Für einen kurzen Moment wirkte es so, als würde es in Moskau doch noch eine Überraschung geben. Als würde Alexej Nawalny Recht behalten. Gleich nach seiner Ankunft in Moskau hatte der Oppositionelle noch in der Transitzone erklärt, er habe keine Angst. "Ich werde durch die Passkontrolle gehen und nach Hause fahren", sagte er vor mitgereisten Journalisten. Dies sei für ihn der beste Tag seit fünf Monaten, als er nach einem mutmaßlichen Giftanschlag im russischen Tomsk in einem Medizinflugzeug nach Deutschland gebracht wurde. Doch schon wenige Minuten später, als Nawalny die Passkontrolle passieren wollte, wurde er von Polizisten abgeführt.
Die Ereignisse des Tages in den Stunden zuvor haben wenig Zweifel daran gelassen, dass Nawalnys Rückkehr den Kreml in Aufruhr versetzt hat. Die Sicherheitsorgane haben kaum etwas unversucht gelassen, um einen triumphalen Empfang des Regimegegners am Flughafen in Wnukowo zu verhindern. Die Polizei sperrte Straßen, hinderte Journalisten aus anderen Städten an der Reise nach Moskau, nahm einige Mitstreiter und gut drei Dutzend Anhänger des Politikers direkt am Flughafen fest. Schließlich wurde der Pobeda-Flug mit Nawalny und seiner Frau an Bord wenige Minuten vor der Landung überraschend an einen anderen, gut 50 Kilometer entfernten Flughafen der Hauptstadt umgeleitet.
Mit jedem einzelnen Schritt wirkten die Maßnahmen von Polizei und Behörden unverschämter, nervöser und chaotischer. Doch für Wladimir Putin und den Kreml galt es vor allem, keine Bilder eines von Anhängern bejubelten Alexej Nawalny zuzulassen.
Vermeintlich schmutzige Details in den Staatsmedien
Schon seit Wochen sendete der Kreml unmissverständliche Signale, dass er den derzeit wichtigsten Oppositionellen Russlands am liebsten weiterhin im ausländischen Exil sehen möchte. Die Strafvollzugsbehörde FSIN drohte offen mit einer Festnahme bei Ankunft. Staatsnahe Medien versorgten die Zuschauer fast täglich mit neuen vermeintlich schmutzigen Details zu Nawalny. Etwa, dass er ein Agent westlicher Geheimdienste sei oder eine Affäre mit seiner Augenärztin habe. Am Ende hat der Kreml sein Ziel erreicht. Als Julia Nawalny, die Frau des Politikers den Flughafen verließ, applaudierten ihr nur noch ein paar Dutzend mitgereiste Journalisten, während Hunderte Anhänger am anderen Flughafen in Wnukowo festsaßen.
Seit Nawalny im Dezember zusammen mit Journalisten von Bellingcat und The Insider glaubhaft darlegte, dass tatsächlich der FSB hinter dem Giftanschlag im August steckt, sind die Einsätze sowohl für den Kreml als auch für Nawalny in die Höhe geschnellt. Statt den Oppositionellen ein für alle Mal los zu werden, hat sich Putin selbst in die Enge getrieben. Eine ungehinderte Rückkehr Nawalnys ins Land wäre im Inland als Zeichen der Schwäche interpretiert worden. Niemand hat die Geheimdienste des Landes in ihrer jüngeren Geschichte so bloßgestellt wie Nawalny. Ließe Putin den Oppositionellen für Jahre einsperren, könnte Nawalny zu einem Held hinter Gittern, zu einer Symbolfigur des Widerstandes werden.
Diese missliche Lage des Kremls bedeutet für Nawalny vor allem eins: Für die Rückkehr nach Russland blieb ihm nur noch sehr wenig Zeit. Viele hielten seine Rückkehr für riskant. Doch tatsächlich blieb ihm kaum eine andere Wahl, wenn er nicht wie der Rest der Opposition in der Bedeutungslosigkeit versinken wollte. Ende Januar soll ein Gericht entscheiden, ob eine ältere Bewährungsstrafe in einem Betrugsprozess in eine tatsächliche Freiheitsstrafe umgewandelt werden soll. Weil Nawalny sich in Deutschland behandeln ließ, habe er gegen Bewährungsauflagen verstoßen, so die russischen Behörden. Genau das ist nun auch der Vorwand für seine vorläufige Festnahme.
Nur in Russland kann Nawalny wirklich Einfluss nehmen
Wäre Nawalny länger in Deutschland geblieben, hätte er dem Kreml eine perfekte Vorlage gegeben, ihm hinterrücks eine Gefängnisstrafe aufzubrummen. Eine Rückkehr nach einer Umwandlung zur Freiheitsstrafe wäre dabei so gut wie ausgeschlossen. Und das wiederum wäre mit Sicherheit das Ende seiner Karriere als Politiker in Russland. Nur wer selber in Russland vor Ort ist, kann die Lage im Land maßgeblich beeinflussen. Das hat Nawalny wiederholt in Interviews betont. Bezeichnend ist, dass Nawalny kein gutes Verhältnis zu anderen bekannten russischen Exilpolitikern wie dem einstigen Oligarchen Mikhail Khodorkowski pflegt.
Die heutige Festnahme bedeutet dabei noch nicht, dass Nawalny hinter Gittern bleibt. Offiziell soll Nawalny zunächst bis zur Gerichtsentscheidung am 29. Januar unter Arrest bleiben. Die Zukunft bleibt aber noch offen. Schon früher hat der Kreml nach anfänglichem Zögern Nawalny mehrfach wieder auf freien Fuß gesetzt. Ein Nawalny hinter Gittern war lange Zeit für Putin die schlechteste Option. So schlecht, dass der Kreml ihn offenbar eher umbringen lassen wollte als ins Gefängnis zu stecken. Vieles werde davon abhängen, welches Kalkül der Kreml nun anstellt.
Die Chancen für Nawalny stehen jedoch alles andere als gut. Im vergangenen Jahr, insbesondere nach der umstrittenen Verfassungsreform im Sommer, gab es so gut wie keine bedeutenden Proteste in der Hauptstadt. Die Opposition ist weiterhin zersplittert und apathisch. Der Kreml hat mit der Zurücksetzung des Amtszeiten-Zählers für Putin gezeigt, wie wenig er selbst an dem demokratischen Schein des eigenen Systems festhält.
Noch bleiben allerdings im Herbst des Jahres die Duma-Wahlen. Dort wollte Nawalny Putin und der Regierungspartei Einiges Russland Probleme bereiten. Die Versuchung, einen Störenfried kaltzustellen, dürfte in Moskau noch nie so groß gewesen sein wie jetzt.
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