
Alexej Nawalny in der Polizeiwache
Foto: -- / dpaDie Richterin hatte gerade das Urteil verlesen, da meldete sich Alexej Nawalny aus der Polizeiwache in Chimki, einem Vorort von Moskau, per Video zu Wort: »Habt keine Angst, geht demonstrieren«, forderte er seine Anhänger auf. »Nicht für mich, sondern für eure Zukunft.« Seine Sprecherin hatte den kurzen Clip in den sozialen Medien gepostet.
Nawalny hatte eigentlich gedacht, er treffe in Chimki auf seine Anwälte, zu denen ihm nach seiner Festnahme auf dem Moskauer Flughafen stundenlang der Zugang verwehrt worden war. Doch die Sicherheitsbehörden hatten entschieden, ihm gleich auf dem Revier den Prozess zu machen – und ihn nach nur etwa vier Stunden »wegen wiederholter Verstöße gegen die Bewährungsauflagen« für 30 Tage in Untersuchungshaft zu nehmen.
Zu dem Prozess zugelassen waren nur Journalistinnen und Journalisten der Staatssender Life News und Rossija 1. Alle anderen mussten draußen bei minus 18 Grad ausharren. Trotz der Kälte kamen auch etwa 200 Nawalny-Unterstützer, die über Stunden »Lasst ihn frei!« und »Freiheit für Nawalny!« skandierten.
Kreml-Kritiker werden in Russland von den Sicherheitsbehörden seit jeher überwacht und verfolgt, so auch Nawalny viele Jahre lang. Dass ihm aber nun ein Schnellverfahren auf der Polizeistation gemacht wurde, ist mehr als ungewöhnlich. So wie auch schon das Manöver, mit dem die Behörden Nawalnys Flugzeug aus Berlin am Vorabend an einen anderen Moskauer Flughafen umleiteten – offensichtlich aus Angst, seine Anhänger könnten dem Oppositionellen einen feierlichen Empfang bereiten.
All das zeige, dass bei dem Thema Nawalny nun die Silowiki, die Sicherheitsdienste, das Sagen haben, glaubt die Politikexpertin Tatiana Stanowaja. Diejenigen, die für die Innenpolitik im Kreml zuständig sind, hätten dagegen nicht mehr viel zu melden. Es gehe um die »Gesichtswahrung des Staates und die Aufrechterhaltung der Abschreckungsmaschine«, schreibt auch ihr Kollege Alexander Baunow vom Moskauer Carnegie Center. Denn wenn Nawalny einfach hätte einreisen können, würde niemand mehr Drohungen des Staates ernst nehmen.
Anders ausgedrückt: Der russische Staat kann sich keine Schwäche erlauben.
Der Kreml ist bereit, für diese Politik einen Preis zu zahlen: So haben sich die ohnehin schon schwierigen Beziehungen zum Westen durch den Fall Nawalny weiter verschlechtert. Nicht nur die Bundesregierung forderte Nawalnys »unverzügliche Freilassung«, auch zahlreiche andere Staaten, darunter die USA und Frankreich, übten scharfe Kritik.
Putin und Vertreter seines Regimes haben solche Kritik stets an sich abprallen lassen. Doch Nawalny hat durch die Ereignisse der vergangenen Tage und Wochen enorm an Bedeutung gewonnen.
Der Kreml-Kritiker hat bewusst den Verlust seiner Freiheit riskiert. Ein gewagtes Unterfangen, das zu seiner Biografie passt. Nawalny habe seine Stärke immer daraus gezogen, »diejenigen herauszufordern, die stärker waren«, schreibt Carnegie-Experte Baunow.
Selbst Kritiker aus den Reihen der Opposition loben nun Nawalyns Mut. Seine Popularität ist nach dem Giftanschlag auf ihn ohne Zweifel gestiegen.
Nawalny wird nun erst einmal bis zum 15. Februar weggesperrt bleiben – es könnten daraus auch Jahre werden. Er sitzt zudem das erste Mal länger in einem Untersuchungsgefängnis ein. Dort sind die Bedingungen härter als bei Arreststrafen, die er bisher absitzen musste, unter anderem sind Kontakte zur Außenwelt viel beschränkter.
Am 2. Februar soll ein Gericht darüber verhandeln, ob eine umstrittene Bewährungsstrafe aus dem Jahr 2014 in eine Gefängnisstrafe umgewandelt wird. Dann müsste der Oppositionelle für dreieinhalb Jahre in Lagerhaft.
Nawalny als Märtyrer
Bisher hatte es der Kreml vermieden, Nawalny lange in Haft zu sperren, man wollte keinen Märtyrer aus ihm machen. Jetzt haben sich die Vorzeichen geändert: Nawalny gelte nun als Feind, der gedemütigt werden muss, zerschlagen, bestraft, meint Politikexpertin Stanowaja.

Nawalny wird von Beamten zum Gefängnistransporter gebracht
Foto: ALEXANDER NEMENOV / AFPIn den Staatsmedien und vom Kreml wird er seit seiner Vergiftung wahlweise als »Niemand« dargestellt oder als von westlichen Diensten gesteuerter Agent diffamiert – für viele Menschen, die sich vor allem über das Staatsfernsehen und andere staatliche Medien informieren, wird sich das Bild Nawalnys deshalb kaum ändern.
Dem 44-Jährigen bleibt in dieser Lage nur eines: Er muss seine Anhänger mobilisieren. Das hat Nawalny nun mit dem Videoaufruf nach seiner Verurteilung getan: Am Samstag, 23. Januar, wollen seine Büros im ganzen Land Demonstrationen organisieren. Es ist eine weitere Kampfansage an das Regime, Nawalny wird nicht lockerlassen, auch wenn er in Haft sitzt.
Wie viele Menschen sich ihm anschließen werden, ist fraglich. Das Parlament hatte zuletzt zahlreiche Gesetze verschärft: Nicht nur die Meinungsfreiheit wurde weiter beschränkt, auch das Demonstrieren wird dadurch fast unmöglich gemacht.
Der Preis, die eigene Meinung öffentlich auf der Straße in Russland kundzutun, wird immer höher.
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