mitte Januar haben sie auch hier abgesagt. „Der Eintritt sollte bei fünf bis zehn Euro liegen, hinzu kämen in Kiel um die 100 Euro für einen PCR-Test. Das macht keiner“, sagte Geschäftsführerin Hildegard Bauer.

Club "Die Pumpe" in Kiel
Club "Die Pumpe" in Kiel
Quelle: Die Pumpe e. V.

Doch selbst wenn wie in NRW nur die 2G-Regel und keine Sperrzeit gilt, haben Restaurants nur wenige Gäste. So das „Café Florian“, ein beliebtes Restaurant in Düsseldorf. Abed Mansour betreibt es seit 35 Jahren und berichtet, dass in den vergangenen Wochen weniger als halb so viele Kunden kamen wie noch vor der Pandemie üblich. Er denkt, dass viele Angst haben, sich trotz Impfung anzustecken.

Eigentlich war das Restaurant von Ende November bis Weihnachten ausgebucht, Firmen im Umkreis wollten mit ihren Mitarbeitern zum Gänseessen kommen. Dann wurden 90 Prozent der Reservierungen storniert. Da es Lieferengpässe geben sollte, hatte Mansours Team die Gänse aber schon bestellt. „Uns wäre es da fast lieber gewesen, der Staat hätte uns gleich gesagt, wir sollen zumachen. So haben wir viel verloren.“

Abed Mansour (2. v. r.), Inhaber des „Café Florian“, und sein Team
Abed Mansour (2. v. r.), Inhaber des „Café Florian“, und sein Team
Quelle: Abed Mansour
Café Florian in Düssedorf
Quelle: Café Florian

Da Mansour neben dem „Café Florian“ weitere Einnahmen hat, kann er die laufenden Kosten noch decken – das Restaurant ist für ihn gerade aber ein Verlustgeschäft. Aus Gesprächen mit Kollegen weiß er, dass es vielen noch schlechter geht. „Wenn sich nicht substanziell etwas ändert, nehme ich an, dass in einem Jahr mindestens 50 Prozent der Restaurants und Kneipen bankrottgehen.“

Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Hartges hält es für die nächsten Monate für wichtig, dass Corona-Schutzmaßnahmen verhältnismäßig und für die Unternehmen umsetzbar bleiben. „Panikmache hilft nicht weiter“, sagte Hartges. Da Hotels und Restaurants keine Pandemietreiber seien, hält sie eine staatlich verordnete, allgemeine Schließung für unverhältnismäßig.

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