In all dem Durcheinander ist eines sicher: Ministerpräsident wird Björn Höcke nicht. Wenn die von ihm geführte AfD-Fraktion am Freitag im Thüringer Landtag bei einem konstruktiven Misstrauensvotum den Rechtsextremen zum Nachfolger von Bodo Ramelow (Linke) wählen lassen will, werden Höcke nach allem menschlichen Ermessen Dutzende Stimmen zur notwendigen Mehrheit von 46 Ja-Voten fehlen.
Warum ihn die AfD trotzdem aufbietet, erklärt eine Wendung, die der Höcke-Vertraute und Verleger Götz Kubitschek bereits im Februar 2020 benutzte, als der FDP-Politiker Thomas Kemmerich von FDP, CDU und AfD zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten gewählt wurde. Als „konstruktiv-destruktiv“ lobte Kubitschek damals das hinterlistige AfD-Taktieren bei den Wahlgängen.
Dies gilt auch jetzt: Konstruktiv soll wirken, dass die AfD nach der Absage der für September geplanten Neuwahl des Landtags gegen die ohne Mehrheit regierende rot-rot-grüne Ramelow-Koalition einen Kandidaten aufbietet, hinter dem sich angeblich eine Mehrheit aus AfD, CDU und FDP bilden könne. „Wir wollen darauf aufmerksam machen“, sagte AfD-Ko-Landeschef Stefan Möller im MDR, „wie einfach es wäre, einen anderen Ministerpräsidenten zu wählen.“ Höcke forderte am Mittwoch im Landtag FDP und CDU auf, „den Gordischen Knoten“ durchzuschlagen und gemeinsam Neues zu tun.
Weil daraus aber nichts wird, ist für die AfD das Destruktive umso wichtiger. Für Möller ist das Misstrauensvotum „eher ein symbolischer Akt“. FDP und CDU sollen vorgeführt werden. Höcke sagte mit Blick auf die CDU, sie habe sich „im Windschatten von Rot-Rot-Grün gemütlich eingerichtet“. Als „Desaster“ bezeichnete er die Lage im Landtag, wo Ramelow ohne Mehrheit regiert, die CDU keinen Kandidaten aufbietet – weil sie für den keine AfD-Stimme haben will – und der AfD-Kandidat von niemandem sonst gewählt wird. Diesen Zustand will die AfD am Freitag als Krise inszenieren und so die dafür angeblich hauptverantwortliche CDU in Bedrängnis bringen.
Munkeln und Verdächtigungen
Tatsächlich kam die CDU ins Schlingern. Statt sich auf ihre 21 Stimmen gegen Höcke festzulegen, beschloss die Fraktion zunächst, während der Abstimmung am Freitag dem Plenarsaal fernzubleiben. Später wurde daraus, dass die CDU-Abgeordneten ihre Plätze einnehmen, aber während der geheimen Abstimmung sitzen bleiben und demonstrativ nicht in die Wahlkabine des Landtags gehen sollen. Die AfD wolle das Parlament zur „Showbühne“ machen, erklärte die CDU-Fraktion, zum „Teil dieser Inszenierung“ lasse man sich nicht machen. „Björn Höcke ist ein Rechtsextremer und wird von uns keine Stimme erhalten“, sagte CDU-Fraktionschef Mario Voigt.
Aber die Sache hat einen Haken: Da in Thüringen immer wieder gemunkelt wird, einzelne CDU-Abgeordnete würden die Distanz zur AfD gern verringern, kann die Nicht-Teilnahme an der Abstimmung Anlass zu Mutmaßungen geben, dass die CDU einer geschlossenen Höcke-Ablehnung nur dann sicher sein könne, wenn ihre Abgeordneten keine Gelegenheit zur Stimmabgabe haben. Diese Karte könnte die AfD ziehen, falls Höcke am Freitag außer den 22 AfD-Stimmen kein weiteres Ja erhielte. Die CDU-Abgeordneten hätten ja nicht gedurft, ließe sich dann raunen.
Ähnlichen Verdächtigungen setzt sich die CDU aber auch im linken Lager aus. Grünen-Fraktionschefin Astrid Rothe-Beinlich sagte im Landtag, es gebe bei der Frage nach Höckes Wahl „nur eine Antwort, und die lautet Nein“. Aber die nicht abstimmende CDU habe „gar keine Antwort in dieser Frage“.
Umgekehrt aber unterstellt auch die CDU den Fraktionen von Rot-Rot-Grün Übles. Die Christdemokraten begründen ihre Nicht-Teilnahme an der Abstimmung inoffiziell auch damit, dass ihnen allein ein sichtbares Fernbleiben die Gewähr biete, nicht in den Verdacht einer heimlichen Höcke-Wahl zu geraten. Nähme nämlich die CDU teil, dann könnte irgendwer aus dem Regierungslager für den Rechtsextremen eine Stimme abgeben, deren Herkunft dann wohl alle in der CDU vermuten würden. Dass im Erfurter Landtag so gedacht wird, zeigt, wie vergiftet das Klima ist.
Es dürfte noch krasser werden: Die CDU hat den bisherigen Stabilitätsmechanismus, der für wichtige Rot-Rot-Grün-Projekte die Unterstützung durch CDU-Stimmen garantierte, gekündigt und will nun normale Opposition sein. Das heißt, dass der Normalfall die Ablehnung von Regierungsplänen wird, dass die CDU nur ausnahmsweise nach einem Entgegenkommen Ramelows zustimmen und es für Rot-Rot-Grün noch schwieriger wird. Es heißt auch: Jedenfalls formal wird das Rollenverhalten der CDU dem der AfD ähnlicher, Höcke hätte mehr Gelegenheiten, angebliche Gemeinsamkeiten zu beschwören.
Kemmerich als Pokerface
Der AfD-Position im Landtag nicht eben abträglich ist weiterhin, dass die dritte Oppositionsfraktion, die der FDP, erodiert. In dieser Woche kündigte die intern seit Langem umstrittene FDP-Abgeordnete Ute Bergner für September ihren Austritt aus der Fraktion an, weil sie in die Partei „Bürger für Thüringen“ eintritt, die dem „Querdenker“-Milieu nicht fern steht. Mit Bergners Austritt verliert die FDP im Landtag den Fraktionsstatus, Geld, Mitarbeiter und Schlagkraft.
Was ihr erhalten bleibt, ist ein Chef, Kemmerich, der sich als Pokerface inszeniert, Gerüchte über angebliche Überläufer zur FDP-Fraktion weder bestätigt noch dementiert und sich parlamentarisch vieles offen hält. Klar sei aber, sagte er der „Thüringer Allgemeinen“, dass Höcke von der FDP keine Stimme erhalte und man mit Rot-Rot-Grün „keinerlei konstitutive Zusammenarbeit eingehen“ werde.
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