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Johannes Vogel (FDP): „Wenn Wähler wüssten, wie links die Grünen sind“ - WELT

Die Hamburgerin Katja Suding hört als FDP-Vize auf, Johannes Vogel, 39, aus Nordrhein-Westfalen will ihr nachfolgen.

WELT: Wie würden Sie die Bedeutung von Wolfgang Kubicki und Nicola Beer für die FDP beschreiben, Herr Vogel?

Johannes Vogel: Wolfgang ist eine prägende Figur unserer Partei und im Bundestag – und ein Enfant terrible, das viele Leute für die FDP interessiert und begeistert. Nicola hat als Chefin der FDP-Gruppe im EU-Parlament eine enorm wichtige Rolle für uns als Europapartei.

WELT: Die beiden sind stellvertretende Parteivorsitzende der FDP. Sie wollen am kommenden Wochenende auch in dieses Amt gewählt werden. Was haben Sie der Partei zu bieten?

Vogel: Konzepte, Ideen, Arbeitskraft. Als Sozialpolitiker im Bundestag und als Generalsekretär der FDP in Nordrhein-Westfalen habe ich Projekte wie die Aktienrente, das Midlife-BAföG oder die Talentschulen in NRW entwickelt.

Und ich habe mich um unterschiedliche Zielgruppen in der Corona-Krise gekümmert: um die New Worker, die Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Stich gelassen hat, um die Selbstständigen, die Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) im Stich gelassen hat.

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WELT: Ihr Vorsitzender Christian Lindner ist 42 Jahre alt und kommt aus NRW. Sie sind 39 Jahre alt und kommen aus NRW. Täte der FDP eine etwas buntere Mischung an der Spitze nicht gut?

Vogel: Es gibt ja unter Journalisten auch Interpretationen, wonach wir angeblich ziemlich unterschiedlich sind. Jetzt fragen Sie, ob wir uns zu ähnlich seien. Ich glaube, jeder hat seinen eigenen Stil. Wichtig ist doch, dass wir an einem Strang ziehen. Und Sie wissen doch: In der FDP zählt nicht, woher man kommt oder wie alt man ist, sondern wohin man will und was man kann.

WELT: Na ja, Proporz gibt es auch in der FDP. Rechnen Sie noch mit Gegenkandidaturen, zum Beispiel einer Frau? Oder eines Kollegen aus Baden-Württemberg?

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Vogel: Es ist ein demokratischer Auswahlprozess, in dem andere auch ein Angebot machen können. Aber bislang hat sich niemand erklärt. Ich hätte übrigens gar nicht kandidiert, wenn im letzten Sommer nicht auch Lydia Hüskens für Frank Sitta neu ins Präsidium nachgerückt wäre. Ich mache das FDP-Präsidium also nicht männlicher als das letzte gewählte, aber thematisch diverser. Und freue mich über viel Unterstützung für meine Kandidatur.

WELT: Sie waren früher Juli-Vorsitzender, haben jüngst Ideen für eine Wiederbelebung des Sozialliberalen beschrieben und sich zum Doppelinterview mit SPD-Vize Kevin Kühnert getroffen. Täuscht der Eindruck, dass Sie größere Sympathien für die Sozialdemokratie als für die Konservativen hegen?

„Das sind Felder, die wir auf gar keinen Fall dem politisch linken Spektrum überlassen dürfen, das bis tief in die CDU reicht“
„Das sind Felder, die wir auf gar keinen Fall dem politisch linken Spektrum überlassen dürfen, das bis tief in die CDU reicht“
Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT

Vogel: Der täuscht in der Tat, denn die Realität ist komplexer. Ich bin Generalsekretär in dem Landesverband, der als einziger schwarz-gelb regiert. Zusammen mit unserem Spitzenkandidaten Christian Lindner habe ich die Kampagne geleitet, die zu dieser Regierung geführt hat, und sie mit verhandelt.

Ich habe in meinem Wahlkreis im Sauerland in einer industriell geprägten Region zuletzt 13,7 Prozent geholt. Und wenn ich mit den Unternehmern da rede, dann sagen die mir: Bitte keine neuen Steuern, endlich weniger Bürokratie und mehr Freihandel. Aber das nächste Thema ist dann schon: Bitte macht was bei Arbeitsmarkt und Sozialsystem, damit die Lohnnebenkosten nicht explodieren und wir genug Fachkräfte finden.

Das sind jedenfalls Felder, die wir auf gar keinen Fall dem politisch linken Spektrum überlassen dürfen, das bis tief in die CDU reicht – und wo in Wahrheit die ordnungspolitischen Schlachten der sozialen Marktwirtschaft geschlagen werden. Es ist ja kein Zufall, dass dem letzten Wirtschaftsaufschwung eine große Sozialreform vorausging. Ich kämpfe für die nächste. Das ist mein Thema, nicht irgendwelche Bündnispräferenzen.

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WELT: Wie stark sind die Grünen im Sauerland?

Vogel: Also letztes Mal lagen wir deutlich vor denen. Jetzt verschafft der Trend den Grünen natürlich auch dort Aufwind. Ich habe professionellen Respekt davor, wie sie es schaffen, eine Projektionsfläche für eine breite Zielgruppe aufzuspannen, und wie sie ihre Kandidatenkür inszeniert haben. Aber ich habe gerade in der Sozialpolitik den Eindruck: Wenn die Wähler wirklich wüssten, wie links die Grünen da sind – viele würden schaudernd weglaufen.

