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Merkel lehnt Impfpflicht ab - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Mit einem gemeinsamen Appell an die Bevölkerung haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) am Dienstag versucht, der Corona-Impfkampagne wieder mehr Schwung zu geben. Eine Impfpflicht, wie sie in Frankreich oder Griechenland geplant ist, soll es in Deutschland aber nicht geben, stellte Merkel nach einem Gespräch mit Spahn und dem Präsidenten des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, in Berlin klar.

In Frankreich müssen sich Angestellte in Krankenhäusern und Pflegeheimen bis Mitte September impfen lassen, sonst dürfen sie nicht mehr arbeiten und werden nicht mehr bezahlt, hatte die Regierung angekündigt. Griechenland hat ähnliches vor. Zudem sollen dort nur noch Geimpfte in Clubs, Restaurants oder Konzertsäle dürfen.

„Wir haben nicht die Absicht, diesen Weg zu gehen, den Frankreich vorgeschlagen hat. Wir haben gesagt, es wird keine Impflicht geben“. Vertrauen könne man durch Werbung für die Impfung gewinnen, sagte Merkel.

Merkel appelliert an alle, die noch unsicher sind

Gegen eine Verpflichtung zur Impfung für Polizisten sprach sich Bundesinnenminister Horst Seehofer aus. „Ich bin gegen eine Impfpflicht, zumal wir noch viele Möglichkeiten haben, durch Kampagnen und Anreize zu einem höheren Impfverhalten beizutragen“, sagte der CSU-Politiker. Eine Impfpflicht könnte immer nur „Ultima Ratio“ sein. Seehofer hatte sich rund drei Wochen nach seiner ersten Impfung mit dem Vakzin von Biontech/Pfizer im Mai mit dem Coronavirus infiziert. Zu seiner Covid-19-Erkrankung sagte er: „Das ist selbst bei mildem Verlauf eine teuflische Angelegenheit.“

Merkel appellierte an alle, „die noch unsicher sind“: „Eine Impfung schützt nicht nur Sie, sondern auch immer jemandem, dem Sie nahe stehen, der Ihnen wichtig ist, den Sie lieben.“ Eine Impfung bewahre nicht nur vor schwerer Krankheit, sondern auch vor den belastenden Beschränkungen des Alltags. „Je mehr geimpft sind, umso freier werden wir wieder sein, umso freier können wir wieder leben.“ Spahn sagte, was den Impfstoff angehe, gebe es keine Ausreden mehr. „Impfstoff ist genug da, Termine sind leicht zu bekommen. (...) bitte nutzen Sie die Gelegenheit.“

Söder: Impfen ist keine Privatsache

Auch Bayern macht die Erfahrung, dass, wie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bei einer Pressekonferenz in München sagte, aus dem „Kampf um den Impfstoff“ die „Nachfrage nach Impfwilligen“ geworden ist. Etwa 100.000 Impftermine seien in den vergangenen Wochen abgesagt worden. Als Hauptursache dafür machte Söder aus, dass die Pandemie „nicht mehr so ernst“ genommen würde. Der Impfstoff AstraZeneca sei zum „Ladenhüter der Nation“ geworden. Ende Juli verfallen hier die ersten gelagerten Dosen. Es wird überlegt, den Impfstoff an andere Länder abzugeben.

Söder sagte, Impfen sei „keine Privatsache“. Er wandte sich aber einstweilen gegen eine Impfpflicht. Er will stattdessen die Schwelle fürs Impfen senken, etwa durch Angebote „to go“ in Wirtshäusern oder Einkaufszentren. Außerdem wird erwogen, Tests, mit denen sich Nicht-Geimpfte freitesten können, kostenpflichtig zu machen.Ähnlich äußerte sich Gesundheitsminister Spahn. Noch sei man in einer Phase des Überzeugens, in einer späteren Phase könne man darüber sicherlich nachdenken, sagte er. Er wolle nicht ausschließen, dass die bisher kostenlosen Corona-Tests für Ungeimpfte kostenpflichtig werden könnten.

