Achtundvierzig Prozent der Deutschen sind der Meinung, dass es mit Frauenrechten hierzulande noch nicht weit genug gegangen sei. Dies geht aus einer repräsentativen Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov hervor, die im Rahmen des YouGov-Cambridge Globalism Project erhoben wurde und WELT AM SONNTAG exklusiv vorliegt. Von den befragten Männern antworteten 38 Prozent entsprechend, von den befragten Frauen 57 Prozent. Zudem bezeichnen sich in Deutschland 22 Prozent der Frauen als Feministinnen und acht Prozent der Männer als Feministen.
„Frauen erkämpfen sich jeden Tag ein weiteres Stückchen Gleichberechtigung. Aber es gibt noch gravierende Ungleichgewichte, die wir überwinden wollen“, sagt die Bundesfamilienministerin Anne Spiegel. Die Grünen-Politikerin will darauf hinwirken, dass Familien eine „partnerschaftliche Aufgabenteilung zwischen Jobs und Kindern“ ermöglicht wird und Frauen „die gleichen Aufstiegschancen und die gleiche Bezahlung“ bekommen.
Spiegel kündigt an, „mit aller Kraft Gewalt gegen Frauen und Mädchen“ zu bekämpfen. „So schnell wie möglich werden wir den vereinbarten Gleichstellungscheck einführen: Maßnahmen und Gesetze, die das Kabinett beschließt, müssen dann vorher geprüft werden, ob sie gleichstellungs- und frauenpolitischen Fragen Rechnung tragen.“
Die Befragung wurde insgesamt in 13 Ländern durchgeführt. In Italien sehen 62 Prozent noch Aufholbedarf beim Thema Frauenrechte, in den USA lediglich 43 Prozent. Sieben Prozent der Befragten in Deutschland geben an, dass es mit Frauenrechten in ihrem Land „zu weit gegangen“ sei.
„Das Ziel, echte Chancengerechtigkeit und Parität, ist noch längst nicht erreicht“, sagt Dorothee Bär (CSU), Vize-Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion. „Die neue Bundesregierung muss zeigen, dass sie dafür mehr konkrete Maßnahmen umsetzt, als den geplanten Gleichstellungscheck.“ Im Wahlprogramm hatte die Union vorgeschlagen, die Partnermonate beim Elterngeld um weitere zwei auf insgesamt 16 Monate zu erhöhen. „Die Ampel bleibt hier mit ihrem Koalitionsvertrag hinter unserer Forderung zurück. Dabei ist Zeit für Familien und insbesondere Frauen ein entscheidendes Kriterium“, so Bär.
Zum Thema politische Korrektheit geben in der YouGov-Studie 26 Prozent der Deutschen an, dass diese in diesem Land zu weit gegangen sei. Für 30 Prozent ist die politische Korrektheit noch nicht weit genug gegangen. In den USA und in Großbritannien sagen jeweils 52 Prozent, dass es mit politischer Korrektheit in den jeweiligen Ländern zu weit gegangen sei – in Ungarn geben dies lediglich neun Prozent der Befragten an.
„Je mehr wir mehr über politische Korrektheit und Gendersternchen diskutieren, desto weniger rückt die unerträglich hohe Gewalt gegen Frauen, deren erbärmliche Renten, ihr Fehlen in den Chefetagen und die Entgeltdifferenz zwischen den Geschlechtern in den Mittelpunkt der Betrachtung“, sagt Leni Breymaier, familienpolitische Sprecherin der SPD im Bundestag. „Darum geht es doch. Darum werden wir uns kümmern.“
Sylvia Pantel, frühere CDU-Bundestagsabgeordnete und Sprecherin des konservativen Berliner Kreises in der Union, ist der Ansicht, dass „Denk- und Frageverbote“ undemokratisch sind. „Wie Luft zum Atmen braucht eine freie Gesellschaft freie Debatten mit großem Respekt vor der Meinung und der Person anderer“, sagt Pantel. „Demokratie braucht Pluralismus. Das dürfen wir nicht durch ‚politische Korrektheit‘ gefährden.“
Die Vize-Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Gyde Jensen, hält es für eine sehr wichtige Konstellation, dass die CDU bei vielen Ampel-Vorhaben „heftig Kontra geben“ werde. „Ich sehe uns als Meinungsmacher in Verantwortung, dass wir uns um eine Debattenkultur bemühen, die sich nicht in einer Kulturkampf-Rhetorik ergeht, sondern, dass wir eine neue Form des politischen Schlagabtauschs kultivieren: hart in der Sache, aber empathisch im Hinblick auf das Individuum, das hinter der abstrakten Idee steckt.“
Ein weiteres Ergebnis der Befragung: 17 Prozent halten sexuelle Beziehungen zwischen Menschen des gleichen Geschlechts für nicht akzeptabel. Bei den befragten Männern trifft dies sogar auf 23 Prozent zu. „Dass in Deutschland im Jahr 2021 für fast ein Viertel der deutschen Männer Sex zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern nicht akzeptabel ist, finde ich schwer erträglich“, sagt FDP-Politikerin Jensen. „Wir wollen, dass sich hier in Deutschland alle Menschen frei und selbstbestimmt entfalten können, egal welches Geschlecht sie haben, wen sie lieben oder wo sie herkommen.“
Für die familienpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Ulle Schauws, zeigt dieses Umfrageergebnis, dass die Bemühungen gegen die Diskriminierung von Schwulen, Lesben und Bisexuellen nicht ausreichend gewesen seien. „Dezidierte Aufklärung und Sichtbarkeit von queeren Menschen sind nötig, damit diese selbstverständlich und ohne Angst vor Diskriminierung leben können“, sagt sie.
Im Koalitionsvertrag ist ein ressortübergreifender Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt vorgesehen. „Mit diesem Aktionsplan gibt es endlich die Mittel, um umfassende Aufklärungsarbeit zu leisten und Präventionsmaßnahmen sowie Beratungs- und Unterstützungsangebote für die Akzeptanz queerer Lebensweisen zu fördern“, so Schauws.
Für die repräsentative Studie wurden in 13 Ländern zwischen dem 4. August und 21. September 2021 jeweils zwischen 1004 und 1170 Personen ab 18 Jahren befragt.
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