Mit Wissenschaftsorientierung hat das nicht mehr viel zu tun. Damit ist es bei den Grünen ja schon bei der Homöopathie nicht weit her. Aber wenn es um die Demografie geht, verschließen sie komplett die Augen vor der Realität. Ich habe nicht vor, ihnen das durchgehen zu lassen.

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WELT: Warum sind die Grünen diese Projektionsfläche geworden und nicht die FDP?

Vogel: Wir kommen ja auch gut voran. Und wenn ich mir anschaue, wie volatil das Parteiensystem im Moment ist, dann reden wir über Stimmungen, die von einem Wahlergebnis deutlich abweichen können. Ich glaube, dass wir auf lange Sicht drei bis vier mittelgroße Parteien in Deutschland haben werden. Eine moderne liberale Partei wird dazugehören.

WELT: Durch das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts spüren die Grünen weiteren Rückenwind. Welche Schlussfolgerung zieht die FDP aus der Entscheidung, dass Politik heute die Grundrechte künftiger Generationen berücksichtigen muss?

„Wir müssen stattdessen die Substanz des Rentensystems modernisieren“
„Wir müssen stattdessen die Substanz des Rentensystems modernisieren“
Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT

Vogel: Wir brauchen endlich eine Klima-Ordnungspolitik. Das Urteil rügt ja, dass die Regierung Ziele nennt, aber den Weg zur Dekarbonisierung unserer Lebensweise nicht erklären kann. Die FDP hat ein Instrument: ein dichter Deckel für Emissionen und der Zertifikatehandel, der mit der Kraft des Marktes Preise entwickelt und Innovationen durchsetzt. Wichtig finde ich an dem Urteil aber auch etwas anderes.

WELT: Nämlich?

Vogel: Das Verfassungsgericht hat geurteilt, dass die Koalition eine Politik macht, die zulasten der kommenden Generationen geht. Das aber gilt nicht nur für das Klima, sondern exakt auch für Rente und Demografie. Wir müssen generell endlich wieder in Jahrzehnten denken – und nicht nur bis zum Ende der Legislaturperiode. Auch bei der Digitalisierung oder außenpolitisch im Systemwettbewerb mit China.

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Wie soll das umlagefinanzierte Rentensystem eigentlich nach 2030 noch finanziert werden, wenn man nicht will, dass der Bundeshaushalt zur Hälfte in die Rente fließen muss, die Beiträge auf 25 Prozent explodieren, gleichzeitig das Rentenniveau weiter sinkt oder alle zwangsweise bis über 70 arbeiten müssen?

Wir müssen stattdessen die Substanz des Rentensystems modernisieren. Konkret schlagen wir einen flexiblen Renteneintritt und eine gesetzliche Aktienrente nach schwedischem Vorbild vor. So wie dort sollte ein kleiner Prozentsatz des Pflichtbeitrages der Versicherten in Aktien investiert werden.

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Vogel: Na ja, was sind die Lehren aus Corona? Erstens: Es ist Fortschritt, der uns stark macht – siehe Biontech und sein Impfstoff. Fortschritt schaffen wir durch die Kombination aus Aufstiegsversprechen und offener Gesellschaft, Marktwirtschaft und Unternehmertum. Zweitens: Absehbare Versäumnisse holen uns früher oder später ein. Wir wussten, dass wir bei der Digitalisierung hintendran hängen. Aber das war so ein Thema für Gags in dieser Regierung. Plötzlich ist es zu einer Frage von Leben und Tod geworden, dass in den Gesundheitsämtern noch Faxe verschickt werden.

Daraus folgt drittens: Ich muss mich nicht auf die letzte Krise gut vorbereiten, sondern auf die nächste, die anders sein wird. Neben Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie ist die nächste absehbar sichere Herausforderung die zweite Phase der Globalisierung, der Systemwettbewerb mit der Kommunistischen Partei Chinas.

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Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT

Vogel: Die transatlantische Allianz bleibt zentral und gewinnt hoffentlich wieder an Dynamik. Aber das allein reicht nicht. Es gibt in Asien und Ozeanien viele marktwirtschaftliche Demokratien, von Australien über Neuseeland hin zu Japan, Südkorea, vielleicht einst Malaysia, mit denen wir nicht nur mehr Freihandel betreiben, sondern diese Fragen strategisch gemeinsam besprechen sollten. Es gibt derzeit aber kein Forum, keine Organisation dafür. Die müssen wir gründen.

WELT: Friedrich Merz, der für die CDU in Ihrem Nachbarwahlkreis im Sauerland für den Bundestag kandidiert, hat bei seiner Nominierung gesagt: „Wir sagen auch klar, dass wir in dieser Zeit andere Herausforderungen sehen, als uns damit zu beschäftigen, die Mohrenstraße umzutaufen oder Universitätsarbeiten schlechter zu bewerten, weil die oder der ,Zuprüfende‘ die Gender*** nicht richtig gesetzt hat.“ Kommt das in Ihrer Bewerbungsrede auf dem Parteitag auch vor?

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Quelle: WELT/ Eybe Ahlers

Vogel: Nein. Erstens habe ich anders als Friedrich Merz die Sensibilität, die Diskriminierungserfahrungen vieler Menschen ernst zu nehmen. Zweitens wird Merz ja von manchen als „Wirtschaftsliberaler“ beschrieben. Was die Wirtschaft angeht, gehen wir selbstbewusst in den Wettbewerb.

Bei uns kann man sich nämlich darauf verlassen, dass wir die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft auch in Regierung achten – anders als die Union zuletzt. Und was das Liberale angeht: Der Mann hat ein Gesellschaftsbild, das mit Liberalismus nix zu tun hat.

WELT-Journalist Thorsten Jungholt im Gespräch mit Johannes Vogel
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Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT

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