In Deutschland sind inzwischen 43 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig gegen das Coronavirus geimpft, das sind rund 35,8 Millionen Menschen, wie das RKI mitteilte. 48,8 Millionen (58,7 Prozent) sind mindestens einmal geimpft. Das Impftempo verlangsamt sich aber. Hatte die Regierung in der vergangenen Woche noch von einer „sehr lebhaften Impfkampagne“ mit durchschnittlich 700.000 täglich verabreichten Impfdosen berichtet, waren es am Montag nur noch knapp 450.000, am Tag davor noch weniger.

Die Fachleute vom RKI gehen nach Merkels Angaben davon aus, dass eine Impfquote von 85 Prozent bei den 12- bis 59-Jährigen und von 90-Prozent bei den Über-60-Jährigen notwendig sei. Dann sei der Anstieg der Zahlen beherrschbar. „Von diesen Impfquoten sind wir noch weit entfernt“, sagte die Bundeskanzlerin. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, hatte Quoten von 90 Prozent als „science fiction“ bezeichnet.

„Noch wirken die Impfstoffe“

In der Debatte über die 7-Tage-Inzidenz als Kennwert für die Beurteilung der Corona-Lage sagte Merkel, die Inzidenz sei natürlich wichtig, aber durch das Impfen verändere sich die Möglichkeit, auch höhere Inzidenzen zu bewältigen, ohne dass das Gesundheitssystem überlastet werde. Die Zahl 100 werde nicht mehr die Zahl sein, wie vor dem Impfen. Sie verwies aber auf die Gefahr, dass sich durch hohe Fallzahlen neue Virusvarianten entwickeln könnten. „Noch wirken die Impfstoffe und das möchte ich auch, dass das so bleibt.“

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Vor den Äußerungen von Spahn und Merkel zu einer Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen, hatte sich die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, bereits dagegen ausgesprochen. Die Impfraten bei Lehrkräften und beim Gesundheitspersonal seien hierzulande deutlich höher als in Nachbarländern wie etwa Frankreich, sagte sie am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin. Zudem gebe es bessere Möglichkeiten, um Menschen von einer Impfung zu überzeugen: gute Kommunikation und niedrigschwellige Impfungen vor Ort. „Sozusagen: Bring die Impfung dorthin, wo die Leute sind.“ Das könne auch für den Arbeitsplatz gelten.

Reinhardt fordert intensiveres Werben für Impfung

Angesichts eines Rückgangs bei der Zahl der verabreichten Corona-Impfungen hatte sich der Mediziner Wolfram Henn, ebenfalls Mitglied des Ethikrats, am Montag für eine Impfpflicht für das Personal in Kitas und Schulen ausgesprochen. Buyx sagte am Dienstag, Henn habe für sich gesprochen, jedoch nicht im Widerspruch zu den Arbeiten des Ethikrats: „Aber wir fordern so etwas nicht.“

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, fordert ebenfalls eine intensivere Impfkampagne. Man müsse alle Menschen erreichen, sagte er der Rheinischen Post: „Ich vermisse den TV-Spot zum Impfen vor der Tagesschau.“ Wo die Impfbereitschaft bisher gering sei, müsse an Ort und Stelle informiert werden. „Wir müssen nicht nur Sportvereine, wir müssen Kulturvereine und Glaubenseinrichtungen für die Impfkampagne mit ins Boot holen.“

Es sei wichtig, durch konsequente Aufklärung Menschen zu erreichen, die noch unentschieden seien, sagte Reinhardt weiter: „Ich finde, jeder Erwachsene steht in der Verantwortung, durch seine Impfung dazu beizutragen, das Infektionsgeschehen niedrig zu halten – auch zum Schutz der Kinder.“ Diese seien bisher die großen Verlierer der Pandemie. Eine abermalige soziale Isolierung von Kindern und Jugendlichen wäre unverantwortlich.

Reinhardt sprach sich zugleich gegen eine Einschränkung von Freiheitsrechten für ungeimpfte Menschen aus. Dies käme einer indirekten Impfpflicht gleich, die er für falsch halte. Nicht alle Impfwilligen hätten bisher ein Angebot zur Immunisierung wahrnehmen können. Für Kinder unter zwölf Jahren, Schwangere und Menschen mit bestimmten Erkrankungen gebe es noch kein Angebot. „Diese Menschen darf man nicht vom gesellschaftlichen Leben ausschließen.“

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